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KOMMENTAR BUNDESPRÄSIDENTENWAHLEine Chance für Gauck

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Was kann man von Bundespräsident Gauck erwarten? Nein, ihm muss nicht zwingend Brauchbares zu den Finanzmärkten einfallen. Er braucht Geschick und Empathie.

J a, vieles an der Kritik an Joachim Gauck ist richtig. Er ist selbstverliebt, sein Freiheitsbegriff ist zu eng. Seine Häme gegenüber der Occupy-Bewegung ist kurzsichtig, das Lob für Sarrazins Mut unberaten.

Manches an dem Mann wirkt deutsch-provinziell, er hat wenig internationale Erfahrung. Wem zu dem Angriff der Finanzmärkte auf die Demokratie einfällt, dass in der DDR die Banken verstaatlich waren, darf sich über das Säurebad öffentlicher Kritik nicht beklagen.

Gauck weckt starke Affekte, bizarre Heilserwartungen dort, scharfe Ablehnung hier. Das liegt an seinem mitunter schroffen Moralismus, auch daran, wie er ins Amt gekommen ist. Gauck ist kein klassischer Rechter, das Autoritätsfixierte ist seine Sache nicht.

Bild: taz
Stefan Reinecke

ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Er ist ein Konservativer, der mit dem linksliberalen Milieu der Bundesrepublik nicht viel anfangen kann. Er ist der konservativste Kandidat seit Roman Herzog. Irritierend ist, dass ausgerechnet Rot-Grün diesen Mann ins Amt gehoben hat. Denn das nährt heftige Zweifel, ob Rot-Grün eine echte Alternative sein will oder nur ein bisschen anders.

All diese Vorbehalte sind einleuchtend. Allerdings: Das Amt verändert mitunter die Leute. Von Weizsäcker als liberale Gegenfigur zu Kohl – wer hätte das bei seiner Wahl gedacht? Und bei dem integren Johannes Rau ahnte niemand, wie farblos seine Amtszeit werden würde.

Die Zeiten, als Bundespräsidenten qua Amt wichtig waren, sind vorbei. Heute sind sie Player in der Mediendemokratie. Treffen sie Thema und Ton, hört man ihnen zu, sonst nicht. Wenn Gauck weiter den Demokratielehrer spielt, der erzählt, wie schön unsere Republik ist, wird sein Ruhm überschaubar bleiben.

Was also kann man von Bundespräsident Gauck erwarten? Nein, ihm muss nicht zwingend Brauchbares zu den Finanzmärkten einfallen. Finanzspekulanten sind mit Reden von Bundespräsidenten, die faktisch weniger Macht haben als Landtagsabgeordnete, sowieso nicht zu beeindrucken. Der Lackmustest wird etwas anderes sein. Christian Wulff hat gezeigt, dass die richtigen Symbole sehr wohl Wirkungsmacht entfalten können. Er hat Integration und Islam in den Fokus gerückt und versucht ein Defizit auszugleichen: den Mangel an Anerkennung der Mehrheit für die Minderheit. Wenn Gauck klug ist, macht er da weiter.

Das zweite fruchtbare Feld ist vermint: die Geschichtspolitik. Europa ist erinnerungspolitisch gespalten: im Osten auf Stalinismus fixiert, im Westen auf den Holocaust. Es herrscht eine virtuelle Opferkonkurrenz, ein falscher Ton löst verlässlich Reiz-und-Reaktion-Schemata aus. Gauck hat zum instrumentellen Holocaustgedenken Kluges gesagt, zum Vergleich von NS-System und Kommunismus in der Prager Erklärung gefährlich Unscharfes.

Es gilt, ohne Rechthaberei wunde Punkte anzusprechen. Im Westen gibt es viel Ignoranz gegenüber Stalins Terror, in Osteuropa gegenüber der Schoah. Haltungen sind verhärtet. Es braucht Geschick und Empathie, sie zu verflüssigen.

Wir wissen nicht, ob Gauck das kann. Aber was er dafür braucht, ist Bescheidenheit.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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8 Kommentare

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  • DD
    Der Duderich

    "Denn das nährt heftige Zweifel, ob Rot-Grün eine echte Alternative sein will oder nur ein bisschen anders."

     

    Ist das ihr Ernst Herr Reinecke? Rot-Grün als echte Alternative. Muahaha

     

    Die Zweifel müssen beileibe nicht genährt werden.

     

    Rot-Grün hat unseren Sozialstaat sturmreif geschossen, und wird nun von Schwarz-Gelb verwaltet.

     

    Alle Genannten sind Mitgliedsparteien einer neoliberalen und marktgläubigen Verteilungsmaschinerie mit demokratischen Deckmäntelchen.

     

    Was Sie hier verkaufen wollen, ist Cholera als Alternative zur Pest.

