Kali-Müll in der Nordsee: Eine problematische Lösung
Der Kali-Konzern K+S sitzt in Nordhessen. Die Lauge, die bei seinem Geschäft anfällt, soll in die Nordsee – am besten per Pipeline, finden die Grünen.
BREMEN taz | Niedersachsen steht Ärger ins Haus: Ärger ums Wasser, um den Müll und ums Salz. Und der Streit hat gute Chancen als Riss durch die Grünen zu verlaufen, zwischen Parteibasis und Abgeordneten, aber auch zwischen den Landesverbänden von Hessen und Niedersachsen, wo die Öko-Partei die zuständigen Ministerien besetzt. Der Auslöser ist, dass sich gerade wirklich etwas zu bewegen scheint, in der Frage der Werra- und der Weserversalzung.
Momentan ist vor allem eine Papiermaschine in Gang gesetzt worden: ein sogenanntes Raumordnungsverfahren für eine Rohrfernleitung. Beantragt hat das die K+S AG, Europas größter Kali-Anbieter, und deren Pipeline-Pläne beschäftigen nun Verwaltungen in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, zudem das Umweltbundesamt und Brüssel. Die Röhre soll Laugenabwässer aus dem Werra-Fulda-Revier in die Nordsee transportieren. Bei Wilhelmshaven kapieren sie gerade, „dass der ganze Scheiß bei uns eingeleitet werden soll“.
Die drastische Formulierung stammt von Werner Biehl, Ex-Marinesoldat, Ex-Lehrer, bei den Grünen seit 1981 – und bis zum vergangenen Wochenende auch Vorsitzender ihrer Fraktion im Wilhelmshavener Rat. Aus dem ist er jetzt ausgeschieden, und quasi zum Abschied hat er noch den Pipeline-Konflikt aufs Tapet gebracht: Er lud die K+S-kritische Werra-Weser-Anrainer-Konferenz (WWA) an die Jade ein.
Endlich, sagen die Einen. Das hat uns gerade noch gefehlt, befinden die Anderen. „Hinter diesen Plänen steckt der Gedanke, da kommt Salz zu Salz“, sagt Biehl. „Das ist eine Vereinfachung, die ist brandgefährlich.“ Auch Walter Hölzel, Vorsitzender der WWA, warnt: „Was da eingeleitet werden soll, sind Industrieabwässer.“ Die Kalium-Konzentration der Lauge gilt als extrem hoch, Schwefelanteile und auch Quecksilber werden in der Lösung vermutet, offizielle Angaben fehlen. Immerhin: Dass sie „anders zusammengesetzt ist, als das Wasser der Nordsee“, hat sogar die K+S AG – die Anfragen der taz unbeantwortet ließ – zugegeben: 2008, in einem Mitarbeiterinfo.
Für Beratungen um den Gewässerschutz im Blick auf die Kaliproduktion haben hessische und thüringische Landesregierung mit der K+S AG 2008 den "Runden Tisch" (RT) eingerichtet. Neben den Anrainer-Ländern entsenden auch Bundesregierung und etliche NGO-Vertreter dorthin.
Finanziert wird der RT von der K+S AG über einen Förderverein, in dem der Leiter des RT, von Hessen entsandte Personen, die K+S AG und von der K+S AG entsandte Personen Mitglied sind.
Die Verträge für Gutachten, über die der RT berät, schließt der Förderverein ab - "in Abstimmung mit der Leitung des RT".
Der unter VR 4642 eingetragene Verein sitzt in der Bertha-von-Suttner-Str. 7, 34131 Kassel, dem Stammhaus der K+S AG.
Die Nordsee-Pipeline, im Wahlprogramm der Niedersachsen-Grünen gefordert, sei „sicher nicht unsere Top-Idee“, sagt Volker Bajus, Umweltzuständiger der hannoverschen Landtagsfraktion. Immerhin aber gebe es Hoffnung, die Entsorgung ließe sich umweltverträglich realisieren: möglichst weit draußen, möglichst aufbereitet und stark verdünnt – das könnte es doch sein. „Was wir nicht machen können, ist, einfach diese Pläne zu blockieren“, sagt Bajus. „Davon profitiert nur K + S, und am Ende des Tages bleibt die Weser versalzen.“ Das sieht bislang auch der BUND-Landesverband so.
