JunglehrerInnen im Referendariat: Und plötzlich sind da Schüler!
Nach dem Studium kämpfen sich angehende LehrerInnen durch das Referendariat. Eine Doku zeigt, wie drei von ihnen nach ihrer Rolle suchen.
Das Referendariat nach dem Lehramtsstudium gilt als Sprung ins kalte Wasser. Auf ein theoretisch geprägtes Studium folgt die totale Praxis – ein bis zwei Jahre Vorbereitungsdienst an einer Schule. In dieser Zeit stehen die fachlich und didaktisch vollgepumpten Jung-LehrerInnen vor Schulklassen und geben Unterricht, werden gleichzeitig aber auch von FachseminarleiterInnen kritisch begutachtet. Sie sind also sowohl LehrerInnen als auch SchülerInnen.
„Zwischen den Stühlen“ heißt daher auch der unter anderem auf den DOK Filmfestival Leipzig prämierte Dokumentarfilm des Regisseurs Jakob Schmidt, der am 18. Mai in die Kinos kommt. Schmidt hat drei Berliner ReferendarInnen durch die Höhen und Tiefen des Vorbereitungsdienst begleitet – vom ersten Tag vor den SchülerInnen bis zur Prüfungsstunde vor der Kommission. Wie sich der persönliche Anspruch der ProtagonistInnen am Schulsystem und den Bedingungen vor Ort reibt, wie sie im Laufe der Zeit an sich zweifeln, sich verändern, scheitern und weitermachen, hat Schmidt in einem mal humorvollen, mal bedrückenden Film eingefangen.
Ralf Credner wird Gymnasiallehrer. Nach einer Schulkarriere, die gleich mehrere Brüche aufweist – er blieb zweimal sitzen, flog von der Schule und schaffte zehn Jahre und 40 Jobs später, wie er erzählt, doch noch das Abitur – ist er seinem Traumberuf Lehrer so nah wie nie. Credner hadert hinter seinem autoritären Auftreten mit seiner Rolle. Soll er einem Schüler eine pädagogische 4 Minus oder doch eine 5 geben? Reicht es aus, dass er als Lehrer „nutzbringende und vollwertige Glieder der Gesellschaft produziert?“, ein Zitat aus dem Hesse-Roman, den er gerade mit den SchülerInnen durchnimmt.
Schließlich kommt er für sich zu dem Schluss: „Ich find’s nicht schlimm. Wenn ich vor 30 Schülern stehe und die alle so werden, dass man sich in späteren Jahren nicht um sie sorgen muss und sich nicht vor ihnen fürchten muss, mach ich doch eine tolle Sache.“ Und das Schulsystem sei eigentlich gar nicht so schlecht. „Es funktioniert ja.“
Am Ende resigniert
Anders Katja Wolf. Sie absolviert das Referendariat an einer Berliner Sekundarschule, einer klassischen Brennpunktschule. SchülerInnen kommen gar nicht zum Unterricht oder ohne Stifte, der Umgangston ist rau: „Du Judenschwein“, schallt es da schon mal durch den Raum. „Man übt im Referendariat, Stunden zu konzipieren, zu planen, umzusetzen und dann zu gucken, was ist schiefgelaufen. Aber das sind ganz, ganz wenige Stunden, die ich so halten kann“, sagt Wolf am Ende ihres Referendariats resigniert.
Anna Kuhnhenn, angehende Grundschullehrerin, sieht sich wiederum als Puffer zwischen ihren SchülerInnen und dem Schulsystem. „Man hat das Gefühl, alles, was Spaß macht, ist verboten“, sagt sie. „Du darfst nicht rennen, du darfst nicht toben. Dieses Stillsitzen im 45-Minuten-Takt ist eigentlich wahnsinnig brutal und nicht angemessen.“ Sie versuche ihren SchülerInnen Freiräume zu ermöglichen in einem Bildungssystem, das, so ihre Meinung, in erster Linie verwertbares Humankapital erzeugen wolle.
