Justizskandal in Japan: Entschuldigung nach 50 Jahren
Fast ein halbes Jahrhundert saß ein Boxer im Gefängnis – vermutlich unschuldig. Der Fall ist exemplarisch für die Missstände im japanischen Justizsystem.
Hakamada, einst Berufsboxer, war damals wegen des Mordes an einer vierköpfigen Familie der Prozess gemacht worden. Der frühere Richter Kumamoto war schon während der Verhandlungen davon überzeugt, dass der Boxer für die ihm zur Last gelegten Taten nicht verantwortlich war. Aber er setzte sich gegen seine beiden Amtskollegen nicht durch – und stellte mit ihnen das Todesurteil aus.
Dafür wollte sich Kumamoto im Januar endlich entschuldigen, auch wenn er sich seit 2007 für die Wiederaufnahme des Falles eingesetzt hatte. Doch nach einem Schlaganfall liegt der Richter im Krankenbett. Mehr als der Vorname seines Opfers kam ihm nicht über die Lippen: „Iwao, Iwao …“
Hakamada geht es gesundheitlich nicht viel besser. Vor knapp fünf Jahren wurde er freigelassen, nachdem neue DNA-Analysen von Blutspuren seine Unschuld nahelegten. 46 Jahre lang hatte er in der Todeszelle gesessen – viele Jahre davon in Isolationshaft. Dadurch leide er unter einer „institutionellen Psychose“, berichten seine Unterstützer. Von sich selbst spricht er nur noch in der dritten Person. Im Alltag kommt er nur klar, weil sich seine 84-jährige Schwester Hideko um ihn kümmert.
Sein Geständnis war offenbar erzwungen
Seine Verurteilung beruhte wohl auf einem erzwungenen Geständnis. Hakamada sagt, er sei in mehr als drei Wochen Polizeigewahrsam 264 Stunden lang verhört und dabei so lange bedroht und auch geschlagen worden, bis er gestand. Schon beim ersten Prozesstag widerrief er – vergeblich.
In Japan kann ein Verdächtiger bis zu 23 Tage lang ohne Zugang zu einem Anwalt in einer Polizeizelle eingesperrt werden, bei mehreren Vorwürfen sogar ein Mehrfaches dieser Zeit. Kenner sprechen von „daiyo kangoku“ (Ersatzgefängnis). In Deutschland ist ein solcher Polizeigewahrsam nur maximal 48 Stunden, bei schweren Straftaten bis zu vier Tage erlaubt.
Im japanischen Rechtsverständnis ist ein Geständnis der erste Schritt zur Läuterung des Täters. Es liefert der Staatsanwaltschaft und dem Richter die entscheidende Basis für eine Verurteilung und wird häufig gleichwertig mit forensischen Beweisen gewertet. Angeklagte in Japan haben deshalb fast immer vorher gestanden – und werden fast immer verurteilt. 99,8 Prozent aller Strafprozesse enden mit einem Schuldspruch. In 89 Prozent aller Prozesse gab es vorher ein Geständnis.
Nur wer gesteht, hat eine gute Chance, auf Kaution entlassen zu werden. Zudem zieht der Widerruf des Geständnisses den Prozess in die Länge. Daher raten viele Anwälte vom Widerruf ab, selbst bei erzwungenem Geständnis. Im Zweifel für den Angeklagten – so tickt Japans Justiz nicht. Freisprüche gefährden die Karriere von Staatsanwälten und Richtern und untergraben die Glaubwürdigkeit der Polizei. „Es gibt noch viel mehr falsche Verurteilungen“, meinte die Juristin Kana Sasakura von der Konan-Universität in Kobe.
Der Fall Hakamada stellt dieses System grundsätzlich in Frage. Denn bei ihm hat die Polizei offenbar nicht nur das Geständnis erpresst, sondern wohl auch Beweise manipuliert. Doch bis heute gab es keine offizielle Äußerung des Bedauerns für den Justizirrtum. Eine Reform der Untersuchungshaft blieb im Parlament stecken.
Der Justiz ist das Ganze so peinlich, dass die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem erwarteten Freispruch bis heute verzögert. Sie zweifelt die Methodik des entlastenden DNA-Tests der Verteidigung an, gibt jedoch keinen neuen unabhängigen Test in Auftrag. Offenbar spielt man angesichts des Alters von Hakamada auf Zeit, um den Justizfehler nicht offiziell zugeben zu müssen.
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