Juristin über rassistische Polizeikontrollen: „Du gehörst nicht dazu!“
Ein Deutscher mit indischen Vorfahren klagt gegen rassistische Polizeikontrollen. Juristin Petra Follmar-Otto fordert das Ende des „Racial Profiling“.
taz: Frau Follmar-Otto, der Kläger in München sagt, Kontrollen wegen Merkmalen wie der Hautfarbe würden gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. Das Urteil könnte ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Racial Profiling werden. Warum sind solche Prozesse überhaupt noch nötig?
Petra Follmar-Otto: Der Gesetzgeber sendet widersprüchliche Signale. Einerseits gibt es im Grundgesetz und in zahlreichen internationalen Konventionen, die Deutschland unterschrieben hat, ganz klar das Verbot jeder rassistischen Diskriminierung durch staatliche Behörden. Gleichzeitig ist aber in unseren Gesetzen auch der Auftrag zu anlasslosen Kontrollen an die Polizei formuliert, der letztlich genauso eine diskriminierende Kontrollpraxis befördert. Jenseits der Einzelfall-Überprüfung durch Gerichte meinen wir, dass die Ermächtigungsgrundlage im Bundespolizeigesetz gestrichen werden sollte.
Sie sprechen von Paragraf 22, Absatz 1 des Bundespolizeigesetzes.
Genau. Grundsätzlich ist es in Deutschland als Rechtsstaat so, dass polizeilichen Maßnahmen immer ein Verdacht zugrunde liegen muss. Es gibt nur wenige Ausnahmetatbestände, bei denen dieses Erfordernis eines konkreten Verdachts nicht existiert und die Polizei zu sogenannten anlasslosen Kontrollen ermächtigt ist. Paragraf 22, Absatz 1 des Bundespolizeigesetzes erlaubt es Polizisten, etwa in Zügen, an Bahnhöfen oder auf Flughäfen in Zusammenhang mit der Bekämpfung illegaler Migration ohne konkreten Verdacht zu kontrollieren. Dies führt zu einer Kontrollpraxis, die an äußeren Merkmalen anknüpft.
Wie sähe eine Alternative zu dieser Praxis beim Thema illegale Einwanderung aus?
Das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Mit der Abschaffung der Binnengrenzen in der EU – einer großen Errungenschaft für die Freizügigkeit – sind flächendeckende Grenzkontrollen in der EU europarechtlich verboten. Damit scheidet die Möglichkeit aus, tatsächlich ohne Diskriminierung jede Person zu kontrollieren – ganz abgesehen davon, dass dies aufgrund des Aufwandes wohl auch niemand will.
Es gibt Diskussionen, ob es andere verfassungskonforme Vorgaben für die Kontrollpraxis geben kann, zum Beispiel jede x-te Person zu überprüfen. Ich habe aber Zweifel, ob das zu einer Veränderung der diskriminierenden Praxis führen würde. Interessant ist übrigens auch, dass die bisherige Kontrollpraxis keinesfalls erfolgreich ist. Die Trefferquote der Kontrollen liegt gerade einmal bei ein bis zwei Prozent.
Hat die Polizei ein Rassismusproblem?
ist Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland und Europa des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Die Polizei kann nicht allein zum Schuldigen gemacht werden. Die primäre Verantwortung sehen wir beim Gesetzgeber. Der Gesetzgeber hat diese Rechtsgrundlagen geschaffen und ist somit auch politisch verantwortlich. Wichtig ist aber auch, dass die Sensibilisierung für alle Formen rassistischer Diskriminierung in der Polizeiaus- und Fortbildung verankert wird und das Ziel diskriminierungsfreien Handelns in der Polizei als Führungsaufgabe verstanden wird. In den letzten Jahren ist dazu in den Polizeien durchaus auch eine Auseinandersetzung in den Gang gekommen, das ist sehr positiv.
Reicht die Sensibilität für das Thema in Deutschland aus?
Ein ganz wichtiger Aspekt ist tatsächlich, dass vielfach noch die Existenz des Problems geleugnet wird. In letzter Zeit wurde zwar vermehrt über die Praxis berichtet. Aber wir stehen noch am Anfang eines Prozesses der Bewusstwerdung des Problems. Das ist auch darin begründet, dass immer noch die Realität des Einwanderungslandes Deutschland nicht richtig in allen Köpfen angekommen ist. Nach wie vor glauben viele, anhand äußerer Merkmale festlegen zu können, wer zu Deutschland gehört und wer nicht. Das ist es auch, was diese Art von Kontrollen so verletzend für die Betroffenen macht. Jede Ausweiskontrolle sendet das Signal: „Du stehst unter Verdacht, du gehörst nicht dazu.“
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