Kampagnen in Saudi-Arabien: Das neue Mekka des Twitterns
Internet-Aktivistinnen widmen sich Frauenrechten oder Männern in Wäschegeschäften. Inzwischen haben auch Religiös-Konservative das Netz für sich entdeckt.
RAID taz | Auf die Frage, ob sie sich selbst als "Aktivistin" sehe, kommt Najla Hariri merklich ins Zaudern: "Mmh, na ja, ich weiß nicht, schon irgendwie. Es geht ja nicht anders." Die 45-jährige Hausfrau mit fünf Kindern war vor sechs Wochen sie eine der ersten in Saudi-Arabien, die gegen das Fahrverbot für Frauen verstoßen hat.
"Mein Fahrer hat gekündigt und ich musste dringend meinen Sohn zur Schule bringen. Das war kein Protest, sondern einfach Notwendigkeit," sagt sie. Heute twittert sie (2.500 Follower) über die Forderung, Frauen ans Steuer zu lassen und sagt: "Das Internet ist der einzige Ort, an dem wir die Probleme unseres Landes diskutieren können."
Hariri ist eine von einer schnell wachsenden Zahl von Internet-Aktivistinnen in Saudi Arabien. Von der freien Entscheidung, den Ehemann wählen zu dürfen, über eine Kampagne, den Kindern saudischer Frauen mit ausländischen Ehemännern die Staatsbürgerschaft zu gewähren, bis zur Freilassung politischer Gefangener gibt es fast im Wochentakt eine neue Kampagnen im Internet.
Gerade war es ein Boykott der größten Molkerei des Landes, die den Preis der Zwei-Liter-Flasche Milch von sieben auf acht Riyal angehoben hat. Auf Facebook und Twitter kuriserten Fotos von Regalen mit unverkaufter Milch. Das Köngishaus reagiert inzwischen empfindlich auf solche Kampagnen. Kaum eine Woche später verabschiedete das Ministerium für Handel und Industrie eine Direktive, die Molkereien vor Preiserhöhungen warnt. Zähneknirschend musste die einem Prinzen gehörende Firma einen Rückzieher machen.
"Es gibt kein Zurück mehr"
"Wir leben in einem Land, in dem zehn Millionen junge Leute mit dem Internet aufgewachsen sind," sagt die Wirtschaftsberaterin Reem Assad. "Diese Kampagnen stellen die Zukunft dar, und wir haben erst den Anfang gesehen."
2008 startete Assad eine Facebook-Kampagne, die Frauen zum Boykott von Unterwäschegeschäften aufrief. In Saudi-Arabien wird eine strikte Trennung der Geschlechter praktiziert. Weil Frauen mit Männern in Kontakt kommen könnten, dürfen sie nicht im Einzelhandel arbeiten. Frauen müssen deshalb ihre Körbchengröße mit Männern diskutieren, so dass viele im konservativ-religiösen Lager die Kampagne unterstützten.
Im Juni erließ König Abdullah ein Dekret, nach dem Einzelhändler in Wäschegeschäften nur noch Verkäuferinnen beschäftigen dürfen. Das wird weitreichende Folgen haben. Das Ministerium für Arbeit geht davon aus, dass 1,5 Millionen Stellen für Frauen im Kleider-Einzelhandel notwendig sind. Saudi Arabien sei ein sehr konservatives Land, sagt Reem Assad, in dem politischer Protest keine Tradition habe. Sie geht jedoch davon aus, das sich das bald ändern werde: "Es gibt kein Zurück mehr. Irgendwann werden wir auch Leute auf der Straße sehen." Denn manchmal hat man den Eindruck, dass Politik in Saudi Arabien im Internet stattfindet, nicht aber in der wirklichen Welt.
"In Saudi Arabien an die Öffentlichkeit zu gehen, ist eine Entscheidung, die dein ganzes Leben verändert," sagt die Bloggerin Eman Al Najafi. "Schauen Sie sich die Frauen an, die 1990 gegen das Fahrverbot demonstriert haben. Sie haben noch heute unter den Folgen zu leiden. Nur eine hat heute eine führende Position inne." Al Najafi bloggt in Englisch und ist eine der Sprecherinnen der Kampagne gegen das Fahrverbot für Frauen.
Ursprünglich war das Internet für die Kampagnen der Reformer reserviert, aber inzwischen haben es auch die Religiös-Konservativen für sich entdeckt. Der Geistliche Scheich Ahmed Al Youssef zum Beispiel twittert dort über den rechten Pfad des Propheten (13.000+ Followers). Einen Namen hat er sich gemacht, als er 2008 die erste saudische Universität kritisierte, an der ein paar Dutzend Frauen und Männer gemeinsam studierten. Prompt wurde er aus dem Rat der Obersten Geistlichen entlassen, dem höchsten religiösen Gremium, das Fatwas veröffentlicht. Anfang Juni kritisierte er in einem You-Tube-Video die willkürlichen Verhaftungen in Saudi Arabien und wurde festgenommen. Nach mehreren Anschlägen wurden seit 2003 mehr als 11.500 Al-Qaida-Verdächtige inhaftiert. Natürlich haben die Anhänger des Scheichs sofort eine Facebook-Gruppe gegründet, die seine Freilassung fordert.
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