Ja, die Weser. Vor gut 100 Jahren war die einmal ein Süßwasserfluss mit Süßwasserpflanzen und -tierchen. Davon ist sie weit entfernt, und das nicht nur an der Mündung, wo die Flut das Brack wie einen Keil stromaufwärts treibt: Von Süßwasser spricht man bei einer Salz-Konzentration von höchstens 0,1 Prozent. In der Oberweser liegt der mittlere Chloridwert bei 500 Milligramm pro Liter, in der Mittelweser sind es noch immer bis zu 400 Milligramm. Seit 15 Jahren hat sich daran nichts geändert.
Sicher: Weiland, als der Großvater die Großmutter nahm, und die DDR real existierte, war alles noch viel schlimmer. Aber seit dem Jahr 2000 gilt die Wasserrahmenrichtlinie der EU. Und die schreibt einen „stärkeren Schutz und eine Verbesserung der aquatischen Umwelt“ vor, betreffend „alle Oberflächenwasserkörper“. Darunter sind Flussabschnitte, Kanäle und Seen zu verstehen. Aber auch „Küstengewässerstreifen“ – die Jade zum Beispiel.
Dass man an der Küste Kontra gibt, nachdem die Niedersachsen-Grünen die Nordseeleitung seit 2008 für akzeptabel erklären, kommt in Hannover nicht gut an: „Vielleicht haben die in Wilhelmshaven nur übersehen, dass die Weser längst eine Salzpipeline ist“, sagt der Landtagsabgeordnete Bajus. Fachlich allerdings ist das daneben: Den Flusslauf entlang nimmt die Schadstoffkonzentration deutlich ab. Eine Pipeline aber würde den Flüssigmüll direkt ins hochsensible Watt spülen.
Auf den existierenden Plänen endet die Röhre zwischen dem Vogelschutzgebiet Voslapper Groden und dem Binnentief, der Fahrrinne zum malerischen Hooksieler Naturhafen, knapp 100 Meter vom Strand, und das einen Muschelschubs südlich des Nationalparks, seit fünf Jahren Unesco-Weltnaturerbe. Außerdem transportieren an jener Stelle nur die Gezeiten eingeleiteten Schmutz aufs Meer hinaus. Bis zu 300 Tage dauert der Wasseraustausch in der Jade. „Wir sind gegen die Pipeline“, sagt deshalb Sönke Klug, Sprecher des Friesland-Kreises. „Das haben wir bereits im Vorverfahren deutlich gemacht.“ Man sei zuversichtlich: „Wir haben gute Argumente.“
Neben den inhaltlichen Mängeln kranke der Vorgang auch an gravierenden Formfehlern: „Es müsste ja ein ergebnisoffenes Verfahren sein“, sagt Klug, doch gebe es Vorfestlegungen. So hat die K+S keinen alternativen Röhren-Endpunkt vorgeschlagen, Alternativ-Verfahren wurden allenfalls zur Kenntnis genommen: Im Auftrag der WWA angestellte Untersuchungen zu technischen Möglichkeiten der lokalen Entsorgung erklärte K+S mittels firmeneigener Expertise für Quatsch, respektive „unrealistisch“, wie Mischa Brüssel de Laskay verlautbart. Er ist nicht etwa Angestellter des Unternehmens, sondern Sprecher der hessischen Umweltministerin Priska Hinz (Grüne). „Die Entsorgungsvariante ’Nordsee-Pipeline‘“ sei „umfassend geprüft“ worden, so Brüssel de Laskay, und als „ökologisch effektivste Lösungsvariante“ zu betrachten – daher auch ihre Empfehlung durch den „Runden Tisch“ (siehe Kasten).
Doch daran sind Zweifel geboten: Dessen Trägerverein, den die K+S satzungsgemäß personell und finanziell dominiert, hat zwar Gutachten eingekauft. Eines davon nahm 2009 zur Einleitungs-Problematik umweltfachlich Stellung, aber es bezog sich auf einen Pipeline-Endpunkt mit komplett anderer Strömung: Rysum an der Ems. Und die Zusammensetzung des Abwassers thematisierte das Papier gar nicht. Hessen aber hat sich entschieden, die Umsetzung der Nordseepipeline „zügig voranzutreiben“, so Brüssel de Laskay. Hessen hat auch keine Küste.
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