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Justiz in RusslandUltranationalisten schuldig

In einem der wenigen Fälle, in denen die Polizei einen Mord an Oppositionellen und Journalisten aufgeklärt hat, werden die Täter verurteilt.

Trauer um Stanislaw Markelow in Moskau. Bild: dpa

MOSKAU taz | Ein Moskauer Geschworenengericht hat den Ultranationalisten Alexander Tichonow und seine Freundin Jewgenia Chassin des Mordes und der Beihilfe zum Mord für schuldig befunden. Das Pärchen aus dem rechtsradikalen Untergrund hatte den bekannten Anwalt und Menschenrechtler Stanislaw Markelow im Januar 2009 auf offener Straße in Moskau ermordet.

Auch die Journalistin der Nowaja Gaseta, Anastasia Baburowa, die Markelow zur Hilfe eilte, wurde von Tichonow kaltblütig erschossen. Die Verkündung des Strafmaßes wird am 5. Mai erwartet. Tichonow droht eine lebenslange Haftstrafe.

Der Casus Markelow ist einer der wenigen Morde an Oppositionellen und Journalisten, die von der Polizei aufgeklärt und gerichtlich geahndet wurden. Das Pärchen hatte während der dreieinhalb Verhandlungsmonate versucht, die Geschworenen durch eine patriotische Inszenierung von Bonnie und Clyde auf ihre Seite zu ziehen. Am vorletzten Verhandlungstag unternahmen beide noch in der Zelle einen Selbstmordversuch. Sieben der zwölf Geschworenen plädierten für schuldig. Nach russischem Gesetz fehlte nur eine Stimme, um die Angeklagten auf freien Fuß zu setzen.

Das rechtsradikale Pärchen hatte aus seiner Überzeugung kein Hehl gemacht. Auch die Verteidigung setzte auf die in weiten Kreisen der Gesellschaft und in den Sicherheitsorganen verbreiteten nationalistischen und rassistischen Stimmungen. Die Politik des Kreml machte chauvinistische Ideologien in den letzten zehn Jahren erst hoffähig.

Doch inzwischen scheint sich die russische Führungsriege vor der organisierten Radikalität des rechten Spektrums selbst zu ängstigen. Seine Anwälte stellten Tichonow als typischen "Hinterhofschläger" dar, der Opfer widriger sozialer Umstände wurde. Doch er wuchs in einer angesehenen Familie eines Offiziers des Auslandsgeheimdienstes auf. Tichonow studierte Geschichte an der elitären Moskauer Universität und arbeitete als Journalist. Schon an der Universität schloss er sich Ultrarechten an.

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12 Kommentare

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  • DS
    Der Sizilianer

    Wo bitteschön habe ich in Ihren Augen "kompromisslos" das russische Justizsystem "gerechtfertigt"? Wo habe ich hier zu verstehen gegeben, dass ich Sympathien für Putin hegen würde?

     

    Wissen Sie - nicht nur für Justizverfahren, auch für Diskussionen gibt es Grundsätze. Dem Diskussionspartner / der -partnerin nicht einfach Dinge zu unterstellen, die so nicht gesagt wurden, ist sicherlich einer davon. Ein anderer, fundamentaler Grundsatz für eine seriöse Diskussion ist m. E. das Eingehen auf die Argumentation des Gegenüber. Ich habe Ihnen (und anderen) "berechtigte Kritik am russischen Justizsystem" zugestanden und im Anschluss argumentiert, wo diese Kritik (insbesondere im hier zugrundeliegenden Fall) m. E. auch ihre Grenzen hat. Insbesondere erscheinen mir das Vorhandensein von Augenzeug_innen und Tatgeständnis wichtige Indizien dafür zu sein, dass es in diesem Fall vielleicht doch - vielleicht ausnahmsweise - "mit rechten Dingen" zugegangen sein KÖNNTE. Die Existenz von AugenzeugInnen und Tatgeständnis ist schließlich keine Kleinigkeit, die man mal eben so ignorieren und unter den Tisch fallen lassen kann. Von daher finde ich es sehr unangemessen, auf mein Argument nicht mit fundierten Gegenargumenten, sondern mit politischen Parolen ("Für die ... Nein zur ..."), hier bisher nicht belegten Behauptungen ("Das Urteil ist konstruiert. ... zwei Unschuldige ...") und Wunschdenken ("... können sie nach Strasburg Beschwerde machen, und werden dann freigesprochen") zu reagieren.

     

    Übrigens - in ihrem Statement am 04.05. waren Sie sich im Bezug auf den letzten Punkt selbst noch nicht so überzeugt - da hegten Sie lediglich die HOFFNUNG, die Verurteilten könnten sich VIELLEICHT an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden.

