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Käse aus dem LaborInnovation ganz ohne Tiermilch

Der erste Käse aus Koji Protein mittels Mikro Fermentation wird diesen Sommer in den Handel gebracht – eine Weltpremiere. Ein Start-up aus Berlin macht’s möglich.

Jo-Anne Petri ist eine der sieben Pro­dukt­ent­wick­le­r:in­nen bei Formo Foto: Karlotta Ehrenberg

Berlin taz | Schienen erinnern noch an den Osthafen, dem alten Lagergebäude aus Backstein sind Glaskästen hinzugefügt worden, eine junge Mit­ar­bei­te­r:in­nen­schaft sitzt im strahlenden Sonnenlicht auf einer Terrasse und isst Gesundes aus Papp-Bowls. Um Medienfuzzis handelt es sich nicht bei ihnen, auch nicht um IT-ler. Anstelle von Studios und Büros gibt es hier inmitten des Media­spree-Areals Laboratorien.

Darin arbeiten Le­bens­mit­tel­tech­no­lo­g:in­nen mit Hauben auf dem Kopf, Pipette in der Hand und Kitteln mit dem Schriftzug „Fo“ – das steht für Formo, ein 2019 in Berlin gegründetes Start-up. Dieses wartet diesen Sommer mit einer Weltpremiere auf: Der erste Käse aus künstlich hergestellten Proteinen wird in die Supermärkte gebracht.

Dass es nach fünf Jahren so weit ist, hat das Start-up nicht nur einer Vielzahl von Mo­le­ku­lar­bio­lo­g:in­nen und Pro­dukt­ent­wick­le­r:in­nen zu verdanken. Die beiden Gründer, der Betriebswirt Raffael Wohlgensinger und die Molekularbiologin Britta Winterberg, konnten Investitionen von rund 55 Millionen Euro einsammeln, so viel wie noch kein anderes europäisches Food-Tech-Unternehmen zuvor.

Einem Bericht des Handelsblatts zufolge musste das junge Unternehmen In­ves­to­r:in­nen sogar absagen, so groß war der Run auf die Firma und ihr Businesskonzept: Eine neue tierfreie Käsealternative soll hergestellt werden, kein Imitat aus pflanzlichen Ersatzmitteln wie Sojamilch, sondern „echten“ Käse aus Milchproteinen – statt aus Tiermilch sollen diese jedoch von einem Mikroorganismus kommen.

Das Start-up Formo

Der Anfang

Die Idee des Berliner Start-ups Formo stammt von Raffael Wohlgensinger. Dass der Betriebswirt für Käse schwärmt, ist wohl kein Zufall, denn er stammt aus der Schweiz. Für die Gründung des Start-ups 2019 konnte er Britta Winterberg gewinnen, die ehemalige Forscherin des Max-Planck-Instituts sorgte für die mikrobiologischen Grundlagen.

Zwei Standorte

Inzwischen hat Formo 85 Mitarbeiter:innen, der Großteil arbeitet in Berlin, ein zweiter Standort ist in Frankfurt am Main. Die Produktion soll outgesourct werden. Im Sommer werden die ersten im Labor gefertigten Käseprodukte in verschiedene deutsche Supermärkte kommen – in welche, ist noch offen. Als neuartige Produkte mussten sie erst durch die EU zugelassen werden.

Die Zukunft

Das Bio-Tech-Start-up will weiter wachsen und wirbt erneut um Investor:innen. Oberstes Ziel ist und bleibt die molekularbiologische Herstellung des Milchproteins Kasein, wichtigster Baustein der Käseherstellung. Allein ist das Berliner Unternehmen mit dieser Mission nicht: neben dem US-Unternehmen „New culture“ hat sich das israelische Start-up Remilk das Ziel gesetzt, auf Basis pflanzlicher Zellen und mittels Fermentation Kasein zu gewinnen. (keh)

Nachhaltigkeit ist oberstes Ziel

Bis zu 97 Prozent CO2 meint das Start-up im Vergleich zur Herstellung von Tierkäse einzusparen, auch will es bis zu 90 Prozent weniger Wasser verbrauchen, Landnutzung ist mit 1 Prozent kaum vonnöten – und Tiere gar nicht. Obendrein soll sich das Laborprodukt in Aussehen, Geschmack und Substanz von seinem Vorbild, dem traditionell hergestellten Käse, nicht wesentlich unterscheiden. Klingt toll. Aber wie ist das möglich?

„Die Grundidee ist, Proteine aus Mikroorganismen herzustellen, die dieselbe DNA tragen wie das Milchprotein“, erklärt Jo-Anne Petri, eine der sieben Pro­dukt­ent­wick­le­r:in­nen bei Formo. Rund 30 ihrer Kolleg:innen, spezialisiert in Biotechnologie, sind an dem zweiten Standort von Formo in Frankfurt am Main mit dieser Aufgabe beschäftigt.

Präzisionsfermentation heißt ihre Methode. „Im Prinzip kann man das ganz gut mit der Bierherstellung vergleichen, bei der aus einem Mikroorganismus, dem Hefepilz, durch die Zugabe von Zucker Alkohol gewonnen wird“, sagt Jo-Anne Petri. „Auch bei uns handelt es sich um einen solchen Stoffwechselprozess. Wir nehmen einen Mikroorganismus, zum Beispiel den Pilz Koji, und geben diesem Zucker und andere Mineralstoffe hinzu. Im Ergebnis erhalten wir nur keinen Alkohol, sondern Proteine.“

Noch ist es nicht Kasein, das die For­sche­r:in­nen aus den Mikroorganismen gewinnen, sondern ein anderes, in seiner Struktur ähnliches Milchprotein, das in Pulverform nach Berlin verschickt wird. Dort wird es zu Käse oder besser zu mehreren Käsesorten weiterverarbeitet.

