KULTUSMINISTER SCHAFFEN ZWANGSBEWIRTSCHAFTUNG IN DEN SCHULEN AB: Paradox, schizophren und notwendig
Und die Schulpolitik bewegt sich doch. Der Lehrerberuf, bisher hermetisch abgeriegelt und wohl auch deshalb so frustrierend, ist durch die Kultusminister geöffnet worden. Nun können auch pädagogisch Interessierte aus anderen Berufen in die verriegelten Klassenzimmer einrücken. Über die Landesgrenzen hinweg können Lehrer in andere Schulen wechseln. Und: Das vermaledeite Beamtenrecht soll in Verhandlungen mit Innenminister Schily aufgeweicht werden. Es geht also voran. Gut so. Aber positive Nachrichten haben auch ihre schlechten Seiten. So haben die Kultusminister nicht etwa vorausschauend gehandelt. Sie haben nur, der Entwicklung folgsam nacheilend, einen skandalösen Notstand aufgehoben.
Obwohl die Kultusminister seit langem wussten, dass der – wie es jetzt getragen heißt – „bedeutendste Generationswechsel seit 25 Jahren“ in den Lehrerzimmern bevorsteht, haben sie nichts getan. Die Folgen: Schulausfall über Wochen und Monate, Massenflucht ausgebrannter Pädagogen in die Frühpensionierung und drastischer Imageverfall der Schulen. Das Stichwort lieferte Schröder: „Lehrer sind faule Säcke“, zog der Oppositionsführer von 1998 über den einst so geachteten Stand her. Kurz darauf wurde er zum Kanzler gewählt.
Nun endlich haben die Kultusminister auf die Krise reagiert – und de facto die bislang geltende Zwangsbewirtschaftung des wichtigsten Jobs in diesem Land aufgehoben. Dass dieser Anfang allerdings paradoxe Züge trägt, beweist die große Siegerin des Ministertreffens, die hessische Kultusministerin Wolff. Ausgerechnet sie nämlich, die auf den neuen Liberalismus, sprich auf den Wettbewerb der Bundesländer um die Lehrer so stolz ist, wirbt mit einem höchst etatistischen Modell: „Wir verbeamten weiter.“ Das ist schizophren, ja, aber so irre sind die Schulverwalter nun mal. Wollen Wettbewerb – und werben dafür mit Bedienstetenprivilegien, die aus der Zeit des preußischen Soldatenkönigs stammen. Aber vielleicht tut das den staatlich-bürokratischen Lehranstalten ja trotzdem ganz gut: diese frische Brise Wahnsinn.
CHRISTIAN FÜLLER
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