: Kaisens Kirche
■ Serbisch-Orthodoxer Bischof in der Behelfskirche am Waller Fleet / Die Gemeinde freut sich über das neue Domizil
Durch das herbstliche Laub im Waller Kleingartengebiet stiefeln drei prächtig gekleidete Herren. Gold und Silber, Kerzenbündel, glänzende Messingutensilien, wo sonst die Parzellisten-Leitkultur mit Gummistiefeln und Prinz-Heinrich-Mütze den Ton angibt: Bischof Konstantin, Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche in Deutschland, feiert mit der Bremer Gemeinde den Gottesdienst.
Dabei strahlt die Kirche zunächst den rauhen Charme eines Feuerwehr-Schuppens mit Sturm-Glocke aus. Statt himmelwärts dehnt sich der dunkle Bretterbau in die Breite und auch der Glockenturm überragt den Giebel kaum. Beides ein Tribut an die Vorschriften vor über vierzig Jahren: Die 1957 gebaute Kirche sollte, wie die Kaisenhäuser für die ausgebombten Waller auch, nur ein Provisorium sein. Weil Holz leicht wieder zu entfernen ist, durfte laut Bauerlaubnis ausschließlich Holz verwendet werden. Auch die Höhe der Kirche wurde vom Bauamt festgelegt: Sie sollte den „richtigen“ Kirchen keine Konkurrenz machen und nur für das Seelenheil der damals rund 4.000 Kaisenbewohner zuständig sein. Hermann Gildemeister, der zusammen mit seinem Bruder Eberhard unter anderem das „Haus des Reiches“, heute Finanzamt, gebaut hat, ist der Architekt der Behelfskirche am Fleet.
Seit ein paar Wochen ist die serbisch-orthodoxe Gemeinde Mieterin der Kirche, und hat sich den Kirchenraum entsprechend ihrer Liturgie für den sonntäglichen Gottesdienst hergerichtet. Die Wände sind bestückt mit zahlreichen Ikonen. Die „Ikonostas“, eine von drei „Toren“ durchbrochene Holzwand, trennt das „Allerheiligste“ vom Kirchenraum. Immer wieder verbeugen und bekreuzigen sich dort die 200 Gläubigen, die an diesem Sonntag gekommen sind, um mit dem Bischof zu feiern. Mit zwei Priestern ist er aus Hildesheim angereist, um den Tag des heiligen Sankt Georg zu begehen. Natürlich auch, um der neuen Unterkunft seinen Segen zu geben. Priester Milovan Milosevic, der die Bremer Gemeinde seit gut zwei Jahren betreut, hat heute nur eine Nebenrolle.
Trotz der Strenge und der Frömmigkeit, die die orthodoxe Lithurgie ausstrahlt, hat die Feier auch den Charakter eines Treffens unter Freunden. Kinder spielen hinter der Kirche Fußball, im kleinen Vorraum sitzen während der Zeremonie Leute zusammen und reden, Babys weinen, Handys klingeln. „Wir sind sehr froh, dass wir dieses Haus von der evangelischen Kirche mieten konnten“, sagt der Vorstandsmann Dusan Vasiljevic. Das bisherige Domizil der Gemeinde in der Sebaldsbrücker Heerstraße wurde wegen Baufälligkeit abgerissen. Außerdem, so hört man hinter vorgehaltener Hand, war der Gemeinde die räumliche Nähe zu einem milosevic-freundlichen Debattierzirkel, nicht geheuer. Die Gemeindemitglieder sprechen nicht gerne über Politik. „Wir sind die Kirche und das andere ist die Politik, hier kann jeder seine Meinung haben“, wehrt eine Gemeindehelferin ab. Für die Mutterkirche in Jugoslawien war das anders: sie hat sich erst vor ein paar Jahren von Diktator Slobodan Milosevic distanziert. „Aber jetzt ist die Position eindeutig“, sagt Vorstandsmitglied Aleksander Markov und holt eine Anstecknadel, die für den heutigen Präsidenten und ehemaligen Oppositionsführer Kostunica wirbt, aus der Jackentasche.
Zur serbisch-orthodoxen Kirche in Bremen gehört auch, dass sie offen ist für andere orthodoxe Gläubige. „Wir Orthodoxen haben viele Kirchen, aber einen Glauben“, sagt ein 18-jähriger russischer Auswanderer. Ein Hannoveraner Priester betreut die russisch-orthodoxe Gemeinde in Bremen nur ein- bis zweimal im Monat – die Kirche am Fleet ist daher auch ihre Adresse.
Nach zwei Stunden ist die Feier vorbei. Fröstelnd stehen die Leute noch vor der Kirche. Aleksander Markov hat sich seine Kostunica-Plakette mittlerweile ans Revers geheftet. Dann treffen sich alle aus gegebenem Anlass zum Mittagessen im Gemeindesaal der Findorffer Martin-Luther-Kirche. Dem Bischof wird zuerst aufgetragen: Es gibt Rauchfleisch und Kohlrouladen.
Elke Heyduck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen