Julio Medems neuer Film "Caótica Ana": Bitte keine Wachsmalstifte
Julio Medem ist der Erotiker und Fantast des spanischen Kinos. In seinem neuen Film "Caótica Ana" schickt er seine Heldin auf eine Tour de Force - und verliert sie aus den Augen.
Ana ist ein Mädchen, das nie träumt. Sie spürt, dass sie in sich einen Abgrund trägt, und möchte lieber nicht daran rühren. Deswegen weist sie die Ratschläge von Justine (Charlotte Rampling) zurück, einer reichen Französin, die in Madrid eine Künstlerkolonie unterhält, und gern sehen würde, dass Ana Ölbilder malt und nicht mit Wachsmalstiften.
Das Mädchen von der Insel Ibiza hat allerdings seinen eigenen Kopf. Ana ist unverwechselbar, aber auch sehr verwundbar, wie sie von Manuela Vellés in Julia Medems neuem Film "Caótica Ana" gespielt wird. Es ist eine veritable Tour de Force für die junge Schauspielerin, die hier Ana immer tiefer in eine Existenz eindringen lässt, für die ein Leben nicht genug ist. Angeleitet von einem amerikanischen Experten für Hypnose, entdeckt Ana, dass sie deswegen nicht träumt, weil sie zu viel weiß. Sie trägt in sich eine wahre Weltgeschichte starker Frauen, in ihren entrückten Zuständen spricht sie Arabisch, sie wird 1.000 Jahre in die Vergangenheit zurückgeschleudert, ohne dass sie an das Ziel ihrer Suche gelangt. Denn Ana möchte nicht nur die Wahrheit über sich herausfinden, sie möchte auch wissen, wohin Said verschwunden ist, ihre erste Liebe, ein schöner Junge aus einem Land in der Sahara.
Politische, exotische, kunstmythologische Motive werden in "Caótica Ana" wild durcheinandergewirbelt. Julio Medem, ein Erotiker und Fantast des spanischen Kinos, ließ sich für die Geschichte von Ana von dem Geschick seiner eigenen Schwester inspirieren, die früh starb und Bilder hinterließ, die nun in dem Film eine wichtige Rolle spielen. Die Freiheit der Imagination, die Maler vor ihrer Leinwand haben, überträgt Medem direkt auf das Kino. Er erzählt die Abenteuer von Ana in Form eines Countdowns von zehn bis null - die Schritte auf diesem Weg entsprechen einerseits dem Abschalten des Bewusstseins in der Hypnose, verweisen aber auch auf ein Leben in einer befristeten Zeit. Die vielen Verwandlungen, die Ana in ihren Reinkarnationen durchlaufen hat, wiederholt sie in abgeschwächter Form in der Gegenwart des Films, der sie in die Wüsten Afrikas und Arizonas, auf die spanischen Inseln und nach New York führt.
Bei aller überschäumenden Vitalität und grandiosen Gefährdung, die Medem in Szene setzt, verliert er Ana bald aus den Augen: Sie wird zu einer Chiffre für Abgründe der Subjektivität, die Medem nicht auszuhalten gewillt ist. Er häuft obskure Ideen an und lässt sich von Attraktionen leiten, wo es doch um eine lebbare Integrität geht, die sich nicht bloß aus Schichten des Sensationellen zusammensetzt.
"Caótica Ana", Regie: Julio Medem Mit Manuela Vellés, Charlotte Rampling u. a., Spanien 2007, 116 Min.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!