Jugendwerkstätten in Niedersachsen droht Schließung: Ohne Werkstatt verloren

Durch ein neues Spargesetz stehen die bundesweit einzigartigen Jugendwerkstätten in Niedersachsen auf der Kippe. Hier werden Jugendliche ohne Schulabschluss an den Arbeitsmarkt herangeführt.

Nach dem Spargesetz könnte für die Jugendlichen bald Schluss sein mit dem Hobeln in der Tischlerei. Bild: dpa

HAMBURG taz | Die meisten von ihnen haben keinen Schulabschluss, keine Chance auf einen Ausbildungsplatz und keine Chance auf Arbeit: Jugendliche in Niedersachsen, die aus allen Rastern fallen, konnten bisher in sogenannten Jugendwerkstätten aufgefangen und an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Nun steht die weitere Finanzierung dieser Werkstätten auf der Kippe. Durch ein neues Bundesgesetz, das von der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen (CDU), initiiert wurde und in dessen Zuge bundesweit etwa 7,5 Milliarden Euro eingespart werden sollen, werden die Werkstätten wohl zum 1. April 2012 schließen müssen.

"SGB-II-Instrumentenreform" - hinter diesem Namen verbirgt sich das Gesetz, mit dessen Hilfe die Eingliederungschancen in den Arbeitsmarkt verbessert werden sollen. Kritiker sehen ein entscheidendes Problem: Das Gesetz richte sich nicht an alle Erwerbsfähigen, es biete keine niedrigschwelligen Angebote mehr, mit denen Langzeitarbeitslose und andere Arbeitsmarktferne an eine Beschäftigung herangeführt werden könnten.

Betroffen wären auch die Jugendwerkstätten in Niedersachsen. In dieser Form sind sie bundesweit einzigartig, mit einer Erfolgsquote von bis zu 70 Prozent bei Jugendlichen ohne besonders schweres Handicap. Sieben von zehn Jugendlichen, die die einjährige Förderung in einer Werkstatt durchlaufen haben, finden danach einen Ausbildungsplatz.

130 gibt es in Niedersachsen, mit insgesamt 5.400 Jugendlichen.

Die Förderung dauert ein Jahr, danach finden sieben von zehn Jugendlichen einen Ausbildungsplatz.

Die Jugendlichen arbeiten in Metall- und Malerwerkstätten oder Tischlereien unter einem Meister.

Parallel dazu werden sie sozialpädagogisch betreut und können so ihre individuellen Probleme beseitigen.

Ein Platz kostete pro Monat und Person bisher 850 Euro.

Getragen werden die Werkstätten von der Wohlfahrtspflege, unter anderem Caritas, Diakonisches Werk und Deutsches Rotes Kreuz.

Dabei haben sie meist keinen Schulabschluss, keine Tagesstruktur, einige leiden unter Suchterkrankungen, gelten als schwer erziehbar und sozial inkompetent. "In den Jugendwerkstätten lernen sie quasi zu arbeiten", sagt Detlef Beste vom Landesarbeitskreis (LAK) Berufsnot e. V. "Durch den Wegfall der Werkstätten wären sie verloren für den Arbeitsmarkt und ihr Leben lang auf soziale Leistungen angewiesen." Dies würde die Staatskassen erst recht nicht entlasten.

Bisher werden die Kosten von 850 Euro pro Werkstattplatz durch die Ein-Euro-Job-Pauschale von jeweils 450 Euro und Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds finanziert. Der Gesetzesentwurf sieht vor, die Pauschalen künftig zu deckeln: Sie sollen auf monatlich 30 bis 150 Euro pro Person begrenzt werden. Damit wäre die Finanzierung nicht mehr gesichert, die Werkstätten müssten mit Inkrafttreten des Gesetzes, also zum 1. April 2012, schließen.

Für Uwe Schwarz, den sozialpolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, ist die Sachlage klar: "Ein seit Jahrzehnten erfolgreiches Instrument der Jugendsozialarbeit soll zerschlagen werden", sagt er. "Für den Staat wäre das Aus für die Werkstätten noch nicht einmal ein Nullsummenspiel. Denn diese Jugendlichen kosteten ihn ohne Ausbildung langfristig viel mehr." Er fordert, dass sich die Landesregierung von CDU und FDP stärker gegen den Sparwillen aus Berlin positioniert.

"Die CDU kämpft doch mit aller Macht dafür, dass die niedersächsischen Jugendwerkstätten erhalten bleiben", erwidert sein CDU-Kollege Max Matthiesen. Er will sich dafür einsetzen, die gedeckelte Pauschale zu beseitigen. Wie genau eine alternative Finanzierung aussehen könnte, kann Matthiesen noch nicht sagen. Am 9. September soll sich eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Sozialministerium, Jobcentern und Trägern mit Ursula von der Leyen in Berlin treffen, um über die Rettung der Jugendwerkstätten zu beraten.

Alle Parteien, auch die Grünen und die Linke, sprechen sich für den Erhalt der Jugendwerkstätten aus. Lediglich die FPD hat bisher keine Stellung bezogen. Detlef Beste vom LAK Berufsnot will am kommenden Dienstag einen Aktionstag vor dem niedersächsischen Sozialministerium in Hannover veranstalten.

Etwa 400 Jugendliche aus 26 Werkstätten wollen der Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) ihre Forderungen unterbreiten. Özkan solle jetzt gegen die geplante Instrumentenreform der Bundesarbeitsministerin angehen. Als ihre Vorgängerin im niedersächsischen Sozialministerium hatte sich von der Leyen 2003 noch ausdrücklich für die Jugendwerkstätten ausgesprochen.

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