Justiz: Freiheitsstrafe für Arme
In Bremen gibt es überdurchschnittlich viele Menschen, die eine Geldstrafe nicht bezahlen und deshalb ins Gefängnis müssen. Vereine appellieren an Justizsenator.
Weniger Menschen als bisher sollen im Land Bremen ins Gefängnis gehen müssen, weil sie wegen Bagatelldelikten wie Schwarzfahren eine Geldstrafe nicht bezahlt haben. Dies fordern der Verein Bremische Straffälligenbetreuung und weitere Träger, die mit Gefangenen arbeiten, in einem Brief an den Justizsenator. Die Ersatzfreiheitsstrafe solle diejenigen treffen, die nicht zahlen wollen, heißt es darin. "Inzwischen ist sie zur Freiheitsstrafe für Arme geworden." So ist ein Viertel der Betroffenen inhaftiert, weil sie keine Fahrkarte hatten.
Beim Justizsenator ist das Problem bekannt - spätestens seit einem Fachtag im September, auf dem sich verschiedene Dienste der Bremischen Justiz mit SozialarbeiterInnen ausgetauscht hatten. Dort wurde eine Reihe von Gründen benannt, die dazu beitragen, dass in Bremen so viele wie in keinem anderen Bundesland eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen. Nach einer Erhebung des Bundesamts für Statistik sind dies 13,5 Prozent aller Insassen - doppelt so viel wie der Bundesdurchschnitt und mehr als in Hamburg und Berlin.
Dafür würden in Bremen überdurchschnittlich viele Geldstrafen verhängt, gibt Jörg Lockfeldt, Abteilungsleiter beim Justizsenator, zu bedenken. Aber auch er hält die Quote für zu hoch. Zwar seien in der Justizvollzugsanstalt in Oslebshausen im Jahr 2010 nur noch im Schnitt 60 statt wie zuvor 75 Haftplätze von Leuten belegt gewesen, die eine Geldstrafe "absaßen", er hoffe aber, dass sich dies noch weiter absenken lasse, so Lockfeldt.
Doch dass dies leichter gesagt als getan ist, zeigt ein gemeinsames Interview mit Lockfeldt und Albrecht Welchner, Geschäftsführer des Vereins Hoppenbank, der in verschiedenen Projekten Straffällige betreut. Darunter sind auch solche, die zu Geldstrafen Verurteilten helfen sollen, die Strafe abzubezahlen - oder abzuarbeiten. Einig sind Welchner und Lockfeldt sich darin, dass das Gefängnis der denkbar schlechteste Ort ist für Menschen, die ihr Leben in Freiheit nicht auf die Reihe bekommen. Wobei einige bewusst nicht zahlen. "Wir haben zunehmend Leute, die die Inhaftierung als Lösung betrachten, weil sie ein Dach über dem Kopf haben, eine medizinische Versorgung und etwas zu essen bekommen", sagt Lockfeldt. Doch der offene Vollzug, wie Welchner ihn fordert, sei für die wenigsten geeignet, weil sie dafür zu unzuverlässig seien.
Ein anderes Thema ist das Abarbeiten der Strafe. "Wir brauchen dringend mehr geeignete Einsatzstellen", sagt Welchner. Viele der Klienten seien drogenabhängig oder könnten aus anderen Gründen die gemeinnützige Arbeit an vielen Orten nicht verrichten, etwa weil sich dort Kinder aufhalten. Außerdem seien viele nicht in der Lage, vier Stunden - das entspricht einem Tagessatz - zu arbeiten, realistischer seien zwei Stunden. Noch besser fände Welchner es, wenn eine Therapie oder ein Kurs, der soziale Kompetenzen vermittelt, als Abarbeiten anerkannt wäre. "Ihr Leben muss sich ja ändern", sagt Welchner. Außerdem müsste es die Möglichkeit geben, die Tagessätze zu reduzieren. Bei vielen würde eine Reihe von Einzelgeldstrafen zusammenkommen, sodass einige bis zu 300 Tage arbeiten müssten. "Und das zum Teil neben einem In-Job am Wochenende - das geht nicht", sagt Welchner. Ausnahmen fordern er und seine Kollegen in dem Brief an den Justizsenator auch für Alleinerziehende.
Lockfeldt vom Justizsenator ist skeptisch, ob sich diese Forderungen umsetzen lassen, weil dafür zum Teil Bundesgesetze geändert werden müssten. Und Ausnahmen aufgrund besonderer Lebensumstände würden den Gleichheitsgrundsatz verletzen. Keine schnelle Lösung sieht er für das Problem, dass die acht Euro, die Gerichte als Tagessatz bei armen Menschen verhängen, für diese zu hoch sind. Ein Euro sei vielleicht sinnvoller. "Das ist die Entscheidung der Gerichte."
Er setzt auf gezieltere Hilfen beim Bewältigen der Strafe. Eigentlich, sagt Lockfeldt, müsste es darum gehen, dass die Leute gar nicht erst vor Gericht landen. "Die Justiz steht am Ende der Kette, wenn andere Hilfssysteme versagt haben."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm