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Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in NRWKeiner will's gewesen sein

In NRW will keine Fraktion für die Novelle des Staatsvertrags stimmen. Auch bei Grünen und SPD keine "staatspolitische Verantwortung" mehr. Nur Kurt Beck ist beleidigt.

Haben gut lachen: Sylvia Löhrmann (Grüne) und Hannelore Kraft (SPD). Bild: dpa

Eigentlich war es ausgemachte Sache: Am Donnerstag sollte mit Nordrhein-Westfalen auch das letzte Bundesland den Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) durchwinken. Mit den Stimmen von SPD und Grünen. Doch am Mittwoch kam die Kehrtwende. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihre Stellvertreterin Sylvia Löhrmann (Grüne) kündigten an, dass ihre Fraktionen die Novelle nun doch ablehnen wollen. Weil CDU, FDP und Linke tags zuvor überraschend angekündigt hatten, gegen den Staatsvertrag stimmen zu wollen. Rot-Grün stellt in Nordrhein-Westfalen keine eigene Landtagsmehrheit.

Diese Entwicklung ist einigermaßen absurd, weil SPD und Grüne schon im Vorfeld angegeben hatten, "Bauchschmerzen" mit dem JMStV zu haben, sich dann aber durchrangen, ihm aus "staatspolitischer Verantwortung" zuzustimmen. Kraft und Löhrmann gaben am Mittwoch CDU und FDP die Verantwortung für das Scheitern des Vertrags. Sie hätten ihn schließlich ausgehandelt, als sie noch in der Regierungsverantwortung standen. Exministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hatte den JMStV sogar im Juni ratifiziert.

Ihm sei bewusst, dass dieser Schritt "nicht unproblematisch" sei, hatte Andreas Krautscheid, der medienpolitische Sprecher der NRW-CDU, bereits am Dienstag wdr.de gesagt. Doch seine Fraktion habe inhaltliche Bedenken gegen den Vertrag. Lehnt NRW den Staatsvertrag tatsächlich ab, tritt er nicht wie geplant am 1. Januar 2011 in Kraft. Im Internet sorgte die Nachricht für großen Jubel. Blogger und Netzaktivisten hatten die Neuregelungen scharf kritisiert, weil sie darin den Versuch sahen, Inhalte zu zensieren und Internetsperren zu errichten. Zur Stärkung des Jugendschutzes sollten Altersfreigaben für Onlineangebote eingeführt werden und einige Inhalte nur zu bestimmten Uhrzeiten verfügbar sein.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) reagierte verärgert auf die Ankündigung. "Ich bin fassungslos, dass die CDU ihre Machtspiele in der Opposition auf dem Rücken unserer Kinder und Jugendlichen austrägt", sagte der Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder. Becks Staatskanzlei hatte die Novelle des Jugendmedienschutzstaatsvertrags federführend ausgehandelt. Mit der Verweigerung der Zustimmung würde eine einmalige Chance vertan, mit freiwilligen Alterskennzeichnungen und den Einsatz von Jugendschutzprogrammen Kinder und Jugendliche vor verstörenden Inhalten im Netz zu schützen und gleichzeitig die Kommunikationsfreiheit der erwachsenen Nutzer zu erhalten, so Beck weiter.

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10 Kommentare

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  • S
    SteffenF.

    Warum hätte die Linke in NRW zustimmen müssen ?

     

    Gab keinen Grund zustimmen zu "müssen".

     

    Die Linke-NRW hat stets gesagt das sie den Vertrag ablehnen.

     

    Zur Faktenlage:

     

    CDU und FDP haben diesen Vertrag ausgehandelt.

     

    SPD und Grüne wollten geschlossen zu 100% zustimmen.

     

    Die Linke-NRW hat diesen Vertrag abgelehnt.

     

    CDU und FDP machen einen Rückzieher um SPD und Grüne zu blamieren.

     

    CDU, FDP und Linke haben die Mehrheit, der Vertrag ist gescheitert.

     

    Grüne und SPD sehen das sie keine Mehrheit mehr haben und lehnen diesen plötzlich auch ab um sich nicht zu blamieren und um das Image zu retten.

