Jugendliche: "Einige schalten voll auf Ego-Taktik um"
Jugendliche schätzen die Zukunft immer schlechter ein, sagt der Autor der jüngsten Shell-Jugendstudien. Immer mehr von ihnen politisiert das, während die übrigen sich zunehmend überfordert fühlen und sich zurück ziehen
taz: Herr Albert, erst protestierten tausende junge Leute gegen den Castor-Transport, nun streikten 80.000 SchülerInnen. Wird die Jugend wieder politisch?
Mathias Albert: Wir verzeichnen schon seit Jahren einen leichten Anstieg politischen Engagements - sei es in traditionellen Formen, wie den Demonstrationen dieser Tage, oder in neuen politischen Artikulationsmustern, wie etwa Internet-Foren.
Woher rührt dieser Anstieg?
Viele Jugendliche blicken vor dem Hintergrund von Themen wie der Finanzkrise oder dem Klimawandel zunehmend pessimistisch auf die gesellschaftliche Entwicklung.
Das ist doch nichts Neues.
Neu ist aber, dass es Jugendlichen immer weniger gelingt, hiervon abgekoppelt optimistische Perspektiven für sich selber zu sehen. Sie sind verunsichert wegen ihrer eigenen Zukunftschancen.
Und gehen demonstrieren?
Bei einigen führt dies zu Politisierungsprozessen, die sich dann auch in zunehmendem Engagement, Protesten und womöglich in Gewaltbereitschaft äußert. Bei anderen führen diese Beobachtungen aber dazu, dass sie voll auf Egotaktik umschalten.
Wovon hängt das jeweils ab?
Manche sind eher Machertypen, die die Dinge in die Hand nehmen. Andere fühlen sich überfordert und reagieren mit Zurückhaltung.
Hängt dies mit einen gestiegenen Leistungsdruck durch die Straffung des Schul- und Hochschulwesens zusammen?
Ja, wobei es sich im Moment nicht um die Ablehnung des Leistungsgedankens an sich handelt. Vielmehr hat es in der Umgestaltung des Bildungssystems wenig durchdachte Reformen auf dem Rücken der SchülerInnen und Studierenden gegeben. Das spiegeln die Jugendlichen jetzt berechtigterweise zurück.
INTERVIEW: CJA
MATHIAS ALBERT, 41, ist Professor für Politologie in Bielefeld und seit 2002 einer der Verfasser der Shell-Jugendstudien.
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