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Käfer zertrümmernIm Zerstörungsrausch

Wozu sind Menschen bereit, wenn Autoritäten ihnen die Erlaubnis dazu geben? Ein Happening in Bremen offenbart ein großes Gewaltpotenzial.

Es ist noch Nachschub da: Käfertreffen auf dem Messegelände in Hannover Foto: Julian Stratenschulte/dpa

N achher liegt da nur noch ein Haufen Schrott und die Frage ist, was der bedeuten kann: Zeigt er die Therapiebedürftigkeit des Publikums an? Bevor das Publikum die Bühne der Bremer Schwankhalle betreten hat, hatte da noch ein liebevoll gepflegter VW Typ 1, grün-metallic, gestanden, wahrscheinlich in einer Zeit gebaut, als auch der Konzern ihn schon offiziell als Käfer zu bezeichnen begonnen hatte und die vormalige Stadt des Kraft-durch-Freude-Wagens Fallersleben schon lange Wolfsburg hieß.

Aber das spielt keine Rolle für „Die Verwandlung“. Das möglicherweise gerade in seiner Stumpfheit gute Framing hat Manuel Gerst entworfen. Das Happening lief 2024 zuerst in Köln, dann lief es in Berlin, es lief in Stuttgart, es lief nun zur Saisoneröffnung der Spielstätte für Performing Arts in Bremen, und in Augsburg beim Brecht-Festival läuft es bestimmt auch, denn da ist Mark Schröppel Intendant, der als Produktionsleiter sicherstellt, dass sich die große Zuschauerfamilie keine Sorge machen muss, „darüber, wie das Zeug weggeschafft werden soll“, wie es bei Franz Kafka heißt, natürlich auch in Bremen.

Von Kafkas Erzählung hat die Show den Titel und den ersten Satz entlehnt, laut dem Gregor Samsa sich eines morgens in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt in seinem Bett wiederfindet. Er wird, zu Beginn, auf Deutsch und auf Englisch in weißer Schrift über die Bühne projiziert. Dann geht der Spot an: im Zentrum das Auto, links und rechts Tische mit Gegenständen.

Wer auf die Bühne will, muss zuvor einen Haftungsausschluss unterzeichnen. Viele tasten noch nach den unter den Stuhl geklebten Kits, in denen sich das Formular, ein Stift, eine Schutzbrille sowie Arbeitshandschuhe befinden, da hat das Kaputtmachen schon begonnen, wie auf Befehl.

Brachiale Werkzeuge

Dabei ist hier nichts befohlen, sondern Gewalt nur erlaubt und nahegelegt worden: Es stehen brachiale Werkzeuge parat, Vorschlaghämmer, eine Mistforke, Äxte. Deren implizite Handlungsanweisung übertönt den Appell der moderateren Requisiten wie Sprühsahne, Kürbis oder Farbspraydosen. Und Impulse zu unbewaffneter Zärtlichkeit werden schnell verworfen: „Als ich auf der Bühne stand, dachte ich, das Auto zu streicheln, wäre seltsam“, erläutert die junge Frau, die als erstes ihren Sitz verlassen hat, später ihre Motivation. „Also habe ich den Hammer genommen.“

Dieses protestantisch-schnörkellose Denken prägt den Vorgang in Bremen: „Ihr habt das jetzt mehr so nur zerstört“, wird Schröppel im Nachgespräch sagen. Anderswo hätten andere Optionen des Umgangs mit dem Käfer anfangs mehr im Vordergrund gestanden. Aber auch dort hatte am Ende jeweils ein verbeulter, verklebter und beschleimter Trümmerhaufen dagelegen, und das ist schon in Ordnung. Alle wissen das, und das reicht, um den Wunsch, sich der Aktion entgegenzustellen – Mensch, Leute, das ist doch der arme Gregor, wieso hasst ihr ihn so?! – als lächerlich im Keim zu ersticken.

Wäre auch gefährlich. Die Zerstörungswilligen wirken wie in ihrem Vernichtungswerk gefangen. Es habe Freude gemacht, wird später behauptet. Im Geschehen teilt sich das nicht mit: Es sieht aus, als würde hier eine Pflichtaufgabe abgearbeitet, verbissen, meist stumm. Nur manchmal rutscht jemandem ein verdruckster Juchzer raus.

Adorno hatte die Neigung zu besinnungsloser Gewalt eher bei der Landbevölkerung verortet. Das Vorurteil bestätigt sich in Bremen nicht. Hier nutzen vornehmlich Insassen der urbanen Kunstblase die Gelegenheit, straffrei eine Windschutzscheibe einzuschlagen. Kafka? Symbolische Ebenen? Darauf wird geschissen. Dann ist es vorbei, vom Wrack wird abgelassen, es kommt ein knatschiger Song aus den Boxen, zum Schluss noch Goldkonfetti.

Zuschauen ist hier eher ein Aushalten. Die Stimmung danach ist ganz und gar nicht gelöst. „Meine Traumvorstellung wäre“, sagt Manuel Gertz beim Talk, als ginge es darum, sich für etwas zu entschuldigen, „dass eine Stunde lang nichts passiert, keiner sich rührt, das Publikum das einfach aushält.“ Aber ganz ehrlich wirkt das nicht.

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Reporter und Redakteur
Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.
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