     

    Kurt Beck tobt und kündigt Einspruch an.

     

    Heisst, CDU, FDP, Grüne und SPD waren für den Vertrag ... scheitern rein an ihren taktischen Spielchen. Einzige Konstante die Linke in ihrer sauberen Ablehnung.

     

     

     

    Und ja die Linke hat in Berlin zugestimmt sonst hätte es Neuwahlen geben müssen da sonst die Koalition beendet wäre. Und ja man hat auch dort versucht die SPD zu einem Nein zu bewegen damit die Koalition nicht platzt.

     

    In NRW gab es bei keiner Partei Koalitionszwänge für Pro oder Contra. Ohne den Rückzieher der CDU/FDP und ohne die Ablehnung durch die Linke wäre der Vertrag mit "Traumergebnissen" bestätigt worden.

  • B
    Ben

    Zum Artikel:

    - Auch die Entscheidung in Schlesweig-Holstein stand/steht aus. NRW ist also nicht das letzte Land.

    - Da in Schleswig-Holstein die Ratifizierung mittlerweile von der Tagesordnung gestrichen worden ist, ist der Ausgang der Abstimmung in NRW mehr oder minder egal - der JMStV ist nicht von allen Parlamenten ratifiziert und tritt nicht am 1.1.2011 in Kraft.

    - Die Fraktionen von SPD und Grünen hatten bis gestern noch kein gemeinsames Abstimmungsverhalten beschlossen. Nachdem die Fraktionen keine gemeinsame Position finden konnten, hat Dienstag Abend der Koalitionsausschuss getagt und sich auf Mittwoch vertagt. Ja, es gab gewisse und deutliche Anzeichen für eine Tendenz - aber keine Beschlüsse.

    - Heute, am Tag der Abstimmung, hat Rot-Grün eine Mehrheit im Landtag. Eine CDU MdL ist schwer erkrankt, Ex-Ministerpräsident Rüttgers weilt lieber in Rom. Eine mögliche Abstimmungsniederlage kann also nicht der Grund von SPD/Grüne gewesen sein, dem zuzustimmen.

     

    Zu den Kommentaren:

    - Der Shitstorm kam nicht von den Piraten, sondern aus der Netzgemeinde. Nicht jeder, der gegen Zensursula oder den JMStV ist, ist automatisch Mitglied der Piratenpartei. (Wäre ja noch schöner, dieser frauenfeindlichen und machohaften Partei beizutreten...). Daneben glaube ich, war der Shitstorm entscheidend, denn er hat noch einmal eine Dynamik losgetreten und viele Menschen haben den NRW-Abgeordneten Mails/Briefe/Faxe geschickt (und haben den Twitter-Sumpf verlassen)

    - Bis zur Ankündigung der LINKEN gegen den JMStV zu stimmen, hat die Fraktion sich nicht einmal (!) inhaltlich dazu geäussert. Weder im Landtag, noch im Ausschuss, noch in der Anhörung. Das sollte man erwähnen.

    - Als einzige Partei in NRW hat die SPD den JMStV in ihrem Wahlprogramm erwähnt. Selbst die superduper kompetenten Piraten haben zu dem JMStV im Wahlprogramm stehen: Nichts.

  • OS
    Oma Schmitz

    Könnte mal jemnad eine Tabelle machen, wie die jeweiligen Parteien in den Bundesländern abgestimmt haben? Das wäre jetzt lustig. Aber vor der nächsten Wahl würde ich mir die dann gerne zur Erinnerung noch mal anschauen.

  • P
    PeterWolf

    Einem Gesetz aus "staatspolitischer Verantwortung" zuzustimmen, obwohl klar ist, dass es das (durchaus richtige) Ziel nicht erfüllt, dafür aber reichlich negative Auswirkungen hat, ist, völlig unabhängig von der jeweiligen Partei, tatsächlich ein "staatspolitischer Offenbarungseid" (der "Nicht"verantwortung)!!!!

