Juristische Krawall-Aufbereitung: Die 1.-Mai-Randale vor Gericht
Nach den Ausschreitungen am 1. Mai wurden bislang 14 Festgenommene verurteilt. Neben Bewährungsstrafen müssen einige länger in den Knast.
Es war der gewalttätigste 1. Mai seit Jahren, nun folgt die juristische Aufarbeitung. In diesen Wochen stehen jene Personen vor den Berliner Gerichten, die rund um den 1. Mai festgenommen worden waren. 289 Festnahmen zählte die Polizei an diesem Tag, 59 von ihnen kamen zeitweilig in Untersuchungshaft, einige sitzen dort bis heute.
Schon aus der "Revolutionären 18-Uhr-Demonstration" heraus flogen am 1. Mai Flaschen und Steine auf Polizisten, in den Abendstunden setzten sich Ausschreitungen um das Kottbusser Tor fort. Am Ende flogen gar zwei Molotowcocktails. Die Polizei meldete 479 verletzte Beamte - so viele wie seit 2004 nicht und viermal so viele wie im Vorjahr. Auch die Zahl der Festgenommen bedeutet einen deutlichen Anstieg gegenüber den 139 Gewahrsamnahmen 2008.
Laut Simone Herbeth, Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft, wurde bis heute gegen 92 Festgenommene Anklage erhoben. 14 Personen seien verurteilt. Die Sprecherin der Berliner Strafgerichte berichtet, dass die bisher erteilten Strafen "zwischen einer Woche Dauerarrest und über drei Jahren Haft" gelegen haben. Meistens seien Bewährungsstrafen ausgesprochen worden. Waren Angeklagte vorbestraft, zeigten sich die Richter hart: Ein 30-Jähriger wurde zu drei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt (siehe unten). Am vergangenen Mittwoch bekam ein 27-jähriger arbeitsloser Schlosser für einen Flaschenwurf auf einen Polizisten eine Haftstrafe von eineinhalb Jahren - auch als "deutliches Zeichen an jene, die meinen, sie hätten an diesem Tag einen Freibrief", wie es im Urteil heißt.
Die CDU begrüßt die hohen Haftstrafen. "Der 1. Mai war gewalttätiger in diesem Jahr, darauf muss auch mit härteren Strafen reagiert werden", so der CDU-Abgeordnete Kurt Wansner. Künftig sollte sogar noch strikter geurteilt werden, um eine Abschreckung für andere Randalierer zu erzielen, findet er. Auch aus dem Berliner Innensenat heißt es, dass bisher "angemessen" geurteilt wurde. Eine weitere Strafverschärfung für 1.-Mai-Täter lehne Innensenator Ehrhart Körting (SPD) aber ab, so dessen Sprecherin.
In der linken Szene werden die Prozesse dagegen harsch zurückgewiesen. "Mit diesen völlig überzogenen Urteilen soll bloß Protest diskreditiert werden", so Lars Laumeyer von der Antifaschistischen Linken Berlin. Mit dem "Wegknasten" würden sich Politik und Justiz eine Auseinandersetzung mit den sozialen Ursachen der 1.-Mai-Proteste sparen. Es sei ein Zeichen, dass keine autonomen "Politkkader" vor Gericht stünden, sondern "einfache Bürger", so Laumeyer.
Tatsächlich waren nur 12 der 289 Festgenommenen der Polizei als Linksextremisten bekannt. Für Körting zeigt das, dass die Steinewerfer überwiegend nicht diejenigen sind, die ein politisches Anliegen haben. "Viele Randalierer ließen sich am 1. Mai von einem bestimmten Klima animieren", so seine Sprecherin. Für die Linke-Abgeordnete Evrim Baba beweisen die Prozesse, dass die linke Szene vor und nach dem 1. Mai "falsch als Gewaltmacher abgestempelt und kriminalisiert" wurde.
Weitere drastische Strafen drohen vier Jugendlichen. Sie hatten am 1. Mai Molotowcocktails auf Polizisten geworfen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen zwei von ihnen, einen 17-jährigen und einen 19-jährigen Schüler, Anklage wegen versuchten Mordes und fahrlässiger Körperverletzung vor der Jugendkammer des Landgerichts erhoben. Der von ihnen geworfene Molotowcocktail war vor den Polizisten zerschellt, hatte aber eine unbeteiligte Frau getroffen und schwer verletzt. "Ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest", so die Gerichtssprecherin. Die Schüler schweigen beziehungsweise bestreiten die Tat.
Noch nicht ermittelt ist der Täter, der in der 1.-Mai-Nacht vom Neuen Kreuzberger Zentrum eine brennbare Flüssigkeit auf Polizisten geschüttet hatte. Die drei getroffenen Beamten blieben unverletzt. Die Polizei sucht mit einem Phantombild nach einem Jugendlichen, der wie ein 12- bis 14-Jähriger aussehen soll. Aktuell verhandelt wird gegen Cristian P. aus Rom. Der 29-Jährige soll am 1. Mai 17 Flaschen auf Polizisten geworfen haben.
Pikant wird die Verhandlung am 6. Oktober: Dann steht ein Bundespolizist vor Gericht, der sich privat in Kreuzberg aufhielt. Der 24-Jährige soll kurz vor Mitternacht drei Steine auf seine Kollegen geworfen haben. Ihm werden schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Der Polizist ist vom Dienst suspendiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen