Jugendproteste in Spanien: "Ein Traum ist wahr geworden"
Aida Sánchez-Fuentes ist selbst überrascht von der Dimension der Proteste in Spanien. Die Aktivistin über die bisherigen Erfolge und künftigen Pläne der Bewegung.
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taz: Frau Sánchez-Fuentes, was das am Sonntag schon die spanische Revolution?
Aida Sánchez-Fuentes: Es ist noch keine Revolution. Aber für mich ist ein Traum wahr geworden: Wir haben erreicht, dass die Bevölkerung aufgewacht ist. Es ist so etwas wie eine Revolution des Bewusstsein.
Sind Sie überrascht, wenn Sie das hier sehen?
Schon. Wir haben vor vier Monaten auf Facebook mit nur 20 Menschen die Plattform ¡Echte Demokratie Jetzt! ins Leben gerufen. Seither hört die Bewegung nicht auf, zu wachsen. Am 15. Mai, nach dem sich die Bewegung 15M benannt hat, gingen in ganz Spanien 130.000 Menschen auf die Straße. Heute sind wir allein in Madrid Hunderttausende. Es ist uns gelungen, die Bevölkerung aufzuwecken, das soziale Bewusstsein zu aktivieren.
Haben Sie Angst, dass Ihre Bewegung, die ohne Führungsstrukturen auskommt, von radikalen Gruppen vereinnahmt werden könnte? So wie vorige Woche in Barcelona, als es Krawallen kam.
Wir sind eine pazifistische Bewegung. Das haben wir von Anfang an immer wieder klargemacht. Wer das nicht anerkennt, gehört nicht zur Bewegung 15M. In Barcelona waren für die Gewalt zum einen eingeschleuste Polizisten verantwortlich, zum anderen ein kleine Minderheit, die mit uns nichts zu tun haben.
Regierungschef Zapatero wirft der Bewegung 15M vor das Parlament erpressen zu wollen. Dies sei gegen die Spielregeln der Demokratie.
Ja. Die Realität ist eine andere. Die Gesellschaft hat sich mobilisiert und zieht zum Parlament. Was ist daran schlecht? Wir ziehen schließlich nicht vors Parlament, um dort Bomben zu legen. Wir protestieren friedlich.
Können die schwachen Strukturen der Bewegung 15M dazu führen, dass gut organisierte Strömungen versuchen, das Ganze zu vereinnahmen? Einige Anmelder der Märsche vom Sonntag kommen aus dem orthodoxen Flügel der Kommunistischen Partei und anderer Splittergruppen.
Das sind Bürger, wie Sie und ich und die Hunderttausende, die heute gegen den Euro-Stabilitätspakt auf der Straße sind. Als Bürger sind sie herzlich willkommen. Solange sie respektieren, dass unsere Bewegung unparteiisch und gewerkschaftsfern ist.
Wieso distanzieren Sie sich von den Gewerkschaften, den Euro-Stabilitätspakt ebenfalls ablehnen?
Die beiden großen Gewerkschaften des Landes UGT und CCOO repräsentieren uns nicht. Ich komme aus einer Familie, in der wir alle immer bei CCOO organisiert waren. Doch in der Krise haben die Gewerkschaften den Sparpakete letztendlich zugestimmt. Ich hoffe, dass die Gewerkschaften angesichts der Proteste umdenken. Es reicht nicht, dass sie ihren Mitgliedern empfehlen, sich den Protesten anzuschließen. Was wir brauchen, sind Gewerkschaften, die die Probleme in Angriff nehmen und die arbeitnehmende Bevölkerung verteidigen.
Ist das, was heute geschieht, noch zu übertreffen?
Ich hoffe schon. ¡Echte Demokratie Jetzt! organisiert für den 15. Oktober einen weltweiten Protesttag. Wir bauen derzeit die Kontakte in alle Welt auf.
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