piwik no script img

Kampagne für GenossenschaftenWer sind die Spalter?

Der Kurdenkonflikt in der Türkei ist gewalttätiger geworden. Ein Kommentator der Zeitung „BirGün“ zeichnet nach, dass die Regierung an der Abgrenzung mitschuldig ist.

Wer will sich trennen, die Kurden oder die Türken? Bild: ap

ISTANBUL BirGün | Am Samstagabend haben der Nachrichtensender NTV, die übrigen Nachrichtensendungen und die Nachrichtenportale im Internet ebenso wie später die Sonntagsausgaben der Tageszeitungen gegen das gleichsam berühmte wie ominöse Prinzip von der „Unteilbarkeit des Vaterlandes“ verstoßen. Sie haben Separatismus betrieben.

Wir wurden zu Zeugen dessen, dass die türkischen Medien Diyarbakır und die Kurden als Teil eines anderen Landes betrachten. Zugleich bedrohten die Sicherheitskräfte der Türkischen Republik gewählte Parlamentsabgeordnete und Bürgermeister, schlugen sie mit Fäusten, schleiften sie über den Boden und verletzten sie mit Tränengas und zeigten damit, dass sie diese Personen nicht als Volksvertreter der Türkei anerkennen.

Während die Auseinandersetzungen in Diyarbakır noch andauerten, lautete die Hauptnachricht des Tages: Die frohe Kunde des Ministerpräsidenten, die Überquerung der Bosporusbrücke für die Dauer von Reparaturarbeiten kostenlos zu machen – eine Botschaft übrigens, die mit dem Ton verkündet wurde: „Was regt ihr euch über die Staus auf; ich habe dafür gesorgt, dass ihr für lau über die Brücke kommt, also haltet die Klappe!“

taz-Genossenschaft

Dieser Text erschien Mitte Juli in der türkischen Zeitung http://www.birgun.net/writer_index.php?category_code=1187091205&news_code=1342427551&year=2012&month=07&day=16#.UE3LGs-zMnV, die zu den vier Zeitungen gehört, die von der taz-Genossenschaft unterstützt werden. Wir sammeln Geld für vier unabhängige Zeitungen – in Tschechien, Schweden, Uruguay und der Türkei. Helfen Sie mit – für unabhängigen Journalismus! Noch bis zum 15. September.

Völlig voneinander getrennt

Aber glauben Sie nicht, dass es hierbei nur darum ginge, dass die Medien die Wirklichzeit verzerren, die Prioritäten verschieben und so das Informationsrecht der Bevölkerung aushöhlen. Vielmehr wurde hier deutlich, dass auf demselben Territorium zwei völlig voneinander getrennte Gesellschaften leben.

Während sich am Samstag in Diyarbakır Menschen gegen die Vergewaltigung demokratischer Rechte zur Wehr setzten, wussten in Istanbul 20.000 Besucher eines Konzerts den Veranstaltern, die sich davon hatten einschüchtern lassen, dass sich eine handvoll Leute am Eingang mit dem Worten „trinkt keinen Alkohol, sonst nehmen wir den Laden auseinander“ aufgespielt hatten, nichts anderes zu entgegnen als: „Na gut, aber dürfen wir dann wenigstens Kaffee und Limonade trinken?“

Auf der einen Seite ein Volk, dessen Herrscher glauben, dass sie es mit zwei, drei Monaten kostenloser Brückenüberquerung zu beschwichtigen sei, und das auf ein willkürliches Alkoholverbot damit reagiert, indem es eben Limo trinkt. Und auf der anderen Seite ein Volk, das sagt: „Selbst wenn ihr mir den Kopf einschlagt, werde ich nicht aufhören, meine Freiheit zu verlangen!“

An dieser Stelle ist es nützlich, die Formulierung „auf demselben Territorium lebend“ genauer zu betrachten. Von Ankara aus ist die syrische Stadt Hama um 45 Kilometer näher als Diyarbakır. Auch von Istanbul aus ist man schneller in Hama als in Diyarbakır. Zwischen Hama und Diyarbakır sind es allerdings nur 567 Kilometer. Was ich damit sagen will: Hama und Diyarbakır sind sich einander sehr viel näher als sie es sich zu Ankara nahe sind.

