Kaija Kutter über den Friesenhof: Selbsterfüllende Prophezeiung
Wer Zeuginnen so behandelt wie der PUA-Friesenhof erzeugt Abschreckung statt Aufklärung
D er Umgang mit den Zeuginnen im Friesenhof-Untersuchungsausschuss ist ein starkes Stück. Wäre es nach SPD, Grünen und SSW gegangen, hätten dort gar keine Bewohnerinnen ausgesagt, weil das für diese Mädchen ja ach so belastend sei. CDU, FDP und Piraten wollten aber Mädchen anhören. Und deshalb fragte man die drei, die zuvor im Fernsehen waren.
Nachdem die taz berichtet hatte, dass weitere Mädchen aussagen wollten und befürchteten, sie fänden kein Gehör, startete der Ausschus einen Aufruf, sodass sich zwei weitere Zeuginnen meldeten. Gehört wurden also nur die Allermutigsten. Und die waren bis 2013 in dem Heim. Eine systematische Anhörung, etwa durch eine Telefonhotline, wie sie vor drei Jahren die Untersuchungskommission für die brandenburgische Haasenburg-Heime eingerichtet hatte, gab es nicht. Nun sagen die Regierungsfraktionen, sie könnten für die Zeit ab 2013 keine konkreten Aussagen über Kindeswohlgefährdungen treffen, weil die Zeugen fehlten. Das ist paradox: Wäre es nach ihnen gegangen, hätte der Ausschuss gar keine Jugendlichen gehört.
Der Tenor des Abschlussberichts überrascht nicht, wenn man anschaut, welche Experten zu Rate gezogen wurden. Das waren zum einen jene zwei Juristen, die das jetzige Jugendhilfegesetz mit verfassten, zum anderen mit Matthias Schwabe ein Pädagoge, der Zwangsmaßnahmen befürwortet und deshalb umstritten ist. Der Bericht liest sich streckenweise so, als hätten ihn diese Experten geschrieben. Er ist frei von politischem Mut, einziger Lichtblick ist die klare Absage an Bootcamp-Pädagogik.
Die Relativierung der Zeugen-Aussagen von Heim-Insassen zur Dauer des Aussitzens, ist unnötig bis unsachlich. Der Ausschuss hat hier nicht aufgeklärt, nicht andere Zeuginnen befragt, ob sie auch auf die Uhr guckten. Der „Fachmann“ kennt die Zeuginnen nicht. Was bleibt, ist die Botschaft an Heimbewohner: Meldet euch lieber nicht als Zeuge! So bestätigt sich die vorgeschobene Sorge, der Auftritt vor dem Ausschuss könnte belastend sein, von selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe