Justiz in Belarus: „Ein Haftbesuch des Anwaltes ist schon ein Erfolg“
Die im Exil lebende belarussische Anwältin Ludmila Kazak über die Schwierigkeiten, politische Gefangene in ihrem Heimatland zu verteidigen.
taz: Frau Kazak, können Sie kurz die aktuelle Situation von Anwälten in Belarus beschreiben? Von wie vielen Personen sprechen wir?
Ludmila Kazak: Landesweit gibt es ungefähr 1.600 Anwälte. Glücklicherweise sind darunter immer noch einige wenige, die politische Gefangene vertreten. Und das, obwohl diese Arbeit für sie gewisse Konsequenzen haben kann. Sehr viele Anwälte, die früher in diesem Bereich aktiv waren, wurden aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. Deshalb ist es heutzutage sehr schwierig, überhaupt Anwälte zu finden, die auch harmlose Verwaltungsverfahren übernehmen, wenn es einen politischen Subtext gibt.
Ludmila Kazak war 22 Jahre in Belarus als Rechtsanwältin tätig. Sie vertrat unter anderem die Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa. 2021 erhielt Kazak den renommierten internationalen LAWYERS FOR LAWYERS AWARD. Sie lebt in Hamburg und arbeitet dort in der Beratung von Geflüchteten.
Was bedeutet ein Ausschluss aus der Anwaltskammer konkret?
Der betreffenden Person wird die Zulassung entzogen. Um jedoch als Rechtsanwalt arbeiten zu können, muss man Mitglied der Kammer sein.
Gibt es auch Anwälte, die nach einem Ausschluss wieder in die Kammer zurück kehren?
Es gibt einige Fälle, aber die werden nicht an die große Glocke gehängt. Manchmal kommt es vor, dass Anwälte, denen der Entzug ihrer Zulassung angedroht wird, selbst aus dem Anwaltsberuf ausscheiden und ihre Zulassung abgeben. Dann haben sie im Prinzip ein Jahr Zeit, um ohne eine erneute Prüfung in die Kammer zurückzukehren. Wenn einem Anwalt die Zulassung entzogen wird, ist immer entscheidend, aus welchem Grund dies passiert.
Können Sie das an einem konkreten Beispiel festmachen?
Nehmen wir meine Causa. Ich wurde aus der Anwaltskammer ausgeschlossen, weil ich eine Straftat begangen haben soll, die den Anwaltsberuf diskreditiert. In diesem Fall kann ich mich erst nach drei Jahren und nach einer bestandener Eignungsprüfung für eine erneute Rückkehr qualifizieren. Und dann müssen auch noch das Justizministerium und das Kollegium bereit sein, mich aufzunehmen. Doch davon mal abgesehen: Die Kammer hat mit ihrer eigentlichen Bestimmung nichts mehr zu tun. Deshalb verspürt niemand, der nicht in Belarus lebt, den Wunsch in die Kammer zurückzukehren.
Was kann denn ein Rechtsbeistand, der einen politischen Gefangenen verteidigt, für seine Mandanten überhaupt tun?
Zu bekannten politischen Gefangenen, wie Maria Kolesnikowa (2020 eine der wichtigsten Oppositionspolitikerinnen, seitdem in Haft, Anm. d. Red.) – werden Anwälte nicht vorgelassen – trotz aller Versuche, mit der Verwaltung der Strafkolonie zu interagieren und alle rechtlichen Methoden auszuschöpfen. Das ist eine Frage des politischen Willens. Bei anderen politischen Gefangenen sind Besuche von Anwälten prinzipiell möglich.
Sie Ihnen Verfahren bekannt, die ein Anwalt gewonnen hat?
Generell gesprochen ist das unmöglich. Aber wenn jemand, der eine Strafe verbüßt, seinen Anwalt sehen und mit ihm kommunizieren kann, ist das an sich schon ein Erfolg. Denn alles liegt ja in den Händen der Behörden. Wenn es darum geht, einen Menschen komplett von der Außenwelt abzuschotten, gelingt dies, wie wir sehen, sehr einfach und effektiv. Und dagegen gibt es kein Mittel.
Sie leben seit dreieinhalb Jahren in Hamburg. Sind Sie als Juristin tätig?
Ich arbeite derzeit in der Flüchtlingsberatung, mein Aufgabenbereich ist die freiwillige Rückkehr von Migranten in ihre Heimat. Da spielen auch viele juristische Fragen mit hinein. Wenn ich über meine neue Arbeit nachdenke, sage ich mir daher immer, dass das im Prinzip zum Teil dem ähnelt, was ich vorher gemacht habe. Denn ich habe auch jetzt Klienten, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden. Parallel dazu studiere ich Jura an der der Universität. Das ist ein spezielles Masterprogramm für Ausländer.
Ist in Ihren neuen Kreise in Hamburg, ja in Deutschland überhaupt, Belarus ein Thema? Wie nehmen Sie das wahr?
Aktivitäten sind weniger sichtbar. Das ist anders als vor einigen Jahren, als Belarus noch auf der politischen Agenda stand. Hin und wieder gibt es Medienberichte, aber ich hätte gerne mehr davon. Im Rahmen meiner Arbeit treffe ich auch auf belarussische Geflüchtete, die nach Hamburg kommen. Ich sehe, dass da ein Prozess im Gange ist. Wenn man sich die geopolitische Situation vor Augen führt, ist das alles in allem so schlecht nicht.
Tun die westlichen Staaten im Hinblick auf diese Menschen genug?
Wir sehen derzeit, dass immer mal wieder politische Gefangene frei kommen. Das schreibe ich den Bemühungen einiger europäischer Staaten zu, die tragen Früchte. Denn da findet irgendeine Art von Kontakt statt. Ich glaube, dass das Maximum dessen, was getan werden kann, auch getan wird. Eine andere Sache ist, dass das gewünschte Ergebnis nicht schnell zu erreichen ist. Doch immerhin: Menschen kommen frei. Das ist das Wichtigste. Leider betrifft das nicht alle politischen Gefangenen. Doch ich habe die Hoffnung, dass auch sie irgendwann herauskommen. Die Kehrseite der Medaille jedoch ist: Um die Freigelassenen zu ersetzen, werden viele andere Menschen inhaftiert. Das folgt der Logik des Regimes. Leider.
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