Geschichte für lau

Dass die türkischen Medien am Wochenende den Ereignissen in Hama eine größere Aufmerksamkeiten zuteil werden ließen als den Ereignissen in Diyarbakır, dürfte weniger daran liegen, dass Hama rund 50 Kilometer näher ist, als vielmehr daran, dass man sich von Diyarbakır und Hama gleich weit weg entfernt sieht. Wenn dem aber so ist, war journalistisch richtig, zuerst über das Thema mit dem höheren Nachrichtenwert – die Toten in Hama – zu berichten. Ebenso war es vielleicht nur ein Ausdruck davon, dass die Medien die Interessen ihrer Leser und Zuschauer genau kennen und darum die Geschichte von der Brücke für lau als Hauptnachricht brachten.

So offenbart sich, worin die tatsächliche Trennung im Land besteht und wer die wahren Separatisten sind.

Gekrönt wurde dieser Befund, dass sich in den Reihen der großen CHP, die für sich beansprucht, eine Partei des ganzen Landes zu sein, ein einziger Politiker fand, der zu den Ereignissen in Diyarbakır das Wort ergriff: Der aus Diyarbakır stammende Istanbuler Abgeordnete Sezgin Tanrıkulu, der in einer Erklärung das Vorgehen des Sicherheitskräfte kritisierte. Mit der besonderen, nostalgischen Aufmerksamkeit, die häufig Menschen für ein Land empfinden, aus dem einst ihre Vorfahren eingewandert sind, brachte er zum Ausdruck, wie sehr die Ereignisse in Diyarbakır ihn schmerzen – so wie ein Abgeordneter aus Bursa, dessen Vorfahren einst aus Bulgarien stammen, über Vorfälle in Bulgarien sprechen würde.

Das heißt, man muss die Grundsatzfrage mit verändertem Subjekt von Neuem stellen: Wer will sich trennen, die Kurden oder die Türken? Will sich der Südosten abspalten oder gibt es welche, die den Südosten abspalten wollen?

Die Antwort erschließt sich, wenn man bedenkt, womit sich die mit denselben Rechten ausgestatteten Kollegen jener Abgeordneten, die am Samstag von Wasserwerfen zu Boden gerissen wurden, zuletzt so intensiv beschäftigt haben: die mit nächtlichen Zusatzanträgen beschlossenen Gesetze, die es ermöglichen, dass die Mörder von Bahçelievler auf freien Fuß kommen werden.

Übersetzung: Deniz Yücel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • T
    tim

    @ heval

     

    sehr schöne seite verlinken sie da. wirklich sehr informativ und überhaupt nicht propagandistisch und terrorfreundlich. oder vielleicht doch?

    ich muss schon sagen, sie wissen die dinge zu vereinfachen. sicherlich ist die politik der regierung in der vergangenheit nie ganz so gewesen wie man es sich wünschen sollte. gegenüber kurden ganz besonders nicht, aber gegenüber türken sicherlich auch nicht. schließlich wird zur zeit nicht umsonst der mammutprozess "ergenekon" geführt, um endlich die macht der militärs in den köpfen der menschen zum problematisieren, indem man den machtmissbrauch hier justizial offenbar macht. hierbei wird ganz klar, dass die pkk benutzt wurde, sich aber auch benutzen ließ. die pkk ist mitnichten die antwort auf die probleme der kurden. sie führte vielmehr in ihr elend. so konnten die militärs im lande die harte hand besser öffentlichkeitswirksam durchsetzen. ehrlich gesagt wundert mich ihre position nicht. schließlich sind die fronten in der türkei verhärtet, nachdem die eigenen politiker und militärs das volk der türkei (bestehend aus verschiedenen ethnien) gegeneinander ausspielten. was ich mir wirklich wünschen würde, ist verständnis für die heikle lage, für die situation aus der heraus die regierung einen wandel zu initiieren versucht und dass wandel in der regel nicht in 3-4 jahren geschehen ist, vor allem nicht nach allem, was in der türkei schief gelaufen ist. unversöhnlich wird man keine versöhnung erreichen, liegt auf der hand, oder?

  • MA
    Monsieur Achie

    @Silan:Ich muss ganz offen sagen, dass der türkische Staat viele Fehler in der Vergangenheit gemacht. Diese Fehler ist nicht nur gegen Kürden gemacht worden auch gegen Türken. Für die so genannte Machthaber (heute nennt man Elite)war die Türkei nach Ankara zu Ende.Zu den Machthabern gehörten auch die kürdische Elite. Die Agas waren nur die kürdische Elite, die Geld und macht hatten. Die Dörfer gehörten gesammt mit Einwohner zu den kürdischen Elite. Sie haben 60 und 70 jahren Grundstückreformen im türkischen Parlement verhindert. Turgut Özal war kürdische Staatpräsident und gab es viele Minister. Heute sitzen auf der Regierungsbank viele kürdische Minister. Sie können einfach nicht sagen. Die Türken unterdrücken die Kürden. wenn dann die kürden unterdrücken Kürden. Sie sagen: "Keine Anerkennung in der Verfassung als Minderheiten." seien Sie doch froh. Wenn die Türkeidie Kürden nicht als Minderheit sieht sonder als gleichberechtig wie alle andere menschen, die in der Türkei leben.

