: Kalkulierte Grausamkeit
In der Filmreihe „Realitätsverluste in alpenrepublikanischer Einsamkeit“ zeigt das B-Movie in dieser Woche Funny Games von Michael Haneke. Als der Film 1997 in die Kinos kam, rief er als schonungslose Provokation die unterschiedlichsten Reaktionen hervor. Haneke selbst hat Funny Games in Interviews als „Parodie eines Thrillers“ bezeichnet, was auch stimmt, wenn man unter Parodie die gnadenlose Reduktion auf das Wesentliche versteht.
Anna, Georg und Sohn Schorschi fahren in ihr Landhaus am See. Segeln und Entspannen ist geplant. Auto, Haus und der Umgang miteinander weisen die Familie als Musterbeispiel bürgerlicher Saturiertheit aus. Doch kaum im österreichischen Idyll angekommen, wird die Kleinfamilie von zwei Burschen heimgesucht, deren erklärtes Ziel es ist, sie systematisch zu quälen. Nach gebrochenem Schienbein, sexuellen Demütigungen und vor allem psychischer Folter erscheint der Tod letzlich nur als Erlösung.
Von der herkömmlichen Darstellung psychopathischer Gewalttäter und ihrer Beweggründe ist der Film meilenweit entfernt. Haneke wollte mit der zelebrierten Orgie der Gewalt vielmehr die Sehgewohnheiten des Zuschauers attackieren, und er verband damit einen aufklärerischen Anspruch. Sein Anliegen war eine Zurschaustellung der zur Normalität gewordenen Gewalttätigkeit im Kino.
Zwar hat es in der Geschichte des Mediums Film schon etliche kritische Selbstreflexionen gegeben, doch selten so radikale. Funny Games konfrontiert den Zuschauer mit der voyeuristischen Lust an Gewalt, wie sie von etlichen Filmen geweckt und gepflegt wird, lässt die Faszination jedoch Schritt für Schritt in Ekel umkippen. Die perfekt inszenierte Klimax psychischer und physischer Gewalt erhebt einen kathartischen Anspruch, in der Art einer schocktherapeutischen Läuterung des cineastischen Bewusstseins. Haneke wollte den Zuschauer damit zu einer Entscheidung zwingen: den Film vorzeitig zu verlassen oder dem Grauen bis zum Ende zu folgen. Die Entscheidung, sich den Film überhaupt anzusehen, sollte vorher jeder im Hinblick auf sein Nervenkostüm treffen.
Matthias Seeberg
morgen, 20.30 Uhr + 23 Uhr, So, 24.11., 20.30 Uhr, B-Movie
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen