Kämpfer in Somalia: Fit für den Krieg mit deutschem Geld

Im somalischen Bulo Hawo bekämpfen sich Islamisten und regierungstreue Truppen, die Menschen sind geflohen: Was das mit der Bundesregierung zu tun hat.

Die somalische Regierung hat nicht mal die Hauptstadt Mogadischu voll im Griff: Islamistischer Kämpfer nach Gefechten mit regierungstreuen Truppen im Mai 2010. Bild: imago/xinhua

NAIROBI taz | Wenn es einen Inbegriff des Niemandslandes gibt, dann muss es so aussehen wie die staubige Dornbuschsavanne, die den Norden Kenias vom benachbarten Somalia trennt. In dem unwirtlichen Grenzstreifen östlich von Mandera, Kenias letztem Vorposten hier, sind selbst zu friedlicheren Zeiten nur wenige Händler unterwegs, die Gemüse oder Getreide in die somalische Grenzstadt Bulo Hawo bringen. Im Moment aber trauen auch sie sich nicht dorthin: denn in Bulo Hawo wird gekämpft.

"Nach allen Informationen, die ich dort bekomme, ist die Lage unverändert angespannt", weiß Emmanuel Nyabera vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Der 60.000-Einwohner-Ort ist praktisch menschenleer. "Die Bewohner sind geflohen, viele über die Grenze nach Kenia", bestätigt Achmed Mohammed Yusuf, einer der Ältesten von Bulo Hawo. Niemand möchte ins Kreuzfeuer von Islamisten und regierungstreuen Truppen geraten.

Und doch fristen mehr als 7.500 Flüchtlinge ihr Dasein derzeit in Schussweite von Bulo Hawo entfernt. Sie kampieren im Niemandsland, seit Kenias Polizei ihnen ein Ultimatum gestellt hat. "Die Polizisten haben den Flüchtlingen ein paar Stunden gegeben, um wieder nach Somalia zu verschwinden", weiß Nyabera. Erst hieß es, die Flüchtlinge - vor allem Frauen und Kinder - könnten in einem zehn Kilometer entfernten Flüchtlingslager untergebracht werden.

Somalia hat seit 1991 keine stabile Regierung mehr. Der Norden des Landes hat sich als Republik Somaliland abgespalten, der Nordosten ist unter dem Namen Puntland faktisch selbständig. Im Südteil Somalias ist die mächtigste Macht die radikalislamistische Miliz al-Shabaab (Jugend). Sie arbeitet zunehmend mit al-Qaida zusammen. Die Hauptstadt Mogadischu ist zwischen den Islamisten und einer Anfang 2009 gebildeten Übergangsregierung unter Präsident Sheikh Sharif Ahmed, früher selbst gemäßigter Islamistenführer, geteilt. Mangels eigener Armee wird die Übergangsregierung von rund 7.200 Soldaten aus Uganda und Burundi im Rahmen einer Eingreiftruppe der Afrikanischen Union (Amisom) unterstützt, mit logistischer Hilfe der USA. Kämpfe zwischen Amisom und al-Shabaab fordern regelmäßig in Mogadischu zahlreiche Opfer; dieses Jahr sind in Mogadischu bereits über 2.100 Zivilisten getötet worden. In Uganda bildet die EU somalische Soldaten für die Übergangsregierung aus, in Äthiopien entstehen Polizeikräfte. Die Regierung versucht, mit diesen Truppen eine zweite Front gegen al-Shabaab im Süden des Landes zu eröffnen. (d.j.)

"Aber dann gab es die Ansage: Schickt die Somalis zurück dahin, wo sie herkommen, es ist sicher genug dort", so Nyabera. Dort, wo die Flüchtlinge sich jetzt befinden - weder in Somalia noch in Kenia -, kann ihnen niemand helfen: Nach Völkerrecht sind sie derzeit weder intern vertrieben noch auf der Flucht, so dass sich weder das UNHCR noch der somalische rote Halbmond zuständig fühlen. Weil jederzeit neue Kämpfe ausbrechen könnten, traut sich zudem niemand in die Nähe der verzweifelten Bewohner von Bulo Hawo, die ohne Wasser und Nahrungsmittel unter freiem Himmel kampieren.

Somalias international anerkannte, militärisch aber weitgehend machtlose Regierung spricht dennoch von einem Erfolg. Die Offensive unter der Führung des somalischen Parlamentsabgeordneten Barre Aden Hiirale sei erst der Start einer neuen Front gegen die islamistischen Shabaab-Milizen, die Bulo Hawo und die umliegende Provinz Gedo seit einem Jahr kontrollieren, heißt es aus dem Präsidentenpalast aus Mogadischu. Besonders stolz ist die gleiche Quelle darauf, wie der Sieg errungen wurde: mit Hilfe von hunderten somalischen Kämpfern nämlich, die mit deutschem Geld in Äthiopien ausgebildet wurden - "zu Polizisten", wie es heißt. Befürchtungen, die für Somalias Verhältnisse hervorragend ausgebildeten Sicherheitskräfte könnten in den sich zuspitzenden Krieg zwischen Regierung und Islamisten verwickelt werden, haben sich in Bulo Hawo offenbar bewahrheitet.

Nachdem der Aufenthaltsort der Polizisten nach Ende der Ausbildung wochenlang unbekannt war, räumt die Bundesregierung inzwischen ein, dass die für den Polizeieinsatz in Mogadischu ausgebildeten Kräfte sich - nach Angaben der Übergangsregierung - in Gedo und der nordöstlich angrenzenden Provinz Bakool befinden. In einer der taz vorliegenden Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, ob die mit deutscher Hilfe ausgebildeten "Polizisten" an den Kämpfen in Bulo Hawo beteiligt waren, räumt Außenstaatssekretär Werner Hoyer dies ein. "Die Bundesregierung kann nicht bestätigen, dass die betreffenden Polizisten in solche Gefechte verwickelt waren. Angesichts der Lage in Somalia und der häufigen Angriffe auf Polizei und Sicherheitskräfte kann dies aber auch nicht ausgeschlossen werden."

Das von der Bundesregierung zunächst mühsam aufrecht gehaltene Bild eines "Polizeieinsatzes" der gut 1.000 ausgebildeten Männer in Abgrenzung zu einem militärischen Einsatz ist damit endgültig dahin. Kenner Somalias hatten die Unterscheidung von vornherein als absurd kritisiert: Seit fast zwanzig Jahren kennt das Land nur Bürgerkrieg. "In Somalia zeigt sich, wie verantwortungslos die Ausbildungs- und Ausstattungshilfe ist, mit der Bundesregierung und EU weltweit Militärregime und Bürgerkriegsparteien unterstützen", sagt die Abgeordnete Dagdelen.

Der deutsche Alleingang sorgt auch unter für Somalia zuständigen Diplomaten seit Monaten für Unmut: Anstatt die Ausbildung, wie üblich, mit den UN zu koordinieren, hatte Deutschland eine Million Euro aus Mitteln des Auswärtigen Amtes an die äthiopische Regierung überwiesen. Äthiopien, selbst Partei im somalischen Bürgerkrieg, bildete damit die gut 1.000 Rekruten in einem abgelegenen Stützpunkt aus. Bis heute ist unklar, nach welchen Kriterien die Rekruten ausgewählt wurden und ob internationale Ausbildungsstandards eingehalten wurden. UN-Beobachter hatten mehrfach vergeblich versucht, sich ein Bild von der Lage zu machen.

Wenn es stimmt, was der inzwischen zurückgetretene somalische Premier Omar Ali Sharmake Ende September vor Journalisten in Mogadischu erklärt hat, ist das Gefecht in Bulo Hawo erst der Anfang. "Wir werden eine zweite Front im Süden eröffnen", so Sharmake. Die gut 1.000 mit deutschem Geld ausgebildeten Kämpfer würden gemeinsam mit 2.000 kenianischen Spezialeinheiten strategische Ziele angreifen. Dazu gehöre auch die Hafenstadt Kismayo, wo die Shabaab nach Ansicht von Analysten mit Schmuggel die Millionen einfährt, die sie zur Finanzierung des Kampfes gegen die Regierung braucht.

"Wir werden diese ausländisch ausgebildeten Truppen bis Ende des Jahres einsetzen, um die Islamisten schnell zu schwächen", versicherte Sharmake damals. Sein Nachfolger als Premier, der US-Bürger Mohammed Abdullahi Mohammed, hat sich zu der geplanten Offensive bislang noch nicht geäußert. Doch obwohl Mohammed eine neue Politik verspricht - erstmals in der jüngeren Geschichte wurde ein Kabinett aus Technokraten statt aus Clan-Hierarchen gebildet -, steht außer Zweifel, dass sein erstes Ziel ist, die Islamisten zu besiegen.

Die im Ausland ausgebildeten Spezialkräfte könnten sich dabei wegen ihrer guten Ausbildung als eine Art Trumpf im Konflikt erweisen - allerdings nicht zwangsläufig für Mohammeds Regierung, sondern für denjenigen, der besser bezahlt. Bislang, so gab schon Mohammeds Vorgänger Sharmake zu, bezahlt die Übergangsregierung ihre Soldaten bestenfalls unregelmäßig. "Manche kriegen fünf Monate lang keinen Sold", wetterte Sharmake kurz vor seinem Rücktritt. "Man kann nicht erwarten, dass diese Truppen loyal ihr Land verteidigen, wenn sie nicht bekommen, was sie verdienen."

Islamisten haben es entsprechend leicht, regierungstreue Soldaten abzuwerben. Der somalische General Yusuf Hussein Osman, bis zu seinem Rücktritt Ende 2009 Stabschef der somalischen Armee, weiß, dass immer mehr regierungstreue Truppen samt kompletter Ausrüstung desertieren oder zumindest ihre Waffen an den Feind verkaufen. "Die Regierungsarmee ist die wichtigste Waffenquelle für die Islamisten", glaubt Osman. "Unbezahlte Soldaten lassen sich von ihnen leicht bestechen."

Dabei könnte die Gefahr von Überläufern mit vergleichsweise wenig Geld gebannt werden: Der Sold beträgt gerade einmal 100 US-Dollar pro Monat, nicht einmal 75 Euro. Bilden die UN somalische Sicherheitskräfte aus, zahlen sie den Sold, um zu verhindern, dass ihre Hilfe sich ins Gegenteil verkehrt. Die Bundesregierung hingegen weigert sich bis heute, für die von Deutschland ausgebildeten Männer zu bezahlen - und das, obwohl sie sich in einem Abkommen mit den UN dazu verpflichtet hat.

"Die betreffenden Polizisten werden noch nicht von Deutschland bezahlt", sagt Außenstaatssekretär Hoyer. Die Umsetzung setze "die Rückkehr der Polizisten nach Mogadischu voraus, die bislang nicht geschehen ist". Tatsächlich rechnet niemand, auch nicht die für Somalia zuständige deutsche Botschaft in Nairobi, damit, dass die "Polizisten" je nach Mogadischu kommen werden. Über Land ist die Stadt unmöglich zu erreichen. Und Flüge, die den Sicherheitskräften die Reise ermöglicht hätten, wollte Deutschland nicht bezahlen. Das nach einem taz-Bericht im Juli geschlossene Abkommen zwischen Deutschland und dem UN-Entwicklungsprogramm wird deshalb von vielen UN-Vertretern in Nairobi als Scheingeschäft kritisiert.

Die deutsche Untätigkeit könnte schwere Folgen haben. Die Islamisten der Shabaab haben angekündigt, die somalische Übergangsregierung militärisch in die Knie zu zwingen - mit allen Mitteln. Der Sprecher der Shabaab-Miliz, Sheikh Ali Mohammed Hussein, rief vor zwei Wochen über islamistische Radiosender und Zeitungen Frauen und Kinder auf, zum Sieg beizutragen. "Kauft Gewehre und Munition für eure Kinder, denn der Koran sagt: Jemanden für den heiligen Krieg auszurüsten ist so gut, wie selbst an ihm teilzunehmen." Sheikh Hussein zufolge sollen in den vergangenen Wochen bereits hunderte Frauen und Kinder in somalischen Camps zu Selbstmordattentätern ausgebildet worden sein. Zwar lassen sich diese Behauptungen nicht überprüfen, doch unwahrscheinlich sind sie nicht.

Derzeit herrscht in Mogadischu, der einzigen Stadt, wo die Übergangsregierung überhaupt Gelände kontrolliert, ein militärisches Patt. Fällt Mogadischu, beherrschen die Islamisten das ganze Land. Für international aktive islamistische Terrorgruppen, die nach neuen Basen suchen, wäre das eine fantastische Nachricht. Nach den tödlichen Shabaab-Anschlägen in Uganda nach der Fußball-WM fürchten Somalias Nachbarstaaten schon jetzt neue Anschläge.

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