KOMMENTARE: Kalkül statt Schlamperei
■ Stavenhagen nahm den Hut, die Fragen nach den anderen Verantwortlichen verhallen
Die Gallionsfigur geht, der Skandal bleibt — im Bonner Kanzleramt müßte kräftig aufgeräumt werden. Im Schalck-Ausschuß beschrieb der Sicherheitsbeauftragte im Kanzleramt folgendes Bild: Übervolle und ungeordnete Panzerschränke, Hunderte vertrauliche Briefe eines BND-Chefs, die in der Geheimdienst-Koordinationsstelle offenbar gar nicht erst gelesen werden und eine Verschlußsachenverordnung, die von den zuständigen Bürokraten nicht beachtet wird.
Man fragt sich: Welches Spiel wird eigentlich im Kanzleramt gespielt? Die derzeit gehandelte Version, wonach der zurückgetretene Geheimdienstkoordinator Stavenhagen wegen einer Panne in seiner Behörde — ein nachgeordneter Beamter leitete ein vertrauliches Schreiben des BND-Chefs nicht weiter — den Bundestag unwissentlich belogen hat, ist schwer verdaulich. Ungereimtheiten bleiben. Immerhin hat der zuständige Sicherheitsbeauftragte gestern dem Untersuchungsausschuß berichtet, Kopien des ominösen Schreibens, in dem ausdrücklich über die Tarnpapiere für den SED- Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski geschrieben wurde, seien an Innenminister Schäuble und an Außenminister Genscher gegangen. Warum nur, muß man sich fragen, haben beide dann nicht verhindert, oder zumindest nachträglich korrigiert, was Stavenhagen vor dem Bundestag schlicht wahrheitswidrig auftischte? Oder werden dort neuerdings Verschlußsachen auch nicht mehr gelesen? Es muß wohl eher Kalkül als Schlampigkeit gewesen sein, denn der Vorgang als solcher war, wie alle Beteiligten wußten, von ausgesprochener Brisanz.
Der Zeitpunkt von Stavenhagens Rücktritt — einen Tag vor der Sitzung des Verteidigungsausschusses — war gut geplant. Er hat zur Folge, daß nunmehr von dem wegen illegaler Waffenlieferungen nach Israel ins Rampenlicht gerückten Verteidigungsminister ebensowenig die Rede ist, wie von einem BND-Chef Porzner, der als Leiter des Geheimdienstes die Machenschaften seiner Behörde zu verantworten hätte. Wie war das noch? Hatte nicht die SPD lauthals einen Untersuchungsausschuß und den Rücktritt Stoltenbergs wegen der Panzeraffäre gefordert? Und wie war das mit dem über den BND vermittelten Auftrag an Verkehrsminister Krause, der bei einem Treffen mit Goldfinger Schalck diesen gleich nach belastendem Stasi-Material über den früheren DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière befragen sollte? Stavenhagen geht, und mit ihm das Wissen, daß andere Kandidaten schon längst ihren Hut hätten nehmen müssen. Wolfgang Gast
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