Geräte wie in jeder anderen Molkerei

Denn darum geht es Formo: Käse in derselben Vielfalt herzustellen, wie es ihn auch aus Tiermilch gibt. „Bisher ist es uns gelungen, Feta, Frischkäse, Blauschimmel- und Weißschimmelkäse zu produzieren“, sagt Jo-Anne Petri. Mit diesen vier Sorten will das Start-up im Spätsommer den ersten Launch wagen.

Im Produktentwicklungslabor stehen Geräte, wie man sie auch in jeder anderen Molkerei finden würde. Maschinen, mit denen die Käsemischung verrührt, erhitzt und homogenisiert wird. „Anders als bei der traditionellen Käseproduktion fällt bei uns nicht so viel Molke an, die separiert werden muss“, erläutert die Produktentwicklerin.

„Unsere Mischung ist in ihrer Zusammensetzung schon viel näher an dem Endprodukt dran.“ Neben dem pulverförmigen Milchprotein kommt Wasser in den Käse, Salz sowie Fett aus pflanzlicher Herkunft. Petri: „Für den Feta Hellasdorf nehmen wir Sonnenblumenöl und Sheabutter.“

Bis diese Rezeptur feststand, wurde viel herumexperimentiert, berichtet Petri. „Je nachdem welches Fett man in welchen Mengen hinzugibt, hat der Käse eine andere Konsistenz.“ Es wundert nicht, dass auch Gabeln zu den Arbeitsgeräten von Formo gehören. „Wir haben eine stabile Gruppe von Kollegen, die alle zwei Wochen zum Verkosten kommen“, so Petri.

Eine schier unerschöpfliche Aufgabe

Ebenso wichtig wie das Urteil der Verkoster ist das Ergebnis der Messgeräte. Wie gut man einen Frischkäse streichen kann, hängt von seiner Textur ab, und die lässt sich ebenso messen wie der pH-Wert, der wiederum für den Geschmack entscheidend ist. Um über die Qualitäten des „neuen“ Käses Bescheid zu wissen und ihn mit seinem Vorbild vergleichen zu können, müssen die For­sche­r:in­nen jedoch erst einmal verstehen, wie tierischer Käse gemacht ist. Der gehört also ebenso analysiert – angesichts der Vielzahl an Käsesorten auf der Erde eine schier unerschöpfliche Aufgabe.

„Wenn einer von uns in den Urlaub fährt, bringt er oft einen Käse mit, den wir dann untersuchen“, erzählt Jo-Anne Petri. So habe neulich ein Kollege einen Käse aus Sardinien mitgebracht. „Der hat genauso geschmeckt wie der, den wir gerade in der Herstellung hatten.“

Auch der Geschmack des Fetas, den Petri mitentwickelt hat, ist schon sehr überzeugend. Die bröselige Konsistenz, der salzige, leicht säuerliche Geschmack kommt dem „echten“ Feta schon sehr nahe, ein Unwissender würde den Unterschied wohl kaum merken. „Für mich könnte er noch mehr nach Schaf oder Ziege schmecken“, meint Jo-Anne Petri. „Daran müssen wir noch arbeiten.“

Trotz aller Selbstkritik ist der Produktentwicklerin eine gewisser Stolz anzumerken. „Als ich hier angefangen habe, habe ich mir das kaum vorstellen können.“

Reicht der Laborkäse ans tierische Vorbild heran?

Mit Stolz öffnet Petri auch den Kühlschrank, in dem der Camembert lagert. Sofort steigt der charakteristische Geruch in die Nase, die weiße Schimmelschicht lässt den Käse auch äußerlich sehr echt erscheinen. Was aber ist mit den Nährstoffen, reicht der Laborkäse auch in dieser Hinsicht an sein tierisches Vorbild heran? „Was den Fett- und den Proteingehalt angeht, ja“, sagt Jo-Anne Petri, in puncto Mineralstoffe und Vitamine sei man aber noch nicht so weit.

In der Zukunft bleibt also noch viel zu tun. Neben der Anreicherung und Verfeinerung der bisherigen Käsesorten soll an weiteren gearbeitet werden. „Für viele Käsesorten eignet sich das Protein, das wir bisher herstellen können, nicht“, räumt Petri ein. Käse, der bei Hitze schmilzt und Fäden zieht, muss aus dem Milchprotein Kasein gemacht sein. Jo-Anne Petri gibt sich jedoch zuversichtlich: „Auch das werden wir bald herstellen können.“

Ob dieser Versuch am Ende glückt, bleibt genauso abzuwarten wie die Bewährungsprobe der neuen Käseprodukte auf dem Markt. Formo will keine Nischenprodukte anbieten, sondern Käse, der so erschwinglich ist, dass er seinem tierischen Vorbild im großen Stil vorgezogen wird. Nur wenn das gelingt, kann das Start-up das Ziel erfüllen, mit dem es angetreten ist: in Sachen Nachhaltigkeit einen echten Unterschied zu machen.

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2 Kommentare

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  • Das Dorf der Zukunft ist dann wohl eine molekularbiologische Produktionsgesellschaft weisshäubiger Wissenschaftler.

  • Ich drücke dem Unternehmen die Daumen, dass es nicht darüber stolpert, dass es mit Käsesorten beginnen muss, die auch mithilfe von Pflanzenmilch schon einigermaßen ersetzbar sind.



    Schnittkäse ist die wirkliche Herausforderung. Da wäre das neue Unternehmen quasi konkurrenzlos, wenn ihm das gelingt.



    Bis dahin scheint aber noch ein weiter Weg.