Junge Literatur bei der Prosanova: Unabgefuckte Bekenntnisse
Dünnhäutig und marktkonform: In Hildesheim ist der neueste Stand der Selbstvergewisserung im Literaturbetrieb zu besichtigen.
Plock, macht der kleine weiße Ball, plock. Angehende Schriftsteller spielen Tischtennis im Innenhof einer Schule, die renoviert werden soll. Sie spielen Rundlauf, um möglichst viele Spieler zu integrieren. Entspannt sieht das aus. Aber man hat als Beobachter auch Mühe, die Szene nicht zu symbolisch zu nehmen. Denn genau das wird mit manchen Karrieren dieser Schreibnachwuchsleute passieren. Runde für Runde wird jemand aus dem Spiel herausfallen, am Schluss werden nur noch wenige den ersten Preis unter sich ausmachen. Den Literaturpreis oder den Spitzentitelplatz im Verlagsprogramm. Plock.
Dieser Innenhof, in dem außer der Tischtennisplatte noch alte Sofas standen, eine Bühne, ein großes Scrabble-Spiel, Ess- und Trinkstände, Stühle, das war der eigentlich interessante, wenn auch in der Beschreibung schwer zu fassende zentrale Ort des diesjährigen Prosanova-Festivals der Schreibschule in Hildesheim, das am vergangenen Wochenende stattfand.
Drumherum, in der Mensa, der Turnhalle, auf den Gängen der leerstehenden Schule, liefen viele Veranstaltungen. Manche sahen der programmatisch von den Veranstaltern verachteten „Wasserglas-Lesung“ verdächtig ähnlich. Andere waren gute Experimente, gelungene Ausprobiererei, wie eine Comiclesung mit Dietmar Dath und ein sogenanntes „Social Reading“, in dem Jo Lendle, Annika Reich und Jan Brandt Texte lasen und gegenseitig kommentierten. Die studentischen Organisatoren hatten interessante Leute eingeladen. Kathrin Passig, Clemens Meyer, Thomas Pletzinger, Sasa Stanisic, Leif Randt, Tilman Rammstedt, Antje Rávic Strubel, Dorothee Elmiger, viele mehr. Und jeden Abend gab es Party unter dem Motto „Unendlicher Spaß“.
Aber wer verstehen wollte, was sich im Nachwuchsbereich des Literaturbetriebs verschoben hat, seitdem es die Schreibschulen von Hildesheim und Leipzig gibt, der musste vor allem zu verstehen versuchen, was sich hier im Innenhof abspielte, in den Pausen, den unbeobachteten Momenten, den Augenblicken, in denen die Schreibstudenten in der Sonne lagen, quatschten und chillten. Twentysomethings im gesteigerten Wahrnehmungsmodus sah man da, die wahrscheinlich die ganze Zeit für sich die Frage im Kopf prozessierten, ob sie das, was einem die älteren Autoren da boten, auch können – und ob sie ihr Leben zum Schreiben hin organisieren sollen.
Knallhart was eingefädelt
Seitdem es Hildesheim und Leipzig gibt, gibt es die Möglichkeit, während des Studiums ein paar Jahre lang legitimiert über die Frage zu grübeln, ob man wirklich Schriftsteller werden will. Man soll das nicht romantisch idealisieren. Business ist immer dabei. Die Literaturkritikerin Ina Hartwig äußert in einem Begleittext zum Festival ganz zu Recht den Verdacht: „Vermutlich wird knallhart auf den Parties was eingefädelt.“ Tatsächlich wurden auch während des vermeintlich unschuldigen Pausenabhängens auf dem Innenhof kräftig Peergroups gepflegt und Beziehungen geknüpft. Nicht zu vergessen die Anerkennungskämpfe zwischen Prosaautoren und Lyrikern.
Aber immerhin werden die Aufmerksamkeitshierarchien, die sich dabei unweigerlich einstellen, sozial untereinander ausgehandelt. Warum das nicht einmal in einen weiteren historischen Horizont stellen? Der Umgang der Autoren beim Prosanova-Festival war jedenfalls unendlich weit weg von den strengen Dominanz- und Hackordnungsspielen der Gruppe 47, von denen einem während des Literaturstudiums erzählt wurde. Die sadomasochistischen Leseauftritte, die ausgefeilten Wortduelle der Starkritiker – das ist lange her. Und das ist ein Fortschritt.
Man kann den Horizont noch weiter stellen. Wer heute Schriftsteller werden will, muss sich nicht mehr gleich als Außenseiter fühlen und inszenieren, wie das in der großen Tradition von, sagen wir, Hanno Buddenbrook bis Thomas Bernhard der Fall war. Oft ist in den Prosanova-Begleittexten, den Vorworten und der täglich erschienenen Festivalzeitung, denn auch von einem „Wir“ die Rede. Wobei man den Eindruck hat, dass schon klar ist, dass man zu guter Letzt mit seinem Buch ich-neurosenhaft allein kämpfen wird.
Wenn man die Debatten der vergangenen Monate hinzunimmt, verschiebt sich allerdings die Perspektive auf die Innenhof-Szenen. Die miteinander verbundenen Vorwürfe, die junge Literatur sei zu bieder und zu sehr bildungsbürgerliche Mittelklasse, hat die Jungschriftsteller getroffen. Das merkte man an vielen kleinen Randbemerkungen. Aber man merkte auch, dass diese Vorwürfe viel zu allgemein sind, um tatsächlich Veränderungen zu beschreiben.
Marktkompatible Etiketten
Die Thesen, die sich anschließen, geraten einfach zu eng. So machte in Hildesheim die These die Runde, dass die jungen Schriftsteller inzwischen reagiert haben und diese Saison nicht mehr auf Familie, sondern auf Relevanz setzen würden. Afghanistan-Setting und so. Andere Autoren witzelten gleich über mögliche Coversticker: „Junge Literatur – jetzt mit Relevanz!“ Was darauf hinzielte, nicht immer gleich solchen marktkompatiblen Etiketten aufzusitzen. Eine Diskussionsrunde befragte stattdessen viel reflektierter im Untertitel „Was wir eigentlich meinen, wenn wir von Relevanz sprechen“. Wobei wenig überraschend dabei herauskam, dass die eine sich dies und der andere sich das darunter vorstellte.
Die Perspektive verschiebt sich noch einmal, und zwar ins Interessantere, wenn man die Selbstverständigungstexte rund um junge Literatur hinzunimmt, die zuletzt in so großer Zahl erschienen sind. Florian Kesslers in der Zeit vorabgedruckter Arztsohn-Essay, der Ausgangspunkt der Frühjahrsdebatten, war ja zunächst für die Anthologie „Irgendwas mit Schreiben. Diplomautoren im Beruf“ verfasst. Die extradicke Frühjahrsausgabe der Neuen Rundschau war prall gefüllt mit „Manifesten für eine Literatur der Zukunft“. Und parallel zum Prosanova-Festival ist ein Band der Literaturzeitschrift Bella Triste erschienen, in denen elf Jungschriftsteller Bekenntnisse abliefern und drei Essayisten – Ina Hartwig, Christian Schärf und, noch einmal, Florian Kessler – über diese Bekenntnisse nachdenken.
In der Bella Triste kann man so gerade Sätze lesen wie von Katja Brunner: „Ich glaube nicht, dass literarische Texte einen auf die Barrikaden zwingen, sie retten auch keine Leben und produzieren wahrscheinlich auch keine Gabelungen.“ Es gibt schöne Sottisen wie die von Jan Brandt kolportierte Anekdote über eine Schreibwerkstatt bei dem Schriftsteller Ulrich Peltzer: „Einer der jungen Prosa-Autoren habe zu Ulrich Peltzer gesagt, er schreibe, um seinen Schmerz auszudrücken, worauf Peltzer ihm empfohlen habe, bei Schmerzen Aspirin zu nehmen.“ Über „Lebensentwürfe mit und um Literatur“ (Vorwort) wird oft ziemlich ehrlich nachgedacht.
Florian Kessler trifft dabei in seinem Essay eine fruchtbare Unterscheidung. Einigen Manifesten attestiert er „literaturbetriebliche Abgefucktheit“. Das betrifft vor allem die nicht wenigen Manifeste, in denen, traditionellen Avantgardemustern aufsitzend, eine „ganz neue“ oder „ganz andere“ Literatur beschworen wird, was tatsächlich schnell nach Marketing klingt. Florian Kessler kennt da nichts, wie in seinem Arztsohn-Aufsatz nennt er konkrete Namen: Jan Brandts und Thomas Klupps Bekenntnisse liegen für ihn „definitiv am oberen Ende der betrieblichen Abgefucktheits-Skala“.
Auf litradio.net kann man viele Debatten des Festivals nachhören. Neue Rundschau (15 Euro) und Bella Triste (5,35 Euro) gibt es in guten Buchhandlungen.
Davon unterschiedet Kessler „unabgefuckte Bekenntnisse“ etwa von Katja Brunner und Roman Ehrlich, die sich „dünnhäutig“ mit der möglichen „Erfahrung des Scheiterns“ beschäftigen, der „Erfahrung also, dass man schlichtweg auch auf die Fresse fliegen kann, dass man ästhetisch und biografisch, was oft nicht weit auseinanderliegt, verunglücken kann, dass die Hoffnungen auf Literatur und ebenso auf literarische Kommunikation einfach nur brutal enttäuscht werden können.“ Was Kessler zuvor am Beispiel des einst viel gedruckten und heute vergessenen Autors Gert Neumann illustriert hatte. Plock.
Wenn man solche Sätze liest, schaut man noch einmal anders auf die scheinbar so arglos agierenden Jungschriftsteller im Innenhof. Mit Reflexionsansätzen muss man ihnen nicht kommen. Die haben sie selbst. Es waren gute Tage in Hildesheim.
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