KUNST-KONJUNKTUREN: Sammlung mit Wunde
Kunsthalle zeigt die Geschichte ihrer Sammlung - von Hieronymus Klugkists Dürer-Schnäppchen bis zu den fatalen Auslagerungen im Zweiten Weltkrieg
Auch zeitlose Schönheit ist dem Wandel der Bewertung unterworfen. So ist es alles andere als Zufall, dass die Geschichte der Bremer Kunsthalle letztlich mit der Dürer-Sammlung des Bremer Großbürgers Hieronymus Klugkist beginnt. Und nicht nur, weil wichtige Stücke aus ihr seit dem Zweiten Weltkrieg fehlen, immer noch, ach!, und viele wohl auf Nimmerwiederkehr, war Klugkists Blick auf diese Blätter und Werke ein ganz anderer, als ihn das Museum ab heute wirft – auf jene ihre, naja, Ursuppe ist nicht nur ein zu despektierliches Wort.
Es ist auch unpassend: Bei Dürer bleibt die Linie grafisch-klar selbst noch in den Landschafts-Aquarellen, wie jenem „Trient von Norden“ (1495) mit den scharf konturierten Spiegelungen im Etsch und dem Bötchen. Da suppt gar nichts. Was frappiert ist das so irre wie perfekt ausgeführte Detail, etwa die komplett unmotivierte Libelle unten rechts auf jenem Heilige-Familie-Stich von 1495. Und weil jedes der Werke so viel Konzentration bindet, ist es fast schwierig, den Überblick in der Ausstellung zu behalten: Dabei soll „Dürer-Zeit“, so ihr Titel, „die Geschichte der Dürer Sammlung in der Kunsthalle Bremen“ erzählen. Das verspricht ihr Untertitel. So eine Erzählung führt weg von der Einzelbetrachtung, vom andächtigen Versinken – und gibt den großen Wunden mehr Gewicht: Die sogenannte Baldin-Sammlung, also jenes im Zweiten Weltkrieg in ein brandenburgisches Herrenhaus ausgelagerte Konvolut von 362 Grafiken und zwei Gemälden.
Schloss Karnzow in der Kyritz „war leider der falscheste Ort, den es dafür gab“, so Anne Röver-Kann gestern. Nur das habe man aber vorher nicht wissen können. Von 1985 bis 2009 war die Kunsthistorikerin Leiterin des Kupferstichkabinetts. Sie ist jetzt im Ruhestand, arbeitet freiberuflich für die Kunsthalle – und die „Dürer-Zeit“ zu kuratieren, das war eines der großen Wunsch-Projekte ihrer Dienstjahre, allerdings immer in der vergeblichen Hoffnung, sie wieder weitestgehend vervollständigt zu haben: Auf Karnzow hatten sich 1945 sowjetische Truppen einquartiert. Die sauber verpackten Kunstwerke wurden unsauber entpackt. Victor Baldin, Offizier und Architekturhistoriker, erkannte zum Glück den großen Wert der Papierarbeiten, sammelte die teils auf dem Boden verstreuten Blätter ein – und brachte, so viel wie möglich nach Moskau, mit dem Wunsch, sie ans Bremer Museum zurückzugeben. Seit Ende der 1980er-Jahre wird darüber verhandelt. Anfang des neuen Jahrtausends gab’s Phasen, in denen fast täglich neue Gerüchte über Deals und Vereinbarungen laut wurden: Naumann, Nida, Neumann, Weiss, sämtliche KulturstaatsministerInnen Deutschlands hatten schon mal eine Rückgabe-Zusage so gut wie in der Tasche – aus der dann nix wurde. Alle kunstinteressierten BremerInnen wussten damals genau, dass Gubenko, der fiese nationalistische Kulturausschussvorsitzende der Duma, mit Vornamen Nikolaj hieß und angekündigt hatte, höchstens einem Verkauf der Grafiken an ihre Bremer Eigentümer zuzustimmen, zum Preis von 1,3 Milliarden Euro, ein Hohn! Und sie fühlten mit Michail Schwidkoi, der zurücktreten musste, weil er sich als Kulturminister Russlands rückgabewillig geäußert hatte, öffentlich.
Wer die heutigen Akteure russischer Kulturpolitik sind, das müsste man hingegen erst mal googeln: „Momentan ist die Sache festgefahren“, so Kunstvereins-Vorsitzer Georg Abegg. Aber Zeiten ändern sich. Sonst hätte es ja auch nie eine Dürer-Sammlung in Bremen gegeben: Bei seinen Ankäufen war Klugkist einerseits von der avantgardistischen Neubewertung des alten Meisters erfasst. Andererseits profitierte er genau davon, dass sie noch nicht Allgemeingut geworden war: Gotisch war im 18. Jahrhundert noch ein anderes Wort für Schmutz und Schund gewesen. Und die Umwertung des Geschmacks wird zwar von der Dichtung um 1800 vorbereitet und angestoßen. Aber konsensfähig ist sie erst rund 30 Jahre später. So ersteht Klugkist viele der Grafiken zum Schnäppchen-Preis, bei einer Teilauflösung der Wiener Albertina-Sammlung. Die Aquarelle sind dabei stets die preiswertesten Posten, „also die Arbeiten“, so Röver-Kann, „die uns heute die Höhepunkte der Sammlung sind.“
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