: Kalter Vorhof zum Tod
Breites musikalisches Spektrum kann die unzulängliche Entwicklung der Charaktere nicht verdecken: Der Liederabend ,,Kälteidiotie“ als Gastspiel am Imperial Theater scheitert an seinen dramaturgischen Ambitionen
Die Bühnensituation ist schnell erzählt: Zwei Männer und eine Frau versammeln sich auf dem Korridor eines Krankenhauses. Legen Blumen vor die Tür des Krankenzimmers. Trauen sich nicht hinein. Man ahnt, dass sie vor der letzten Begegnung mit einem todkranken Verwandten zurückschrecken. So bleiben sie auf sich gestellt im kalten Vorhof zum Tod und warten. Dieses Szenario war Ausgangspunkt für den Liederabend Kälteidiotie im Imperial Theater, der Gefühlswallungen im Angesicht des Todes einfangen sollte. Doch das ambitionierte Konzept ging nicht auf.
Das Spektrum der Lieder reichte von Friedrich Hollaender („Wenn ich mir was wünschen dürfte“) über Johann Sebastian Bachs „Komm süßer Tod“ bis zu Rammsteins „Mutter“. Auch „Eiszeit“ von Ideal fehlt nicht. Die 33 Musikstücke bieten ein großes Spektrum von Ausdrucksmöglichkeiten, doch die Entwicklung der Bühnenfiguren bleibt bruchstückhaft. Denn welche Geschichte Regisseurin Dania Hohmann erzählen will, wird ohne den Einsatz von Sprache nicht klar. Dass die Frau mal was mit einem der beiden Männer hatte, vermittelt sich. Dass es sich bei den drei Wartenden um den Sohn (Karsten Engelhardt) der Todkranken, den Ehemann (Torsten M. Krogh) und dessen Geliebte (Agnes Regan) handelt, erfährt man aus dem Programmheft. Unklar bleiben die gelegentlichen Auftritte der Krankenschwester und des Pflegers.
Das Problem des Abends ist, dass er ein Beziehungsgeflecht nur mit Liedern erzählen will. Zumal deren Texte nur assoziativ mit der Geschichte zu tun haben. Zwar entstehen auf der Bühne einige schöne Bilder und Situationen. Doch das Publikum geht bezeichnenderweise am meisten mit, als es mit „Carbonara“ von Spliff einen kleinen komödiantischen Ausbruch gibt. Der allerdings wirkt angesichts des strengen dramaturgischen Konzepts wie ein Fremdkörper. Ein Liederabend lebt in erster Linie von den Gesangsnummern, doch die wirken bei Kälteidiotie oft gehetzt, worunter auch die stimmliche Ausstrahlungskraft der SchauspielerInnen leidet. Einfühlsam die Begleitung am Klavier von Manuel Weber.
Warum eigentlich Kälteidiotie? Auch dies ist ein dramaturgischer Kunstgriff: So nennen Gerichtsmediziner das Phänomen von Erfrierenden, die sich in Eiseskälte nackt ausziehen. Grund: Das Gehirn nimmt die extreme Kälte irgendwann als Hitze wahr und gaukelt dem Sterbenden vor, es sei furchtbar heiß. Christian Rubinstein