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Archiv-Artikel

Kalte Entfaltung

ZÄHNE ZEIGEN Wut ist ein schönes Schlagwort für das, was in der Welt geschieht. In der Ausstellung „Über Wut“ im Haus der Kulturen der Welt begegnet politisch begründete Empörung dem Zorn als strategischem Instrument

Die eingeladenen Künstler und Künstlergruppen mustern ihre eigene Wut neugierig

VON TIM ACKERMANN

Im Haus der Kulturen der Welt hat am Samstag eine Ausstellung eröffnet, deren Titel ein bisschen an einen Susan-Sontag-Aufsatz erinnert: „Über Wut“. Das Distanz erzeugende „Über“ ist nicht zufällig gewählt. Es ist eine Schau ohne laute Wutschreie, aber mit vielen Gedanken, die im Kopf herumgewürfelt werden.

Die Kuratorin Valerie Smith hat die Ausstellung absichtlich als eine Choleriker-freie Zone inszeniert. „‚Wut‘ ist ein schönes Schlagwort für das, was in der Welt geschieht“, sagt Smith. Doch im Grunde gehe es um die Dekonstruktion des Gefühls, die Betrachtung des Phänomens „Wut“ aus verschiedenen Perspektiven.

Die sieben eingeladenen Künstler und Künstlergruppen mustern die eigene Wut neugierig. Als ob sie ein unbekanntes possierliches Tier wäre, dem man gern eine Weile bei seinem Treiben zusieht. Zum Beispiel Klara Lidén: Die schwedische Künstlerin drischt in ihrem Video „Bodies of Society“ mit einem Baseballschläger auf ein Fahrrad ein. Eher spielerisch zunächst. Als ob sie den Gegenstand abtastet. Der Schläger kreist in den Pausen ums Handgelenk. Erst als das Rad auseinandergefallen ist, wird der Rhythmus schneller, die Schläge heftiger. Arbeitet sich Lidén hier gezielt in Rage?

Den Gegenpol zu Lidéns gewaltsamer Drahteseldemontage bildet die Kunst von Regina José Galindo. Die Guatemaltekin richtet ihre Wut stets gegen sich selbst. Als Geste des künstlerisch-politischen Protests gegen gesellschaftliche Verbrechen hat sie ihren Körper verschiedenen Folterformen ausgesetzt: Wasserfolter, Verstümmelung, Einkerkerung. Am Samstag führte Galindo ihre Performance „Looting“ vor, dafür hatte sie sich vor ihrer Anreise nach Deutschland Löcher in ihre beneidenswert unkariösen Zähne bohren und diese mit Goldplomben versiegeln lassen. In der Performance legte sie sich in einen Zahnarztsessel und ließ sich von einem deutschen Dentalfachmann das Gold wieder entnehmen und die Löcher mit billigem Plastik zukleistern. Die Edelmetallplomben sind bis zum Ausstellungsende in Vitrinen zu sehen.

Gold hat schon früher den Weg von Lateinamerika nach Europa genommen, und Galindos Reise, als Umkehrung des kolonialen Raubzugs, wirkt so treffend wie originell. Doch die Künstlerin wünscht sich außerdem noch, dass ihre Zahngoldentnahme Assoziationen zu NS-Vernichtungslagern weckt. Das hätte sie lieber bleiben lassen sollen, denn so wird die Fallhöhe enorm und die Übertragung stimmt nicht mehr richtig. Nicht jeder deutsche Zahnarzt, der eine Plombe zieht, ist ein Mengele.

Galindos Beispiel zeigt, wie wichtig es für den Erfolg von Wut-Kunst ist, dass sie präzise legitimiert und inszeniert wird. Dem US-Künstler Jimmie Durham gelingt das sehr gut. Er hat eine ausufernde Installation aufgebaut, aus Sperrholzplattformen, Autoteilen, Ölfässern, aufgehängten Spiegeln, diversen Fußbodenbelägen und Schautafeln, auf denen rassistische Zitate über Indianer aufgeführt sind. Auch Durhams Wut ist kalt und sie entfaltet ihre Wucht in hintergründigen Gedankenketten: Auslegeware ist eine Landnahme. Krieg auch. Und ob der Krieg gegen Indianer oder Iraker geführt wird, ist eine Frage des aktuell begehrten Rohstoffs. Es ändert sich eben wenig in the Good Old West.

Es gibt noch andere Beispiel für gelungene künstlerische Wuterforschung. Etwa die Gruppe reloading images, die in einer Art nachgebautem UN-Sicherheitsrat Schauspieler aus einstmals revolutionären Ländern wie Irland, Iran, Frankreich oder den USA diskutieren lässt. Es geht um Wut, Widerstand und die Frage, was das Wort „Revolution“ eigentlich meint. Das Skript der Akteure ist mit Zitaten von Camus, Brecht, Mao und Heiner Müller durchsetzt. Die Wut neutralisiert sich in der Endlosschleife des Diskurses selbst.

„Dem Zorn unserer Tage fehlen die Sammelstellen“, sagt Peter Sloterdijk, und tatsächlich kristallisiert sich in „Über Rage“ die Wut nie zu einer konkreten Aktion. Auswege aus gesellschaftlichen Missständen werden nicht angedeutet oder gar beschritten. In politischer Hinsicht scheint bei den Künstlern das Gefühl der Ohnmacht, der Hilflosigkeit zu überwiegen. Beim Kunstwerk von Tadeusz Kantor ist schon die Annäherung erschwert. Der Weg zu einem grauen Kubus, in den es sich hineinzuschauen lohnt, ist durch locker aufgestellte und nicht unüberwindbare Barrieren verstellt: ein Schlagbaum und mehrere Grenzpfähle mit Richtungspfeilen. Instinktiv ertappt man sich dabei, wie man beim Laufen den Zeichen der Ordnungshüter Folge leistet. Das macht einen wütend. Aber das ist kein Problem. Denn Wut ist okay.

■ „Über Wut“, im Haus der Kulturen der Welt bis 9. Mai. Ein Lecture-Programm begleitet die Ausstellung, am 17. März ab 19 Uhr mit Yana Milev und Michael Rakowitz