■ Abt. Seltsame Hobbies: Der Volle-Zigarettenschachtel-Sammler: Käfer auf dem Wohnzimmertisch
Kein Tabakladen der Welt hat so eine große Auswahl vorzuweisen: 2.272 verschiedene Zigarettenschachteln aus 86 Ländern stehen gut sortiert in Harald Reineckes selbstgebastelten Regalen, daheim im Büro seines Kladower Reihenhauses. Alle Packungen sind ungeöffnet, und obwohl der 53jährige leidenschaftlicher Raucher ist, rührt er die Schmuckstücke auch in höchster Tabaknot nicht an. Was er sich selbst verbietet, dürfen andere sowieso nicht. Sein Sohn hat vor Jahren, als er noch nicht rauchen durfte, ein Dutzend Tabakstäbchen aus einer Schachtel entwendet, und auch der Kater Müller soll sich einmal an der Sammlung vergriffen haben. Da gab es tagelang Zoff im Hause Reinecke. Meister Müller erhielt sogar absolutes Zimmerverbot.
Vor rund 20 Jahren hat der Großhandelskaufmann aus Berlin mit dem Zigarettenschachtelsammeln begonnen. 1978 entdeckte er in Luxemburg die wunderschöne Packung der Marke „Twiggy 25“. Das Design mit dem Liebespärchen, das vorzugeben scheint, ein Zug dieser Zigarette schütze vor Aids und kleinen Kindern, hat Reinecke wohl mehr beeindruckt als der Geschmack der fremden Glimmstengel. Die Packungen wurden in einer Glasschale zur Dekoration ausgestellt; fortan fragte Reinecke an jedem Kiosk nach Schachteln mit interessantem Layout. Schon bald mußten Schachtelablagen gezimmert werden.
Brigitte Reinecke unterstützt die kuriose Leidenschaft ihres Gatten: „Auf Reisen hält mein Mann Ausschau nach Neuerscheinungen, und ich gehe ins Museum. Streit um das Reiseprogramm haben wir schon lange nicht mehr gehabt.“ Dafür gibt es bei Reineckes anstrengende Verhandlungen darüber, wo die nächsten Zigarettenschachtelregale aufgestellt werden. Frau Reinecke bleibt hart: „In der Diele möchte ich nur die schönen Exemplare sehen.“ Aber da kann man natürlich unterschiedlicher Meinung sein. Im Treppenflur steht zum Beispiel die Totenkopf- Serie von „Black Death“. Attraktiv sind aber auch die sowjetischen „Papyrossa“ mit Tatarenbebilderung, die indischen „Beedies“ in Kegelform und eine schlichtere Verpackung aus den zwanziger Jahren, auf der folgendes zu lesen ist: „Um die Qualität dieser Cigarette nicht durch teure Ausstattung leiden zu lassen, vermeiden wir jeden Verpackungsluxus.“
Ob's der Zigarette schadet, wenn auf der Verpackung Blümchen oder blanker Busen gedruckt sind, mag man bezweifeln, ein kleines Ungeheuer indes macht dem Tabak ungeheuerlich zu schaffen. „Plötzlich liefen schwarze Käfer über den Wohnzimmertisch“, berichtet Harald Reinecke, und zunächst wußte er nicht, woher die Tierchen kamen. Ein Zigarettenhersteller gab den entscheidenden Hinweis: Nachdem der Tabakkäfer aus seinen Larven geschlüpft war, fraß er sich durch Kraut und Verpackung. Deshalb steckte Reinecke all seine Schachteln ins Gefrierfach. „Bei minus 18 Grad Celsius werden die Maden normalerweise abgetötet.“ Neue Sammelstücke werden nun grundsätzlich einer dreitägigen Eistherapie unterzogen. Doch nicht immer ist der Frost nötig: Aus China kamen Zigarettenpackungen mit Bonbons, in einer spanischen Schachtel waren sogar Kondome versteckt. Nur durch einen Zufall outete Reinecke die Exoten: „Das raschelte so seltsam. Weil ich die Packung doppelt hatte, öffnete ich sie. So kam der falsche Inhalt zum Vorschein.“
Nicht nur Freunde, Bekannte und Nachbarn bringen Harald Reinecke neue Packungen aus dem Urlaub mit, sondern auch Zigarettenhersteller schicken dem Sammler eine Kiste aus ihrem Angebot. Den umständlichsten Weg hat ein kleiner Karton von British American Tobacco hinter sich. Vom Spandauer Werk wurden die Zigaretten in den Irak verschifft, und von dort kamen sie schließlich zurück nach Berlin zu Reinecke. Beinahe wäre ein Zigarettentransport überhaupt nicht angekommen. Weil Reinecke sich weigerte, erhöhte Einfuhrgebühren zu bezahlen, mußte er den Zollbeamten zwei Stangen der kenianischen „Rooster“ überlassen – obwohl er Zeitungsartikel aus dem Spandauer Lokalblatt vorweisen konnte, die den Zweck seines Importversuchs beweisen konnten.
Harald Reinecke läßt sich durch solche Erlebnisse nicht abschrecken. Sein Hobby ist ihm heilig, auch wenn er selten Sammler mit gleichem Spleen findet.
Laut dem Guinness-Buch der Rekorde soll der Italiener Claudio Rebecchi aus Modena sogar 125.678 Schachteln aus 267 Ländern zusammengetragen haben. „Na ja, das sind doch nur leere Packungen und Banderolen“, kommentiert Harald Reinecke diesen Rekord, „der bräuchte ansonsten eine Lagerhalle, um seine Bestände unterzubringen.“ In Berlin ist ihm nur ein weiterer Zigarettenschachtelsammler bekannt. Der geschätzte Kollege hat es bislang auf rund 1.300 Schachteln gebracht. Reineckes Zahlen wird er aber vermutlich nie übertreffen: „Der arme Kerl muß die Packungen leider vor seiner Frau im Keller verstecken. Die hat wirklich nicht begriffen, daß Zigarettenschachteln Freude bereiten können.“ Carsten Otte
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