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Kabinett in der UkraineLangzeitminister tritt ab

Niemand hatte in der Ukraine nach der Maidan-Revolte so lange ein Ministeramt inne wie Arsen Awakow. Nun hat er seinen Rücktritt erklärt.

Galt lange als Nummer zwei im Staat: Arsen Awakow Foto: Pavlo Bagmut/imago

Kiew taz | 2.694 Tage war Arsen Borisowitsch Awakow ukrainischer Innenminister. Niemand hatte in der Zeit nach der Maidan-Revolte so lange ein Ministeramt in der Ukraine inne wie er. Doch am Dienstag war es vorbei. Ohne auf die Gründe seiner Entscheidung einzugehen, erklärte er seinen Rücktritt, fügte der Erklärung noch ein handschriftliches „Ich habe die Ehre“ hinzu.

Es bleibt ein Geheimnis, wie der 1964 im aserbaidschanischen Baku geborene Armenier es geschafft hatte, alle Regierungsumbildungen in der Ukraine zu überleben. Rechtzeitig hatte er Anfang 2019 erkannt, dass es Petro Poroschenko nicht mehr zu einer zweiten Amtsperiode schaffen würde. Er diente sich Wolodimir Selenski an. Nicht auszuschließen, dass Selenski Awakow nur deswegen als Innenminister übernahm, weil er ein derartiges politisches Schwergewicht nicht zum Gegner haben wollte.

Auch wenn Grund und Anlass des Rücktritts, der sogar die Deutschland-Reise Selenskis von den Headlines verdrängte, im Dunkeln bleiben, ist doch offensichtlich, dass der Präsident es mit einem so eigensinnigen Minister nicht mehr ausgehalten hat.

Awakow hatte sich öffentlich Gedanken über eine Lösung des Konfliktes in der Ostukraine gemacht, Beschlüsse des nationalen Sicherheitsrates häufig nicht mit unterschrieben, sich ohne Absprache mit dem Charge d’Affaires der US-Botschaft, George Kent, getroffen und immer noch russisch gesprochen, während seine Kollegen schon längst nur noch auf ukrainisch zu hören waren.

Liebhaber französischer Weine

Der Vater eines Sohnes hatte 1988 das polytechnische Institut seiner Heimatstadt Charkiw als Ingenieur für Systemtechnik abgeschlossen. Bei den Wahlen zum Charkiwer Oberbürgermeister 2010 erreichte er 29,46 Prozent der Stimmern und unterlag damit nur knapp Gennadij Kernes, der 30,09 Prozent erhielt. Der Gegner von Viktor Janukowitsch schloss sich der Maidan-Bewegung an, war selbst einer seiner Kommandeure. Nur wenige Tage nach der Flucht von Janukowitsch wurde er am 22. Februar 2014 zum Innenminister ernannt.

An Feinden mangelt es ihm nicht. Der Hit in den sozialen Netzen war der Mitschnitt einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrates am 14. Dezember 2015, in dem der damalige Gouverneur von Odessa, Michail Saakaschwili, Awakow als Dieb bezeichnet hatte. Wütend über diese Äußerungen schleuderte der Innenminister seinem Widersacher ein Glas Wasser ins Gesicht.

Ganz von der Hand zu weisen sind Saakaschwilis Behauptungen nicht. Ende 2018 wurde Awakows Sohn Alexander vorübergehend festgenommen. Er hatte bei der Bestellung von 6.000 Armeerucksäcken eingefädelt, dass eine ihm nahestehende Firma den Zuschlag bekommt.

Nun spekulieren ukrainische Medien über die weiteren Pläne des Liebhabers französischer Weine, alter Ikonen und teurer Uhren. Nein, neuer Ministerpräsident werde Awakow nicht werden, beeilt sich der Fraktionschef der Präsidentenpartei „Diener des Volkes“, David Arachamija, zu versichern. Wohl aber werde man ihm eine Tätigkeit im staatlichen Sektor anbieten.

Doch es ist fraglich, ob sich Awakow, der lange als die Nummer zwei im Staat galt, mit einer Tätigkeit als einfacher Beamter abfinden wird. Möglich, dass er sich zu einer Kandidatur in seiner Heimatstadt Charkiw entschließen wird. Dort finden nach dem Tod seines langjährigen Widersachers Gennadij Kernes am 31. Oktober Bürgermeisterwahlen statt.

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1 Kommentar

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  • Heute morgen die taz aufgeschlagen und erstmal gestutzt:



    Langzeitinnen-minister? Muss das in der taz nicht Langzeit*Innen-Minister heißen?



    Und seit wann hat die Langzeit mehrere Geschlechter?



    Ich hab' mindestens 90 Sekunden gebraucht, bis ich das Wort verstanden hatte!



    Gendern kann so lustig sein!