     

    Also bitte: Haben Sie Argumente, die uns in der Wahrheitsfindung bzgl. unseres Themas bereichern / weiterhelfen können? Wenn ja: Nennen Sie sie bitte. Wenn nein: Gestehen Sie bitte ein, dass Sie nicht mit Sicherheit behaupten können, die beiden Verurteilten wären "unschuldige Justizopfer".

  • W
    Wolters

    Kompromissloses Rechtfertigen der Urteile der Putinjustiz halte ich auch nicht für beweiskräftig.

     

    Sie dürfen ja Putin mögen, aber sollten doch die Probleme in der gekauften Putinjustiz sehen. Es gilt immer noch der Grundsatz, im Zweifel für den Angeklagten.

  • G
    gregor

    Tja, nach so einem Prozess kann man wirklich sagen, dass allen wirklich egal ist, wer Markelow umgebracht hat. Die Gesinnung hat gesiegt.

  • DS
    Der Sizilianer

    @ Wolters

     

    Sorry, aber Behauptungen, Parolen und Wunschdenken sind meines Erachtens nicht plausibel und beweiskräftig genug.

  • W
    Wolters

    @Sizilianer

    Das Urteil ist konstruiert. Hier werden einfach so zwei Unschuldige verheizt! Zum Glück können sie nach Strasburg Beschwerde machen, und werden dann freigesprochen. Für die Freiheit! Nein zur Putinjustiz!

  • DS
    Der Sizilianer

    Bei aller berechtigten Kritik am aktuellen russischen Justizsystem und daraus resultierender, berechtigter Skepsis an ihren Urteilssprüchen - der automatische Umkehrschluss, in jedem russischen Justizfall müsse es quasi zwangsläufig zu rechtsstaatlichen Unregelmäßigkeiten kommen, scheint mir logisch nicht zulässig.

     

    Gerade in diesem Fall spricht doch auch durchaus einiges dafür, dass das Urteil nicht zu unrecht gesprochen wurde: Diverse Zeitungen berichten von Augenzeuginnen und Augenzeugen - was auch nicht weiter erstaunlich ist, da der Mord wohl am hellichsten Tag mitten in Moskau verübt wurde. Zudem existiert laut tagesschau.de ein Geständnis des Haupttäters:

    http://www.tagesschau.de/ausland/markelow110.html

  • W
    Wolters

    @Sizilianer

    Die Taz selbst hat oft geschrieben, dass man der russischen Justiz nicht trauen könne, dass da Unschuldige abgeurteilt werden! Erinnern sie sich nicht mehr an die Berichte über Chodorkowski? Da wurde immer wieder gesagt, dass die russ. Justiz nicht ehrlich sei.

     

    @nurmalso

    Woher nehmen Sie ihr Wissen, dass diese beiden Unschuldigen nun auf einmal in einer ''halbwegs fairen Gerichtsverhandlung'' veruteilt wurden? Warum sollte gerade dieser Prozess kein Schauprozess gewesen sein?

     

    Darum sage ich: Im Zweifel für den Angeklagten! Hoffentlich können die beiden jungen Leute eine Beschwerde beim Europagerichtshof für Menschenrechte einreichen, und dann werden sie freigesprochen.

  • N
    nurmalso

    Die Kommentare hier zur Verurteilung von zwei durchgeknallten Rechtsradikalen können einen nur verwundern. Wahrscheinlich das erste mal seit 10 Jahren fand eine halbwegs faire Gerichtsverhandlung statt und "Wolter(s)" schreibt zwei Unschuldige seien verurteilt worden. Muß man das verstehen???? Na ja, wesen "Geistes" Kind hier schreibt, das versteht man allerdings.

  • DS
    Der Sizilianer

    @ Malte / Wolters:

     

    Woher nehmen Sie bitte Ihr Wissen, dass die verurteilten Neonazis "unschuldig" gewesen sein sollen - bitte mit Quellenangaben?

     

    Oder sympathisieren Sie etwa mit den Mördern und es geht es Ihnen hier in der Kommentarspalte nur um Provokation und / oder darum indirekt der Ermordung von Menschenrechtsaktivisten und -aktivistinnen durch Faschisten zu applaudieren?

  • M
    Malte

    Moskauer Schauprozesse...

  • AM
    Antifa Moskau

    Gegen politische Gefangene!! Knäste zu Baulücken!!!

  • W
    Wolters

    Die Moskauer Unrechtsjustiz hat wieder mal zwei Unschuldige verurteilt...

     

    Hoffen kommen die beiden jungen Leute bald frei!