: Käpt'n Bangemann, geh du voran!
■ EG-Vizechef Martin Bangemann träumt von einem Boom des Schiffsverkehrs / Hanseatische Politiker total begeistert
/ Hanseatische Politiker total begeistert
„Ein ganz neues Verkehrssystem mit schnellen Schiffen und schnellen Häfen wird einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der Verkehrsprobleme leisten. Die maritime Industrie ist eine Zukunftsindustrie und eine High-Tech-Industrie — der Raumfahrt durchaus vergleichbar.“ Mit einem Werbe- Doppelschlag mischte gestern schwitzend und schnaufend das europäische Schwergewicht Martin Bangemann die beschauliche Ruhe von Hamburgs Medien und Schiffsindustrien auf. Zunächst predigte der freidemokratische Vize-Präsident der EG-Kommission vor der erlesenen Medienschar der Hamburger Landespressekonferenz, anschließend trichterte er im Ballsaal des Interkonti den krisenverschüchterten Verbänden für Schiffbau und Meerestechnik Optimismus und Selbstvertrauen ein.
Seine Botschaft: Der grenzüberschreitende Güterverkehr in der EG wird sich bis zum Jahr 2000 verdoppeln. Das können Straße und Schiene nie schaffen. Das Wasser hat noch Platz: auf Kanälen, Flüssen, Küstenmeeren und Weltmeeren. Diese Erkenntnis, die Bangemann mit IG-Metall-Küstenchef Teichmüller und der Wissenschaft teilt, hat sich in der Verkehrsrealität noch nicht ausgewirkt.
Wie gut vor allem er selber ist, verriet er Medien und Industrie gleichermaßen: Die „moderne Industriepolitik“ des Bangemann hat 1992 mit der Einrichtung eines europäischen maritimen Industrie-Fo-
1rums erstmals Politik, Industrie, Transporteure und Wissenschaft an einen Tisch gebracht. Ziel ist es, im Kampf mit der Lobby des Straßengüterverkehrs und der Betonorientierung der europäischen Verkehrsminister der maritimen Industrie jenes strategische Standing zu verschaffen, das ihr bislang fehlte. Bangemann will dem Seeverkehr Forschungsmittel zuschustern, Investitionen in Häfen und Schiffe
1umlenken, den Subventionsvorsprung des LKWs abbauen und, solange es nötig ist, die Subventionsschlacht der europäischen Schiffbauindustrie gegen Japan, China und Korea durchstehen.
Bangemann machte Bonn, dem EG-Ministerrat und den europäischen Verkehrsminister in diesem Zusammenhang bittere Vorwürfe. Sie verhinderten, daß schon heute mehr Güter den Wasserweg neh-
1men. Dabei weiß die Avantgarde der Marine-Experten auf ihren CAD-Computer-Bildschirmen schon längst, wohin der Dampfer schippern könnte: Eine neue Transportbox, größer als herkömmliche Container, könnte den Seenahverkehr revolutionieren. Die neue Box wird per Förderband aus der Halle an die Pier gefahren, wo ein hypermodernes Schiff, lang, schmal und mit 40 Knoten abenteuerlich
1schnell, die Box in Sekundenschnelle mit eigenem Geschirr an Bord hievt. Richtig kombiniert mit Schiene, Straße und Binnenschiff könnten, so schätzen Experten, zehn bis 30 Prozent der heutigen Güterverkehrsleistung aufs Schiff verlagert werden. Bangemann: „Wir stehen am Aufbruch in ein neues maritimes Zeitalter.“ Großer Beifall von Industrie und Politik im Interconti. Florian Marten
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