: Just another brick in the wall
Kann es sein, dass Pop ein Antisemitismusproblem hat? Maria Kanitz und Lukas Geck durchleuchten die Szene in ihrem Buch „Lauter Hass“
Von Rosa Budde
Ein Schwein schwebt über einer Menschenmenge. Auf seiner Seite ist neben anderen Symbolen ein Davidstern gemalt. Die Menge schreit und jubelt. Das Schwein ist ein großer aufblasbarer Ballon, die Menschenmenge ist das Konzertpublikum von Roger Waters, dem Mitbegründer der Rockband Pink Floyd. Der Schweineballon bei seinen Soloshows soll das Böse der Welt symbolisieren und ist mit wechselnden Zeichen und Namen großer Konzerne bemalt. Und manchmal eben auch mit einem Davidstern.
Roger Waters zufolge handelt es sich dabei um eine politische Kritik an der israelischen Regierung. Das Schwein mit Davidstern als Zeichen des Bösen erinnert jedoch an die antijudaistische Schmähfigur der „Judensau“, die bereits im Mittelalter verwendet wurde. Es steht so in einer Tradition antisemitischer Symbolik.
Die popkulturelle Musikszene versteht sich überwiegend als freiheitlich und progressiv. Popmusik – auch kommerziell erfolgreicher Rock und Rap – gilt als Medium der Emanzipation. Wie kann es da sein, dass Musiker:innen und Fans bei Konzerten antisemitische Symbolik feiern? Wie beim US-amerikanischen Rapper Kanye West, neuerdings Ye, der sich kürzlich als Nazi bezeichnete und Sympathien für Hitler bekundete. Auch im Deutschrap finden sich zahlreiche Beispiele für antisemitische Parolen, seien es absurde KZ-Vergleiche des Gangsta-Rappers Kollegah oder die ständige Erwähnung der antisemitischen Verschwörungserzählung der „Rothschild-Theorie“ beim Rapper Haftbefehl. Dem Erfolg der Musiker tut das keinen Abbruch. Hat die Popmusikwelt ein Antisemitismusproblem?
In ihrem Buch „Lauter Hass – Antisemitismus als popkulturelles Ereignis“ beantworten Maria Kanitz und Lukas Geck diese Frage mit einem eindeutigen Ja. Sie untersuchen die deutsche und internationale Musikindustrie und Festivalszene auf antisemitische Ideologie und geben einen Überblick über Fälle von Antisemitismus im Pop. Dabei verfolgen sie jüngere Entwicklungen in der Popmusik nach, von der Rezeption von Verschwörungsideologien nach dem Terroranschlag am 11. September 2001 über Coronaleugnung und den Einfluss von Social Media Anfang der 2020er bis zum Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 und den darauf folgenden Krieg in Gaza.
Lukas Geck, Maria Kanitz: „Lauter Hass. Antisemitismus als popkulturelles Ereignis“. Verbrecher Verlag, Berlin 2025, 160 S., 20 Euro
Den größtenteils ausgebliebenen Ausdruck von Bestürzung über das Massaker der Hamas auf dem israelischen Supernova-Festival werten die Autor:innen als Zeichen von mangelnder Empathie der internationalen Musikszene gegenüber jüdischen Opfern von Gewalt. In jüngerer Zeit haben viele Musiker:innen Israel zu einer Waffenruhe aufgefordert. Das Leid in Gaza und den Krieg öffentlich zu verurteilen und die israelische Regierung zu kritisieren, ist wichtig. Wer aber in diesem Kontext die Hamas und ihre Gewalt unerwähnt lässt und so einer starren Einteilung in Unterdrücker und Unterdrückte folgt, in der Israel nur Aggressor und nicht auch Opfer sein kann, unterstützt laut den Autor:innen die Ideologie der Terrorgruppe.
Maria Kanitz und Lukas Geck erklären, wie Antisemitismus zum popkulturellen Ereignis wird. Wenn auch stellenweise etwas repetitiv, erläutern sie anschaulich antisemitische Codes und Stereotype. „Lauter Hass“ gibt so einen umfangreichen Überblick über eine schockierende Tradition in der Popwelt.
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