    Ich muss ehrlich sagen. Ich habe viele kürdische Freunde (alle Akademiker)und keiner ist für PKK und alle finden PKK als Terörorganisation. Einer von denen aus Tunceli hat sogar haufen Geld bezahlt und für 2-3 Monate zur Militärdienst gegangen, weil er türkischen Pass behalten wollte. Wie Sie sehen jeder hat seine eigene Realität.

  • S
    Silan

    @ali35

     

    Sehr wahrscheinlich bist du auch ein Türke und hast spaß dabei das die Kurdische Minderheit weiterhin unterdrückt wird.

     

    Aber keine Sorge, ich bin ein Kurde und werde eure Abscheulichkeiten deutlich euch ins Gesicht Peitschen:

     

    - 4000 Dörfer zwangsweise evakuiert.

    - Millionen Kurden wurden von ihrer Heimat

    vertrieben.

    - Mehr als 40.000 Tote.

    - Kurdische Dörfer und Städtenamen wurden türkisiert.

    - Keine Muttersprachliche Bildung für die Kurden.

    - Keine Autoniegeständnisse in Verwaltungebene

    - Keine Anerkennung in der Verfassung als Minderheiten.

     

    das hat alles die Türkei den Kurden angetan und Deutschland bezeichnet immer noch die PKK als Terroristen, entschuldige aber der eigentliche Terrorist ist DIE TÜRKEI!!!

  • M
    MaX

    Hallo erst mal liebe taz.de Leser,

     

    ich bin seid kurzen dabei und interessiere mich

    für den Nahen Osten,besonders Kurden konflikte mit

    Syrien oder der Türkischen Regierung.

    Ich persöhnlich erkenne einen Trend,die Kurden

    vereinen sich, davor hat die Türkei und die FSA

    schlicht gesagt "Angst".

    Meiner Meinung nach sollte die Türkei eine

    Autonomie anstreben .

    Wieso? erklärt sich von selbst.

    hoffe hab nichts falsches gesagt,

    wenn dann einfach korriegieren ^^:)

  • A
    ali35

    Was interesiert euch die kurdenfrage in der türei.beschäftigt euh lieber mit der frage altersarmut in deutschland.wie solls weiter gehen nach 40jahre arbeit werde ich auch pfand flaschen sammler....

  • H
    Heval

    Tim,

     

    was redest du?

     

    In der Türkei leben zwischen 15-20 Millionen Kurdinnen und Kurden, davon 2-4 Millionen in Istanbul in Ghettos (nachdem ihre Dörfer in den 90er verbrannt wurden), in Izmir ca. eine Million, ebenso in Ankara und Konya etwa eine Million. Dann gibt es Gebiete in Nordkurdistan (Südosttürkei), die extrem militarisiert und assimiliert wurden. Erzincan, Elazig, Vewlik (Bingöl) als Beispiele, hier können die Kurden kaum noch ihre Sprache. In Dersim zB leben genau so viele türkische Soldaten wie kurdische Zivilisten.

     

    Dann gibt es in Nordkurdistan selbst viele Stämme, die von dem türkischen Staat gekauft worden sind, Dorfschützer nennt man diese Mafiosis. Sie handeln mit Drogen und unterdrücken, erpressen, vergewaltigen kurdische Zivilisten - mit Unterstützung der AKP. Zehntausende gibt es von ihnen.

     

     

    Sagen wir also es gibt in der Türkei noch etwa 12 Mio Kurdinnen und Kurden, assimilierte und gekaufte abgerechnet.

     

    Da die kurdische Bevölkerung eine extrem junge ist, sagen wir 8-9 Millionen seien wahlberechtigt.

     

    Die Kurdinnen und Kurden haben also zu ca. 3 Millionen die BDP gewählt (30%). Die BDP hat in den Kerngebieten Kurdistans, Amed (Diyarbakir), Elih (Batman, Sirnax, Colemerg, Wan...die Mehrheit hinter sich. Also reden nie wieder davon, die AKP hätte 80-90% der Kurden hinter sich! Milchmädchenrechnung!

