KROATISCHE SEPARATISTEN FORDERN EIGENEN STAAT: Wachstum statt Grenzen
„Wir haben auf dem Balkan mehr Geschichte als Geografie“, meinte der Freund in Skopje und hob die Hände zum Himmel. Kein Fluss, kein Stein, kein Landstrich auf dem Balkan, der nicht irgendwann für nationalistische Ansprüche herhalten musste, und sei es auch nur als Freibrief für lokale Machthaber, um sich zu bereichern.
Dieser Mythos der „ethnischen Reinheit“ erlebt gegenwärtig eine eigenwillige Auferstehung in den Kommentarseiten der internationalen Presse. „Ethnisch reine Staaten“, so heißt es, wären stabil, demokratisch, entwicklungsfähig, alle anderen dem Untergang geweiht. Europa im Jahr 2001 – demnach ein Schlachtfeld. Das Gegenteil ist der Fall. Und doch werden längst totgeglaubte Ideen über Grenzziehungen und Teilungen auf dem Balkan exhumiert. Den „einfachen Lösungen“ wird mehr Bedeutung beigemessen als der Frage ihrer Realisierung: Man veranstalte eine Konferenz, beuge sich über ein paar Landkarten, ziehe eine Linie und verschiebe ein paar tausend Menschen von links nach rechts, ein paar tausend von rechts nach links – und man hat Geschichte geschrieben.
Doch dieses Prinzip der „sauberen Aufteilung“ stößt auf dem Balkan und insbesondere in Bosnien und Herzegowina an seine Grenzen, wo die Angehörigen der verschiedenen Nationalitäten Tür an Tür, Haus an Haus wohnen. Dies sind keine Reminiszenzen an die multiethnische Vergangenheit Bosniens und Herzegowinas. Allein seit Beginn letzten Jahres sind mehr als 70.000 Flüchtlinge wieder in jene Gebiete zurückgekehrt, wo sie die Minderheit stellen. Und dieser Trend hält an.
Daneben beginnen in Bosnien und Herzegowina die Wirtschaftsreformen zu greifen. Hier liegt der Schlüssel für die Zukunft. Die Umgestaltung der Wirtschaft legt die Grundlage für eine tiefer greifende Reform staatlicher und sozialer Strukturen – weg vom Prinzip der ethnischen Aufteilung in Richtung einer Zivilgesellschaft, wo die Menschen im Land sich als Staatsbürger wie auch als Bosniake, Kroate oder Serbe fühlen können.
Jeder Versuch einer erneuten Teilung würde angesichts dieser Situation nicht mehr als einen weiteren Beitrag im Buch der absurden Lösungen auf dem Balkan bedeuten und lediglich zu weiterem Blutvergießen führen. Denn dass die In-Frage-Stellung von Grenzen jenen Nationalisten den Boden bereitet, für die nur das Ordnungsprinzip der „ethnischen Säuberung“ gilt, braucht keine Erläuterung – nur einen Blick in Richtung Südserbien und Makedonien. WOLFGANG PETRITSCH
Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina
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