: KOPFRENNER
■ Jochen Stenschke in der Eisenhalle
Viele Bilder sind es nicht, aber es gibt viel zu sehen. Um solche Bilder malen zu können, muß einer viele sich vorgestellt, viele in Angriff genommen und zu einem vorläufigen Ende gebracht haben. Sie behaupten eine eigene Welt und kommen doch aus dieser. Als habe dieser Maler Jahre darüber nachgedacht, dann alles vergessen und zu malen begonnen.
Der erste Blick liefert die falschen Informationen. Als sei alles schnell und mit emotiver Wucht gemalt, kompositionslos jede Farbformation zufällig. Nichts paßt zusammen. Alles zusammengestoppelt. Ohne Kunstfertigkeit einfach zu hingewuschelt. Dieser Einfall von Falschmeldungen erweist sich verkehrt als richtig. Die Bilder erscheinen so kultur und übungslos, weil sie die waghalsige Stoßkraft des ersten Mals aufbieten: Als würde ein Anfang erst begonnen. Als kämen diese Bilder aus dem Vorzeitigen, und Distanz, Reflexion, Kultur stünden noch bevor.
Das ist vorläufig richtig. Die verwandten Piktogramme, gesetzte Fragmentierung, versuchte Kontextualisierung und der Ausstellungstitel Bildercodex verweisen auf hochgradige Selbstreflexion der Malweise. Die zwei-, drei-, vierteiligen Bilder passen zusammen. So etwas wie Einheit ergibt sich durch die Farbe, weniger durch die Motive und durch einen nicht wieder-erkennbaren Zusammenhang. Widersprüche müssen im Vorläufigen ausgehalten werden.
Stenschke benutzt nicht Leinen, Nessel, Rupfen oder andere relativ neutrale Malgründe. Er malt und klebt auf PVC, keinen Natur-, sondern Kunststoff. Die Grundlage ist künstlich, abgetreten und rissig - prägnanter Ausdruck für eine hochtechnisierte Gesellschaft in ihrem ärmlichsten Produkt; sie nimmt dieser Maler als Vorwand, um darauf seinen Anstrich zu setzen. Dies ist eine kalkulierte Absage an Naturträumerei einerseits, andererseits ist auch sie auf künstlichem Hintergrund möglich.
Künstlichkeit und Vorkodierung - darin beginnt jedes Kind zu sprechen, und darin beginnen die Zeichen und Farben sich zum Bild zu artikulieren. Diese Vorentscheidung Künstlichkeit und Verkodierung als Grundlage - justiert alles Weitere. Was auf den Malgründen erscheint, trägt die Vorzeichen dieser Idee. Sie entspricht gesellschaftlicher Wirklichkeit.
Wer solchermaßen dezidiert gesellschaftliche Wirklichkeit in seiner bildnerischen Arbeit in Stellung bringt, der steht vor ikonographischen wie technischen Schwierigkeiten, die andere sich erst erarbeiten müssen, und gewinnt Möglichkeiten, die die ästhetische Anordnung gefährden. Wie löst Stenschke diese Probleme? Er löst sie nicht. Er führt sie so vor, daß sie offen und klar für mögliche Lösungen werden. Vor dem Bild erweist sich die erste Schrecksekunde unendlicher Möglichkeiten als Gefährdung.
Aber die Wirklichkeit in den irrlichternden Bruchstücken wird vorstellbar. Dies ist Ergebnis einer Malweise. Die Titel sind fast alle subjektbezogen: Kopfrenner, Schattenboxer, Der Springer. Insofern können sie als subjektentsprungene quasimythische Bilder gesehen werden und als Chiffrierung der Lebenswirklichkeit. Unbenannte Gesten und eine Art namenlose Sehnsucht ins Blaue, Rote, Weißliche, die sich verstreut.
Diese Bilder sind ohne Geheimnis rätselhaft. Vielleicht ist das die ganze Kunst. Stenschke malt nicht im geringsten heroisch. Aber jedes Bild trägt das Risiko, ob der Malgrund den Anstrich trägt.
Peter Herbstreuth
Jochen Stenschke, „Bildercodex“, noch bis zum 17. März in der Eisenhalle, Joachim-Friedrich-Straße 37, Donnerstag und Freitag von 17 bis 20 Uhr, Sonntag von 11 bis 14 Uhr.
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