Kabarettist und Sänger über Hass: „Ich bin ein liebevoller Mensch“
Serdar Somuncu möchte auf der Bühne nicht wie ein Priester auftreten. Normen und Moral haben für ihn in der Kunst nichts zu suchen.
taz: Herr Somuncu, bis vor Kurzem standen Sie mit Ihrem Kabarettprogramm „Der Hassprediger reloaded“ auf der Bühne. Da gaben Sie den Wüterich, zogen über Prominente, die katholische Kirche und heikle politische Themen wie Integration und Merkels Griechenland-Politik gleichermaßen her. Woher nehmen Sie diesen ganzen Hass?
Serdar Somuncu: Der Hass ist eine Lebenserfahrung, die sich in die Rolle meiner Kunstfigur schmuggelt. Dieses Gefühl ist nur ein Teil von mir, wenn auch der auffälligste Teil. Ich habe in meinem Leben oft Wut gehabt und habe sie immer noch. Als Schauspieler kann man sie in seine Rolle einflechten, das ist natürlich super. So muss ich die Wut nicht an Mitmenschen auslassen.
Darf Ihre Kunstfigur Dinge aussprechen, die der private Serdar Somuncu nie sagen würde?
Ja. Auch umgekehrt. Die Kunstfigur darf das, was ich persönlich sagen würde, nicht aussprechen, weil es sonst zu moralisch und zu parteiisch wäre.
Was ist schlimm an Moral?
Moral ist grundsätzlich überhaupt nicht schlimm. Nur manchmal ist es pathetisch, wenn man aus einer Figur heraus moralisch wird und plötzlich redet wie ein Priester. Wenn man an einem Kabarettabend herausfinden will, wie es sich anfühlt, die Grenzen zu brechen, und man sich dann selbst relativiert – das ist sehr pathetisch. Es wäre auch eine unangebrachte Anleitung für ein Publikum, das intelligent genug ist zu wissen, dass die gesagten Dinge auf der Bühne nur zu einem bestimmten Teil so gemeint sind.
1968 in Istanbul geboren, mit zwei Jahren kam er mit seinen Eltern nach Deutschland. In Maastricht und Wuppertal studierte er Schauspiel, Komposition und Regie. Der Kabarettist tourt mit eigenen Programmen, ist Theaterschauspieler und Musiker.
Nach seinem ersten Album, „Dafür kommt man in den Knast“ (2011), veröffentlicht er gemeinsam mit dem Rapper André Fuchs alias Onkel Zwieback am Freitag sein zweites Album: „Wir Beide“ (Sean Music, 18,99 Euro)
Gibt es etwas, worauf Sie keinen Hass haben?
Ja, klar. Ich bin ein sehr liebevoller Mensch und glaube, dass man nur lieben kann, wenn man viel Hass in sich trägt. Für jedes Gefühl, das man intensiv empfinden will, braucht man den extremen Gegenpol. Ich bin aber auf keinen Fall jemand, der nur rumbrüllt und alles schrecklich findet.
Im Alter von zwei Jahren sind Sie als gebürtiger Istanbuler nach Deutschland mit Ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Hat Ihre türkische Abstammung Einfluss auf Ihre Karriere genommen?
Sicher spielt meine Herkunft eine wichtige Rolle. Wegen ihr brauchte ich mit 16 eine Aufenthaltserlaubnis, was mich sehr wütend gemacht hat. Ich fühlte mich ausgegrenzt, obwohl ich dieselbe Sprache sprach, auf die gleiche Schule ging, ich mich mit allem identifizierte. Es wurde verlangt, dass ich meine türkische Identität aufgebe, damit ich hier teilhaben kann. Diese Wut hat mich allerdings motiviert, Ungerechtigkeit anzuprangern.
Im Beruf war meine Herkunft Fluch und Segen. Anfangs musste ich mir ständig anhören, dass ich als Türke nur den Kriminellen spielen könne. Ein Segen war sie insofern, dass ich als gebürtiger Türke aus dem Rahmen fiel. Das machte mich interessant.
Ihre Shows wurden im Fernsehen zensiert.
Ja, das stimmt. Das ist nicht nur ein Mal passiert. Fernsehredakteure und Sender, die man für aufgeschlossen hält, maßen sich an zu bestimmen, was gesendet wird und was nicht. Damals war ich wie ein Schläfer, ein Bombenattentäter, der darauf gewartet hat, die Bombe hochgehen zu lassen. Comedian zu sein und einen auf Anstandskanaken zu machen – die perfekte Tarnung – funktionierte auch. Je bekannter ich wurde, desto freier konnte ich Texte sprechen. Ich war der erste Radikalcomedian.
Sie sind nicht nur Comedian, sondern auch Musiker. Am 20. September veröffentlichen Sie mit dem Rapper André Fuchs alias Onkel Zwieback das Album „Wir Beide“. Was unterscheidet Ihre Soloarbeit von der als Teil eines Duos?
Dadurch, dass das Album ein gemeinsames Projekt ist, nehme ich mich zurück und benutze sie nicht als Plattform. Die Musik gehört zu meinen Leidenschaften. Ich habe ja auch Schlagzeug und Komposition studiert.
Das Lied „Warum siehst du so aus“ kommt als typisch harmloser Popsong daher. Darin wird aber eine Frau besungen, die so aussieht, „als hätte man ihr gerade den Schwanz aus dem Mund gezogen“. Ist das Zurückhaltung?
Das ist witzig, denn die meisten Frauen sind darüber total schockiert. Dabei ist es eine Parodie auf Frauen, die sich die Lippen aufspritzen lassen.
Finden Sie, dass Kunst Grenzen haben sollte?
Wenn Kunst die Unzulänglichkeit überdeckt, kommunizieren zu können, dann ist es schlechte Kunst, weil sie zu therapeutisch ist. Da würde ich die Grenze ziehen. Wenn Kunst allerdings ein Ausdrucksmittel ist, um all das sagen zu können, was man sagen will, dann hat sie einen Dialog zur Folge. Und genau das soll sie haben.
Der Künstler Jonathan Meese provoziert gern, indem er den Hitlergruß zeigt. Überschreitet Kunst da eine Grenze?
Nein, sie hat in dem Sinne keine Grenzen. Kunst ist immer ein Abbild der Realität, und in dieser gibt es auch kein „Man darf nicht“, wenn man sich Normen und Moral wegdenkt. Prinzipiell ist alles möglich.
Die Splitterpartei „Pro Deutschland“ zieht gerade durch das Land und hetzt gegen Linksextreme und Ausländer. In deren Grundsätzen steht, dass der Hitlergruß bei ihnen nicht gezeigt werden darf.
Ich lasse mich nicht mehr auf verkopfte Diskussionen darüber ein, ob irgendwelche Wichser Wichser sind und Künstler Künstler sein dürfen. „Pro Deutschland“ sind Wichser. Und mit ihrer Aussage kaschieren die doch nur, dass sie Nazis sind. Jonathan Meese ist kein Nazi, und er kann hunderttausend Mal den Hitlergruß zeigen. Ich verstehe nicht, dass ein Künstler hier vor Gericht gestellt wird. Die Leute wollen ständig Gesprächsstoff haben und suchen sich dann so was aus, obwohl es genug andere Gründe gäbe, gegen rechts zu sein. Heinz Buschkowsky …
… der SPD-Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, der in seinem Buch „Neukölln ist überall“ die Integrationspolitik kritisierte und mehr Härte gegenüber vermeintlich nicht anpassungswilligen Migranten forderte.
Warum steht der nicht vor Gericht? Das, was er geschrieben hat, ist ein geistiger Hitlergruß.
Was denken Sie über das Buch „Er ist wieder da“ von Timur Vermes, in dem Hitler im Jahre 2011 in Berlin plötzlich wiederauftaucht?
Bei Vermes wird Hitler zu einem Comedian, der im Quatsch Comedy Club spielt. Ich fand die Parallele zu mir schon krass. Redakteure haben Angst, dass der lustige Hitler im Fernsehen etwas Falsches sagt. Die Beschreibung kenne ich, das ist meine Arbeit der letzten zwanzig Jahre! Es ist traurig, dass da jetzt jemand kommt und diese Thematik verkommerzialisiert und die Masse das abfeiert. Jahre zuvor hätten sie viel ehrlichere Arbeiten abfeiern müssen, die keine Unterstützung gefunden haben.
Welche denn?
Die Berliner Rapper K.I.Z. haben dieses Jahr zum Beispiel ein schönes Lied über Hitler gemacht. Der jüdische Comedian Oliver Polak hat im Musikvideo Hitler gespielt. Was gibt’s Geileres? Und das meine ich, das sieht keiner, weil es weder populär noch kommerziell zu verwerten ist. Es bleibt Underground. Aber oft ist der Underground Inspiration für die Leute, die dann Profit daraus schlagen wollen.
Sie haben dieses Thema doch auch verkommerzialisiert.
Nein. Ich habe es zu einer Zeit behandelt, als es noch innovativ war. Was ich mache und gemacht habe, ist Aufklärungsarbeit.
Hat es Sie Überwindung gekostet, Judenwitze auf der Bühne zu erzählen?
Nein. Je gewagter, desto interessanter. Deswegen ist mein Leitsatz ja: Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung. Ich bringe auch keine Judenwitze als Selbstzweck, ich teste Befindlichkeiten und beobachte die Reaktion der Leute. Was ich sage, drücken andere viel schlimmer aus, weil sie es ernst meinen. Bei mir ist die Klammer dabei, dass ich es auf einer Bühne mache. Und Bühnen sind unter anderem für Schauspieler da, dieser Unterschied muss ganz klar sein.
Was sind Ihre nächsten Projekte?
Ein halbes Jahr mache ich noch Kabarett. Danach mache ich erst einmal Musik. Ich hätte auch gerade tierischen Bock, wieder ans Theater zurückzugehen. Aber gibt es denn einen türkischen Regisseur in Deutschland? Es sei denn, er nennt sich Fatih Akin und dreht Filme über sich selbst. Der Affe muss halt ’ne Banane essen, sonst wird er zu menschlich. So ist das bei den Türken auch. Wenn sie keine Filme über sich selbst drehen, bei dem mindestens ein bärtiger Vater auf dem Sofa sitzt, geht das nicht. Deswegen hat man als türkischer Schauspieler nur eine Wahl: Entweder du machst die Nutte oder nicht. Ich mach’s nicht.
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