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KOMMENTARWahlsieg durch Nichtwahlkampf

■ Die Sozialdemokraten verschliefen ihre letzte Chance

Niemand bezweifelt, daß die Wirklichkeit oft phantastischer ist als jede Fiktion. Manchmal aber gelingt es den Fiktionen, die Wirklichkeit zu übertrumpfen. Vergangenen Mittwoch gelang dies dem TV-Magazin „Monitor“ mit einem Bericht über die sofortige Einstellung des Wahlkampfs durch die SPD. Da die Wiederwahl Kohls ohnehin klare Sache sei, meldete „Monitor“, hätten die Sozialdemokraten beschloßen, den Wahlkampf einzustellen. Die Millionen für Plakate, Prospekte und Flugbenzin der Kandidaten sollten aus ökologischen Gründen eingespart und direkt für den Wiederaufbau der DDR eingesetzt werden. Ein phantatstische Idee — kaum ein Zuschauer glaubte an Satire, stattdessen liefen im Bonner Erich-Ollenhauer-Haus die Drähte heiß — SPD-Wahlkämpfer aus der ganzen Republik riefen ratsuchend bei ihrer Zentrale an. Doch der Sozi- Chefetage fiel nichts anderes ein, als wahrheitsgemäß zu dementieren — ohne es gesehen zu haben, kann sich jeder vorstellen, wie der Aktenschrank Jochen Vogel auf derlei Scherze reagierte.

Daß es sich beim Spitzenkandidaten Lafontaine um einen schlauen Fuchs handelt, muß nach diesem Vorfall endgültig dem Bereich der Volks- und PR- Märchen zugerechnet werden. Wäre die SPD nur halbwegs bauernschlau, sie hätte den ihr unverhofft zugespielten Ball spontan aufnehmen müssen, statt wegen Regelverstoß nach dem Schiedsrichter zu rufen. Denn was hätte das gebeutelte Image der Sozialdemokatrie besser aufpolieren können, als die von „Monitor“ insinuierte moralisch-ethische Groß-Leistung, auf Handzettel, Luftballons und anderen Wahlkampfmüll zu verzichten. Nicht einfach so, still und heimlich, sondern „für Deutschland“, „der Umwelt zu liebe“, „für Soforthilfe in der DDR“ — mit einer solchen Aktion hätte die SPD nicht nur die Grünen links, sondern gleichzeitig auch die CDU rechts überholen können, die absolute Mehrheit wäre wieder in Sichtweite gerückt. Ganze Scharen längst verloren geglaubter Regenwaldschützer und Schornsteinbesetzer wären der Partei wieder zugelaufen. Und auch die von Seidenhemd-Oskar enttäuschten Zonis hätten sofort die neue Radikalität der Partei und die direkte Aufbauhilfe honoriert. Natürlich hätten die Medien nicht umhin gekonnt, über den Wahlkampf einer Partei, die keinen Wahlkampf macht, so ausführlich zu berichten, wie es kein Partei- Schatzmeister je bezahlen könnte.

So aber bleibt, auf der verstopften Mittelspur, mit Fähnchen, Humbug, Trallala, nur die 35-Prozent-Partei — wenn's hoch kommt. Wenn es am 2. Dezember für die SPD für mehr nicht gereicht hat, hat es weder am Volk noch an einem Vereinigungsbonus für Kohl gelegen, sondern schlicht an der mangelnden Einsicht, daß weniger Wahlkampf mehr gewesen wäre. Mathias Bröckers

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