Was in der Lehramtsausbildung schief läuft
Auf der Suche nach seinen ProtagonistInnen hat Schmidt 25 Lehramtsstudierende „gecastet“ und gezielt solche ausgewählt, für die der Beruf auch Berufung ist. Keine abgebrochenen MathematikstudentInnen, die sich aus Verlegenheit fürs LehrerInnendasein entscheiden, sondern Überzeugungstäter. Es liegt also nicht am mangelnden persönlichen Engagement der Protagonisten, dass Wunsch und Wirklichkeit nicht so recht zusammenpassen.
Was also läuft schief in der Ausbildung – warum fühlen sich angehende LehrerInnen so schlecht vorbereitet?
Dieser Frage widmete sich auch das Netzwerk Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung, das den Film in einer Vorpremiere in der vergangenen Woche zeigte. Die Mehrheit seiner ReferendarInnen hätte noch nie vor einer Klasse gestanden, berichtet Fred Wedler, der an der Sophie-Gesamtschule in Berlin Geschichte unterrichtet und seit 12 Jahren ReferendarInnen ausbildet. „Die haben keine Ahnung vom Unterrichten. Das führt zu Frustrationserfahrungen.“
Der Trend geht zum praxisnäheren Studium
Keine Ahnung vom Unterrichten nach fünf Jahren Lehramtsstudium zu haben, ist in Deutschland fast selbstverständlich. Denn die in zwei Phasen aufgeteilte Ausbildung zielt darauf ab, dass sich die angehenden LehrerInnen zunächst das Fachwissen und die Methodik aneignen, ehe sie auf SchülerInnen losgelassen werden.
In den letzten Jahren geriet allerdings einiges in Bewegung, viele Bundesländer, haben die Lehramtsausbildung reformiert und die Studienphase um längere Praxiseinheiten bereichert. In Berlin werden die Studierenden seit 2016 bereits im Master für ein Semester in die Schulen geschickt. Ihnen werden ausgebildete und zeitlich entlastete MentorInnen zur Seite gestellt. Auch das ist neu und geradezu revolutionär. Denn die LehrerInnen, die den ReferendarInnen den Einstieg bisher ebnen sollen, sind für diese Aufgabe weder speziell qualifiziert noch haben sie besonders viel Zeit.
Die ProtagonistInnen in Schmidts Film müssen um Aufmerksamkeit geradezu betteln. „Hätten Sie mal ’ne Minute für ein Feedback?“, fragt Credner. „Nee, jetzt nicht“, kommt es enerviert zurück. Sie bereiten ihren Unterricht allein vor und ernten erst danach teils harsche Kritik.
Konzentration aufs Mittelfeld
Sabine Achour, Professorin an der Freien Universität Berlin, bildet LehrerInnen für das Praxissemester zu MentorInnen aus. In der Weiterbildung werde Wert auf die gemeinsame Planung und Nachbesprechung der Unterrichtsstunden gelegt, erläutert Achour. „Ich kann bei Unterrichtsbesuchen sofort sehen, ob eine Stunde vorbesprochen und gemeinsam mit der Mentorin geplant wurde“, berichtet sie von ersten Erfahrungen. Auch die Studierenden würden in der Regel merken, ob MentorInnen ausreichend qualifiziert für die Lernbegleitung seien oder nicht.
Ob frühe Praxisphasen die Lehramtsausbildung nachhaltig verändern können, wird auch davon abhängen, wie diese Phasen personell ausgestaltet und begleitet werden.
Der Film deutet allerdings auch an, dass sich Schule generell ändern muss, damit SchülerInnen und LehrerInnen sie gesund überstehen. „Unser Schulsystem ist ganz klar auf ein Mittelmaß reduziert, wo ein Genialer nie eine Chance hat und ein Schlechter Schwierigkeiten bekommt. Wir orientieren uns nicht an der Individualität, sondern an einem ganz kleinen Ausschnitt messbarer Leistung“, resümiert ein Lehrer, der selbst ReferendarInnen ausbildet, im Film.
Was ihn während der Dreharbeiten am meisten beeindruckt habe, sagt Schmidt: „Dass es trotz der manchmal harten Bedingungen doch noch so viele idealistische und engagierte Lehrer gibt.“
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