     

    Im besten Falle mag Naivität Sie zu so einer Aussage verleiten. Aus Höflichkeit unterstelle ich Ihnen diese. Als Taz-Autor macht Sie das allerdings unbrauchbar...

  • HK
    Hans-Jürgen Kapust

    Welche "Ignoranz" gibt es gegenüber Stalins Terror im Westen? Gerade in Russland ist diese doch am weitesten verbreitet.

    Es sind solche relativierend, unscharfen und unwahren !! Behauptungen, die diesen ´nun-lass-ihn-mal-doch-erst-mal-machen´ Kommentar, lieber Stefan, unter die Kategorie einreihen:

    "so ist es nun mal; hoffen wir das Beste."

     

    Nicht Gauck, sondern dass SPD und Grüne schon beim ersten mal sich diesen gemeingefährlichen Nazi-Versteher und "die gottlosen" Kommunisten-Hasser herangeholt haben,...

    diesen eigentlich zu entsorgenden Charakter sozusagen als Spiegelbild für die neoliberale, rechtpopulistische Haltung, Demokratie und Freiheit, gepaart an die traditionell unterwürfige Christliche Weltordnung, als Markenzeichen vor sich hertragenden Parteien wie CDU/CSU und FDP als Gegenkandidat zu Wulff präsentiert zu haben,...

    und dass dies den ´niemals-eigene-Fehler-zugeben´-Parteien noch einmal passiert, wie der neuerliche Unfall im NRW-Landtag,....

    das muss ein politischer Kommentator als Schwerpunktthema setzen.

  • C
    C.Antonius

    Bei aller 'Sachkompetenz' Trittins bin ich gegen seine Unterstützung für Gauck. Das Geld für die Tausende von Delegierten der Bundesversammlung am 18. März sollte für einen guten Zweck gespendet werden.

     

    Efraim Zuroffs Artikel in der TAZ vom 16.März berührt ein Dilemma, das weit über Gauck und die Prager Erklärung hinausgeht. In Osteuropa ist der Holocaust im Bewusstsein der Massen kaum vorhanden und der Antisemitismus weit verbreitet.

    In Antonescus Rumänien z.B. gab es den von Rumänen ausgeführte 'Todeszug' aus Iasi (Jash)- Tausende von Menschen wurden wie Ölsardinen in versiegelte Waggons eines Güterzugs gepackt, in denen sie hilflos erstickten und verdursteten.

     

    Polen ist heute weiter, aber Besucher von Auschwitz erinnern sich noch gut, dass bei den Hauptopfern früher immer von Polen, aber fast kaum von 'Juden' die Rede war.

     

    Bei deutscher Schuld scheint es bei Manchen das Missverständnis zu geben, als ob Deutsche durch Überhöhung des Holocaust zu'schlechten Menschen'geworden seien oder sie durch Relativierungen(Pol Pot, Stalin etc) zu besseren werden könnten.

     

    Die Verantwortung von uns Nachgeborenen ist eine moralische und gesellschaftliche; wir sind alle Zeugen von Augenzeugen - ein schlechtes Gewissen müssen jedoch nur die Täter haben oder jene Politiker und Wähler, die Rassisten heute unterstützen - z.B. durch das Flughafenverfahren gegen Flüchtlinge am neuen Flughafen.

     

    Nationale Zugehörigkeit ist im Übrigen etwas, mit der die Meisten ohne eigene Anstrengung geboren wurden, sie stellt keine Leistung dar und wird im größeren Europa zunehmend irrelevant. Also: Nicht das alberne 'Nie wieder Deutschland' sondern: Deutschland, Deutschland unter anderen.

  • C
    C.Antonius

    Zur Person ist dies ein hervorragender Kommentar. Das Amt selbst ist überflüssig. Aber hier haben sich zwei getroffen: Sonntagsredner-Person trifft auf Grüß-August Amt (Integrität ohne Macht bringt nichts).

     

    Nur die schwafelnde Klasse interessiert sich dafür(okay,ich gehöre mit diesem Kommentar dazu).

     

    "Irritierend ist, dass ausgerechnet Rot-Grün diesen Mann ins Amt gehoben hat.Denn das nährt heftige Zweifel, ob Rot-Grün eine echte Alternative sein will oder nur ein bisschen anders."

    Ganz recht.

    Grün-NRW kommt da doch seriöser rüber als die fürchterlichen Bundesgrün-Grauen mit Künast und Roth, die nur um sich selbst kreisen und das grün-rote Projekt mit inhaltsloser Profilneurose

    gefährden. Sie sollten endlich Jüngeren ihre Position überlassen. Die Uhr tickt. (Trittin hat wenigstens Sachkompetenz, meinetwegen kann er bleiben).

