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Junge Tunesierinnen über die Wahl„Man foltert immer noch ungestraft“

Zeineb Turki und Lina Ben Mhenni, zwei junge Tunesierinnen, über den Polizeistaat, eine unvollendete Revolution und die Bedeutung von Online-Medien.

Alles ist möglich: Alltagsszene aus Tunis. Bild: Reuters
Interview von Sandro Lutyens

taz: Frau Turki, Frau Ben Mhenni, wird Tunesiens Jugend drei Jahre nach den ersten Wahlen gut von der Politik vertreten?

Zeineb Turki: Nein, die Parteien repräsentieren die Jugend nicht. Die politische Elite ist gescheitert, und die Jugend vertraut der Politik nicht mehr. Aber in der aktuellen wirtschaftlichen und politisierten Realität ist es schwierig, Hoffnung aufrechtzuerhalten. Es ist nicht mehr wie im Jahr 2011.

Lina Ben Mhenni: Ich fühle mich auch von keiner Partei angesprochen. Sie geben sich keine Mühe. Nur wenige Kandidaten für die Parlamentswahlen sind jung.

Hat die Revolution denn irgendetwas Positives bewirkt?

Ben Mhenni: Es hat sich nichts geändert! Meinungsfreiheit vielleicht, aber auch nicht ganz. Und die Polizeigewalt geht weiter, im Namen des Kampfes gegen den Terror: „Ihr sollt alles akzeptieren, nichts diskutieren.“ Als Ben Ali an die Macht gekommen ist, war es genauso. Erst war es ruhig, und dann hat man Freiheiten eingeschränkt, um den Terror zu bekämpfen. Wenn neue Politiker alte Politik betreiben, gibt es keine Veränderung.

Ist Tunesien noch ein Polizeistaat?

Im Interview: Zeineb Turki

32, stammt aus dem wohlhabenden Tuniser Vorort La Marsa. Sie setzt ihr Medizinstudium 2011 aus, um sich der Politik zu widmen. Sie engagiert sich in der Jugendabteilung der gemäßigten Partei PDP und wird nach den ersten Wahlen ins Gremium gewählt. Heute ist sie Kampagnendirektorin des Präsidentschaftskandidaten Ahmed Nejib Chebbi.

Ben Mhenni: Für mich schon. Man foltert immer noch ungestraft. Ich selbst wurde vor zwei Jahren von 10 Polizisten auf der Straße verprügelt.

Turki: Es gibt durchaus das Risiko der Banalisierung, und das ist sehr gefährlich. Es gibt noch viel Arbeit, um die Institutionen zu reformieren. Das System ist noch da, aber Ben Ali wurde immerhin rausgeschmissen, und es gibt Wahlen. Es war wichtig, dass der demokratische Wandel friedlich verläuft. Es gab zwei Möglichkeiten: Konfrontation oder Verhandlung.

Ben Mhenni: Ich verhandle doch nicht mit Kriminellen, denen muss man sich widersetzen. So wird es nicht lange gut gehen! Die Ziele der tunesischen Revolution waren Arbeit, Freiheit und Würde für alle Bürger. Heute aber reden die Politiker nur noch über Identität und Religion. Das ist der falsche Weg.

Im Ausland heißt es oft, Tunesiens Gesellschaft sei zweigeteilt: Islamisten und Modernisten. Stimmt das?

Im Interview: Lina Ben Mhenni

31, ist eine bekannte Bloggerin der tunesischen Revolution. Für ihren Blog „A Tunisian Girl" wird sie 2011 für den Friedensnobelpreis nominiert. Auch ihr Vater, Mitbegründer von Amnesty International in Tunesien, setzt sich für Menschenrechte und gegen die Zensur ein. Ben Mhenni macht keine Politik und vertritt niemanden.

Turki: Ich sehe es nicht so. Diese Wahrnehmung bezieht sich auf die politische Elite. In der Gesellschaft ist es nicht so. Man kann in derselben Familie einen Salafisten, einen Alkoholiker, einen jungen Dschihadisten und einen Arbeitslosen finden. Das Volk ist nicht geteilt, es ist verschieden.

Ben Mhenni: Ich bin derselben Meinung, auch wenn ich den Eindruck habe, die politischen Orientierungen beeinflussen die Gesellschaft immer mehr.

Sie sind beide in den sozialen Medien aktiv. Ist ihr Einfluss noch so groß wie zu den Zeiten der Revolution?

Ben Mhenni: Schon. Aber es reicht nicht, man muss auch vor Ort arbeiten. Manche Tunesier haben weder fließendes Wasser noch Strom, von sozialen Medien ganz zu schweigen.

Turki: Soziale Medien sind ein öffentlicher Raum zum Meinungsaustausch. Meinungsführer können schon etwas bewegen. Man muss jedoch auch in Bürgernähe agieren.

Haben die Blogger noch so viel Einfluss wie in der Revolution?

Ben Mhenni: Nein. Heute nennt sich jeder Blogger; manche arbeiten sogar für Parteien oder Firmen. Wir haben nie für Geld gearbeitet. Bloggen war für mich keine Arbeit.

Turki: Ich glaube schon, dass Blogger die Bürger dank ihrer Bekanntheit noch mobilisieren können.

Worum geht es bei den kommenden Wahlen?

Turki: Das größte Risiko ist politische Instabilität. Wenn es keine Einigung über wirtschaftlichen Aufschwung und Sicherheitspolitik gibt, kann die Situation eskalieren. Das Volk wird sich nicht ewig zurückhalten.

Ben Mhenni: Die Leute glauben, alles wird nach den Wahlen besser. Während der Verfassungsverhandlungen hat man ähnlich gedacht. Und was hat sich geändert?

Kann der demokratische Wandel erfolgreich sein?

Turki: Ich glaube schon. Sonst wäre ich nicht hier.

Ben Mhenni: Wir sind doch gar nicht in einem demokratischen Wandel! Ein Kellner ist vorhin zu mir gekommen und meinte: „Was die Politiker machen, hat keinen Sinn. Wir, das Volk, die Armen, wir werden reagieren. Es kommt. Bald wird es ausbrechen.“

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