    Passiert leider viel zu oft (z.B. Luftsicherheitsgesetz)

    In diesem Fall gab es zusätzlich den "taktischen" Beweggrund, vor dem Wähler nicht als untätig in Sachen Jugendschutz zu stehen.

     

    Es gibt zweifelsfrei dumme Wahlberechtigte.

     

    Preisfrage: Ist die Mehrheit der Wahlberechtigten wirklich so dumm bzw. aufklärungsresistent, wie sie von vielen Politikern eingeschätzt wird?

     

    Viele Grüße

     

    Peter Wolf

  • M
    m3t4b0m4n

    Warum wohl haben sich SPD und Grüne "plötzlich" gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrags entschieden? Nachdem die Grünen doch zunächst folgendes kommuniziert hatten: "Wir sind weiterhin gegen den #JMStV, die Fraktion hat sich aber aufgrund parlamentarischer Zwänge anders entschieden"

     

    Könnte das mit dem Shitstorm zu tun haben, den die (nach Julias Auslegung irrelevanten) Piraten entfacht hatten?

     

    Wäre so ähnlich, wie bei der Vorrats-Daten-Speicherung, die vor dem Verfassungsgericht dann auch niemand mehr verteidigen wollte. Und wer hatte am meisten gegen die Vorratsdatenspeicherung Front gemacht? Die irrelevanten Piraten, die bei der TAZ nur noch unter "digitale Bürgerrechtsbewegung" laufen.

     

    Aber naja, ich will nicht immer nur meckern. Schön das die Grünen dieses Machwerk doch noch verhindert haben. Dafür mein Dank.

  • ES
    Erich Sturm

    Die Linke war überall gegen den JMStV wo sie nicht an der Regierung ist. Ansonsten hat sie zugestimmt, siehe z. B. Berlin.

    Die Grünen waren überall gegen den JMStV wo sie nicht an der Regierung sind. Ansonsten haben sie zugestimmt, siehr z. B. Bremen.

    SPD, CDU und FDP waren sowieso dafür.

    Die einzige Partei, die sich von Anfang an gegen den JMStV gewehrt hat war die Piratenpartei.

    Alle anderen haben ein echtes Trauerspiel geboten und einen Eiertanz sondergleichen. .."Eigentlich sind wir ja dagegen, aber aus parlamentarischer Verantwortung müssen wir leider zustimmen"..

    Und jetzt stimmen sie alle nicht zu! Aus einer rein taktischen parteipolitischen Haltung heraus! Mehr kann man nicht machen, um zu zeigen, dass eben nicht Einsicht und Vernunft parteipolitisches Handeln bestimmt. Ubd diese Parteien wollen Jugendschutz betreiben. Lächerlich.

    Den aufmerksamen Netzbewohnern wird das alles nicht entgangen sein und deren Gedächtnis ist sehr, sehr groß;)

  • P
    peter43

    In der Opposition ist leicht gegenstimmen.

    In Berlin hat die Linke dem Vertrag zugestimmt.

     

    Die muß doch ihre "Regierungsfähigkeit", "Verläßlichkeit" und "Geschlossenheit" unter Beweis stellen.

     

    Pfui Linke, Pfui Grüne (die haben in Hamburg dafür gestimmt)

  • DM
    Doc Mison

    Meinen Dank an NRW! An wen auch immer!

    Es scheint ja ab und an doch Politiker mit Verstand zu geben.

  • 3G
    372 (Profil gelöscht)

    Hi, jetzt mal ganz partei-un-politisch gefragt: Ich hab in Erinnerung, dass auch die "Linke" zustimmen wollte. Hätte sie nämlich gemusst.

     

    Ich werde deine Behauptung nachprüfen.

     

    Julia Seeliger, taz online und nicht-aktives Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen

  • S
    SteffenF

    Meinen Dank der NRW-Linken die diesen Vertrag stets abgelehnt haben und dieser auch nie zur Debatte stand.

     

    Und bezeichnend das die ehemals "linke" TAZ sich nicht in der Lage sieht auch wahrheitsgemäß zu berichten.

     

    Danke nochmals der NRW-Linken!