  • JK
    Jakob Kelim

    Die Identifikation mit Symbolen wie “Freiheit“ und “Verantwortung“ wird gerade von denjenigen Menschen missbraucht, die das Menschsein nicht mehr in sich tragen, sondern das Menschsein in Sprache und Ausdruck lediglich nachahmen.

    Diese Menschen die keine innere Identität besitzen, suchen immer nach fingierten Lösungen, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt als eine Identität, die auf die Gleichsetzung mit denen basiert, die uns beherrschen.

     

    Menschen ohne innere Echtheit sind immer auf der suche nach Identität,

    – weil keine innere da ist - also müssen sie eine Identität simulieren, um sich selbst aufzuwerten, deshalb brauchen sie Sinnvertauschungen,

    was sich geradezu anbietet sind Symbole, wie

    - “Freiheit“ und “Verantwortung“ - wobei mit Verantwortung eigentlich “Pflicht“ gemeint ist.

    Diese Verdrehung von Symbolisierungen beherrschen einige pseudo- Leistungsträger in Perfektion. Ja man kann sagen sie beten das an, was unterwirft und identifizieren sich gleichzeitig mit den Vorstellungen von einer marktgerechten Regelordnung. Kapitalismus ist scheinbar auch für Gauck ein Synonym für Freiheit, aus dieser folglich eine zu bejahende Autorität erwächst.

     

     

    Freiheit für wen?

    Ein Unternehmer trug früher einmal die Verantwortung und das Risiko. wenn sein Produkt weniger Käufer fand, konnte er nicht so einfach Arbeiternehmer entlassen (Kündigungsschutz)

    Heute ist der Leiharbeiter Teil dieser Verantwortung welche der Unternehmer an ihn übertragen hat, denn er kann den Leiharbeiter jederzeit rauswerfen, sobald der Umsatz zurückgeht.

     

    Das heißt im Klartext:

    Ein Unternehmer trägt beständig weniger an Verantwortung und hat dadurch mehr Freiheit.

    Dem Leiharbeiter wird die Verantwortung/Pflicht, zu jeder Zeit für einen Dumpinglohn zu arbeiten, aufgebürdet und er hat dadurch, immer weniger Freiheit, über sich Selbst zu bestimmen.

  • S
    Synoptiker

    Wenn Gauck weniger selbstverliebt und demütiger sein Amt angeht, sich weniger selbstsicher und mehr als Antworten-Suchender und vor allem neutral in seinem Geschichtsverständnis beider deutscher Diktaturen gegenüber darstellt, dann könnte aus ihm noch ein guter BP werden.

    Bisher erntet er zu viel Vorschuss-Lob von den etablierten Parteien und der konservativen Presse. Das Volk sieht seine Persönlichkeit viel differenzierter. Dem Autor St. Reinecke gilt ein Lob für seinen guten Beitrag.

    Trotzdem halte ich Fr. Klarsfeld als die für Deutschland z.Z. wichtigere BP-Kandidatin!

  • L
    linksliberalesmilieu

    Und warum kann man nicht einfach jemand anderes nehmen??

  • JB
    Jane Bond

    Aber sicher muss Gauck Wichtiges und Kritisches zur Finanzkrise etc. sagen!!!

     

    Denn der Bundespräsident ist nicht nur Grüßaugust, als welcher er auch gesellschaftliche Debatten anregen kann, sondern er hat die Macht, Gesetze wie z.B. den verheerenden ESM nicht zu unterschreiben und Gesetze damit zu verhindern!

     

    Ich verstehe nicht, wieso die taz nicht darüber schreibt. - Das ist doch Verblödungsjournalismus!

     

    Wulff als Bundespräsident hatte in manchen Reden u.a. die Banken massiv kritisiert!

     

    Von Gauck, Springers Liebling, sind solche kritischen Töne in Richtung Finanzkapitalismus nicht zu befürchten.

     

    Wurde Wulff nicht letztlich deshalb unter Führung des Springer-Konzerns (und u.a. mit Hinterherhecheln der kleinen taz) von den nahezu gleichgeschalteten Medien massiv aus dem Amt gemobbt?

     

    Die vielen korrupten PolitikerInnen und die Journaille bundesweit lachen sich doch kaputt, wegen welcher Lappalien Wulff fertig gemacht wurde und aus dem Amt gemobbt wurde.

     

    Wenn wir hier bald griechische Verhältnisse haben, weil wegen der ständigen hunderte Milliarden Euro teuren Bankenretterei kein Geld mehr da ist, dann ist der neoliberale Herr Gauck der richtige Mann, um von der Bundespräsidentenkanzel die Proteste schlecht zu reden und die Menschen im Sinne unserer perversen Elite zu spalten.

     

    Danke, Rot-Grün. Ihr seid so pervers, da fällt einem nix mehr ein.