Junge Freiwillige vor der Wahl: Krass unterschiedlich drauf
Ein altes Pionierlager in Brandenburg: 300 Jugendliche bereiten sich auf ihren Freiwilligendienst im Ausland vor – und diskutieren über die Wahl.
Ein paar haben sich die Hug-me-Zettel auf die Brust geheftet. Es geht um Selbsterfahrung, darum, Grenzen zu überwinden – im doppelten Sinne: Mit dem Freiwilligendienst „kulturweit“ der deutschen Unesco-Kommission werden die Jugendlichen bald in die Welt aufbrechen. Sie werden an Schulen helfen und in Goethe-Instituten. Vor allem aber sollen sie Eindrücke sammeln und ihre Rolle in der Welt reflektieren.
Dreihundert junge Menschen, die kurz davor stehen, als deutsche Kulturbotschafter in die Welt zu reisen – jetzt, zwei Wochen vor der Bundestagswahl, ist die Seminarphase im brandenburgischen Wald also auch ein Biotop von politischer Aussagekraft. 95 Prozent der Freiwilligen sind Abiturienten, ein Auslandsaufenthalt nach der Schule ist noch immer Milieufrage. Nur die, die es sich leisten können, fahren in die Welt. Hier kommt eine Elite zusammen, man ist bestens informiert, die Wahl ist Dauerthema. Weltverbesserungsgeist weht durch das DDR-Ambiente.
„Manche hier schauen nicht mal Olympische Spiele, weil sie gegen Nationen sind“, sagt Carolin Büchter, „ich habe hier Meinungen gehört, von denen dachte ich bisher: Wer findet denn so was?“. Die 18-Jährige aus dem Münsterland wird nach Budapest reisen. Per Brief hat sie bereits gewählt: Erststimme CDU, Zweitstimme FDP. Damit ist sie am Werbellinsee eine Ausnahme. Bei einer spontanen Umfrage unter einigen Dutzend Freiwilligen melden sich 18 für die Grünen, 16 bei der SPD, 12 für die Linke und 3 für die CDU. Als sich Carolin Büchter zur FDP bekennt, lacht Hauke Bruns ungläubig.
Der 18-jährige Ostfriese ist Mitglied bei den Jusos. „CDU und FDP – das ist für mich soziale Kälte“, sagt Bruns, „die FDP würde niemand wählen, dem es selbst schlecht geht.“ Der Streit bleibt sachlich, aber die Stimmung ist angespannt. „Natürlich geht es mir gut, man muss sich halt einordnen in das soziale Gefüge“, rechtfertigt sich Carolin Büchter, „die eigenen Interessen sollte man schon im Blick behalten dürfen.“
Bruch der Denkmuster
Büchter und Bruns sind sich vor wenigen Tagen zum ersten Mal begegnet, dreihundert Fremde sind hier zusammengewürfelt. Man lernt sich über die Auseinandersetzung kennen. FDP-Wählerin Büchter wirft den linken Parteien „Hauruck-Aktionen“ vor, „die erst super klingen und dann auseinanderbröseln, nicht den Richtigen nützen oder furchtbar teuer werden“. Karl Hoffmann, ein junger Dresdner auf dem Weg nach Mexico-Stadt, mischt sich ein: „Die SPD verspricht soziale Gerechtigkeit, war aber jetzt selbst jahrelang an Regierungen beteiligt.“ Es geht noch eine Weile hin und her. Dann entschuldigt sich Hauke Bruns, dass er zuerst gelacht hat.
Carolin Büchter ist froh über den Austausch. Ihr Freundeskreis sei zwar politisch interessiert, aber wie sie konservativ geprägt. „Hier sind viele so krass anders drauf, damit habe ich komplett nicht gerechnet“, sagt sie. Die Tage vor der Ausreise sind ohnehin intensiv für die Jugendlichen. In manchem Seminar geht es ums Sprechen vor Gruppen, in anderen steht Nagellack für die Jungs bereit – Denkmuster durchbrechen vor der Herausforderung Auslandsaufenthalt. Auch Karl Hoffmann, der Dresdner, ist dankbar für die Hürden, die er hier zu nehmen hat.
Der schlanke blonde Mann lässt sich gern herausfordern. Er habe die Programme aller relevanten Parteien gelesen, sagt er. Bildungspolitik und Umweltschutz sind ihm die wichtigsten Themen. Christian Lindners Wahlkampf imponiert ihm, entschieden hat er sich aber für die Grünen, „weil das Paket stimmt“. Mit seiner Sorgfalt bei der Wahlentscheidung steht Karl Hoffmann stellvertretend für viele hier. Diese Erstwähler widmen sich ihrer demokratischen Verantwortung mit großer Ernsthaftigkeit.
Die junge demokratische Mittelschicht
Bei einigen ist aber auch herauszuhören, wie sehr sie noch in den Zusammenhängen ihrer Elternhäuser stecken. Eine tut sich schwer, sich von der SPD-Tradition der Familie zu emanzipieren; eine andere möchte sich anhand der Parteipositionen zum Thema Düngerverordnung entscheiden, das sei für den Landwirtschaftsbetrieb ihrer Eltern nun mal existenziell.
Und die Bundeskanzlerin? Obwohl quasi alle hier aus Haushalten kommen, die Angela Merkels #fedidwgugl-Wahlkampf eigentlich anzusprechen hofft, spielt die Beliebte bei den Gesprächen der Freiwilligen kaum eine Rolle. Mit Inhaltsarmut begeistert man offensichtlich keine ambitionierten Jungdemokraten. Richtig schlecht findet die Kanzlerin aber auch niemand: FDP-Wählerin Carolin Büchter und Juso Hauke Bruns einigen sich am Ende ihres Streits darauf, dass Merkels Entscheidung in der Flüchtlingskrise 2015 richtig gewesen sei, „keiner sonst wäre da so souverän geblieben“.
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