     

    In den letzten Umfragen wurde erklärt, dass die BDP noch stärker wird, während die AKP versagt. Viele Kurdinnen und Kurden, die religiös sind, wählen den Idioten von Erdogan, aber sie erkennen langsam auch die Wahrheit. Sie haben dieselben Forderungen wie die BDP-Wähler: Sie wollen anerkannt werden! Wenn Erdogan das nicht macht, werden diejenigen auch zur BDP übergehen!

     

    Lies am Besten http://www.diekurden.de/ und nicht mehr deine Ramschblätter, wenn du etwas über Kurden erfahren möchtest.

     

    Toller Artikel!

  • H
    hadibee

    "Wir wurden zu Zeugen dessen, dass die türkischen Medien Diyarbakır und die Kurden als Teil eines anderen Landes betrachten. Zugleich bedrohten die Sicherheitskräfte der Türkischen Republik gewählte Parlamentsabgeordnete und Bürgermeister, schlugen sie mit Fäusten, schleiften sie über den Boden und verletzten sie mit Tränengas und zeigten damit, dass sie diese Personen nicht als Volksvertreter der Türkei anerkennen"

     

    Beide Seiten bemühen sich, die Gräben tiefer zu schlagen. Allerdings scheinen die Kurden mit ihren Mörderischen Attacken recht erfolgreicher, oder haben sie es bewußt ausgelassen, das türkische Sicherheitskräfte täglich sterben müssen?

    Was juckt mich da die Nase oder die Haare einer Abgeordneten, zumal sie genau mit jenen in Schmusekurs eingeht, die täglich angriffe auf diese Sicherheitskräfte verüben. Erwarten sie also nicht besonders viel Empathie.

     

    Ich selber würde den kurden ihr geliebtes Kurdistan mit einem 10.000 Dollar gutschein hinterherschenken, ich befürchte allerdings, das die meisten kurden den verhassten türkischen staat jedoch so schnell nicht verlassen werden.

     

    Dieses Elende verherrlichen von Gewalt der vermeintlich Unterdrückten. TAZ, langsam werdet ihr mir ziemlich unsympathisch mit euren artikel.-

  • B
    bull

    Die Kurden werden also unterdrückt in der Türkei?

    So ein Schwachsinn!

    Eher werden die Türken selber in der Türkei unterdrückt wie diese angeblichen Kurden.

    Wenn Sie keine Ahnung haben mischen Sie sich doch einfach nicht ein.

  • B
    @bull

    Schwaches Volk, starkes Volk? Was ist denn das für ne bescheuerte Kategorie? Und was hast du davon, wenn die Kurden unterdrückt werden? Gehts dir darum besser?

     

    Nationalisten sind immer ekelhaft. Egal welcher Nation.

  • W
    Wahrheitssager

    Der Autor treibt Demagogie. Wahrscheinlich ist er selbst ein Kurde und steh PKK nah. In einem Demokratie werden die Gesetze im Parlament beschlossen. Wenn die kürdische Abgeordneten für die Berge entscheiden wie PKK, hat es mit Parlamentarbeiten nicht mehr zu tun. Ein Abgeordneter, der PKK-Terroristen umarmt und auf die Sicherheitskräfte als Mörder schimpft, hat im Parlement nicht zu suchen. Solche Abgeordneten wären in alle EU Länder schon lange in Knast gelandet. Die Abgeordneten von BDP vorbestrafter Kriminelle. Ich habe auch nicht verstanden, wie Sie überhaupt kandidieren dürften. Anscheinend ist es in der Türkei alles möglich. Die PKK terorisiert nicht nur die Türken auch die Kurden in der Ost Türkei.

  • UC
    Ugur Canbaz

    Grausames Deutsch.

  • B
    bull

    Richtig.Die Geduld der Türken ist dabei zu Ende zu gehen.Es wird ein grosses Heulen und Zähneklappern geben.Ich bin gespannt ob alle diejenigen die die Türken als ein schwaches Volk sehen dann immer noch der gleichen Überzeugung sind.

  • W
    willy

    "Vielmehr wurde hier deutlich, dass auf demselben Territorium zwei völlig voneinander getrennte Gesellschaften leben."

    Is ja fast wie in Deutschland, nur noch gewalttätiger, wa!

  • T
    tim

    von welchem volk, dass seine "freiheit" verlangt spricht denn der autor, wenn 80-90% der kurden die akp wählten?

    sehr sonderbar...