Kabarettist Dieter Hildebrandt: "Ich bleibe AZ-Abonnent"
Kabarettist Dieter Hildebrandt hat ein Treueverhältnis zu seiner Abendzeitung. Einst spielte er den Klatsch-Fotografen Herbie Fried in Helmut Dietls Fernsehserie "Kir Royal".
taz: Herr Hildebrandt, als Baby Schimmerlos' Fotograf Herbie Fried in "Kir Royal" kriegten sie Blondinen ins Bett, weil die in die AZ wollten. So potent war die AZ?
Dieter Hildebrandt: Na ja, die sogenannte Gesellschaftsspalte wurde nicht von Herrn Graeter erfunden, sondern von seinem Vorgänger Hunter. Der hat eine Art Schleuse eingerichtet: Wer prominent war, wurde bei ihm erwähnt, wer nicht, wollte rein. Die Lokale waren damals wirklich voll mit Leuten, die drauf gewartet haben, dass der AZ-Reporter reinkam. Und Schauspieler riefen bei der AZ an, um zu sagen, wo sie gerade Hemden kaufen. Aber das war noch bei Obermaier. Der war bösartig. Wem Obermaier Feindschaft ansagte, der hatte ein Problem. Insofern hatte die AZ über diese Gesellschaftspolitik schon eine Bedeutung.
Lesen Sie die AZ heute noch täglich?
Ich lese in dieser Reihenfolge: SZ, taz, Berliner Zeitung, Tagesspiegel und Abendzeitung. Mit der AZ, das ist ein Treueverhältnis, ein bisschen Vergangenheitspflege ist auch dabei. Die AZ ist in meinem Haus seit 1958.
Woher kommt die Treue?
Ihr Erfinder Werner Friedmann war ein Freund unseres Hauses, der Lach- und Schießgesellschaft. Er wurde ja von der Familie Strauß zeitweise aus dem Land vertrieben. Er kreierte damals von Italien aus die AZ als eine Mischung aus Boulevardblatt und politischer Haltung. Das macht ihren Charakter bis heute aus. Mit etwas verminderter Haltung und Qualität.
Was lesen Sie heute in der AZ?
Die Tagespolitik auf den Seiten 2 und 3, Feuilleton und Sport.
Lesen Sie auch die Konkurrenz tz?
Da schaue ich am Kiosk und kaufe oder auch nicht. Je nachdem, was auf dem Titel steht.
Die tz macht Verbraucherjournalismus, die AZ stand immer für intelligenten Humor. Kann man damit heute die Massen erreichen?
Offensichtlich nicht. Aber das Problem scheint mir generell, dass weniger Werbebeilagen rausfallen als früher. Ich meine, dass die Qualität des Journalismus noch nicht so merklich gelitten hat. Was einreißt, ist eine Art von Haltungslosigkeit.
Hat sich der spannende Teil Münchens womöglich nach Berlin verlagert?
In Berlin gibt es diese Art von verkorkster Gesellschaft nicht, die in "Kir Royal" zu beschreiben war. Noch nicht. Aber München war eine Stadt der Schauspieler, Maler, Bildhauer. Das ist es heute nicht mehr. München ist nicht mehr so interessant wie damals.
War es wirklich so interessant?
Ich denke schon. Diese Gesellschaft hat es wirklich gegeben, die Geschichten in "Kir Royal" sind von einer penetranten Wahrheit.
Wer hat Zukunft: Politisches Kabarett oder Zeitungen?
Sie haben beide Zukunft. Aber die Zukunft wird sich nicht erweitern. Es wird immer Leute geben, die ins Kabarett gehen. Leute, die Liveerlebnisse suchen. Das Publikum ist seit langer Zeit gleichbleibend stark. Und den Zeitungsleser wird es genauso geben. Online kann man nicht wegschmeißen und nicht riechen. Eine Zeitung muss riechen. Zeitung ist etwas Sinnliches.
Bleiben Sie AZ-Abonnent?
Aber selbstverständlich. So wie ich auch Anhänger von 1860 München bleibe.
Das klingt eher fatalistisch.
Ein bisschen Wahrheit muss schon durchschimmern.
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