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„Jugendliche brauchen eigene Strukturen“

■ Ein Gespräch mit Halil Can und Cetin Ergen, Gründungsmitglieder und Herausgeber der „Kauderzanca“ – Interkulturelle Zeitschrift von Jugendlichen für alle“.

taz: Wann und wie ist die Idee für eure Zeitschrift entstanden?

Halil: Das Projekt „Kauderzanca“ ist 1987 von sechs Jugendlichen in Schöneberg gegründet worden. Es fing eigentlich recht spielerisch als eine Art „Clubzeitung“ mit Gedichten und Kurzdarstellungen an. Doch im Januar 1988 hatten wir bereits die erste Ausgabe herausgebracht. Es war ein tolles Gefühl: Zum ersten Mal hatten wir die Gelegenheit bekommen, unsere Gedanken in Wort und Bild zu artikulieren. Aber wir hatten nie die Vorstellung, daß wir so weit kommen würden, die „Kauderzanca“ in ganz Berlin zu vertreiben.

Welche Themen habt ihr als Redaktion aufgegriffen?

Cetin: Unsere Arbeit hat sich eigentlich erst nach einer gewissen Zeit in eine politische Richtung gedreht. Bei mir war es so, daß ich anfangs gar nicht das Bewußtsein besaß, „Ausländer“ zu sein. Ich habe erst durch die Arbeit mit der „Kauderzanca“ gelernt, daß es einen Unterschied zwischen mir und den Deutschen gibt. Als es in unserer zweiten Ausgabe um das „Wahlrecht für Ausländer“ ging, hat sich das dann eindeutig manifestiert.

Halil: Bei mir war dieses Gefühl nichts Neues, in einer Gesellschaft zu leben, wo man als jemand Fremdes betrachtet wird. Die Erlebnisse in einer rein türkischen Grundschulklasse haben mich das früh gelehrt, aber wir hatten nie die Möglichkeit, diese Erfahrungen zu verarbeiten. Die „Kauderzanca“ bot hierfür ein Forum. In der vierten Ausgabe haben wir zum Beispiel die Ermordung von Ufuk Sahin durch einen Rechtsradikalen behandelt. Wir haben dann sehr intensiv recherchiert, haben Kontakt zur Familie aufgenommen und haben sogar den Polizeibericht ausgewertet. Das hat die Politisierung in der „Kauderzanca“ sehr weit vorangetragen.

Ihr habt selbst vor dem Thema „Jugendgangs“ nicht haltgemacht. Welche Motivation hattet ihr bei diesem Thema?

Cetin: Damals, als es um das Thema Jugendgangs ging, wurde das Thema vom größten Teil der Medien falsch dargestellt. Wir sind immer der Auffassung gewesen, daß wir keine Themen behandeln, die schon in der Öffentlichkeit breitgetreten wurden. Aber die massive Falschdarstellung hat uns genervt, und wir mußten genauso wie beim Titelthema „Deutschland 1992“ dazu Stellung nehmen, denn es betraf auch uns. Die „Kauderzanca“ war ja auch eine Art „Jugendgang“.

Wer sind die Adressaten der „Kauderzanca“?

Cetin: Es ging vor allem darum, Brücken zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen zu bauen. Dies war auch vom Inhalt und Aufbau der Zeitschrift so konzipiert. Doch schon bei der Ausgabe „Multikulturelle Gesellschaft“ fiel uns auf, daß unsere eigene Sprache, die wir benutzten, nicht mehr so sehr auf die Jugendlichen abgestimmt war. Unser Ziel wurde nur zum Teil verwirklicht. Die Zeitschrift wurde zwar bis zur letzten Ausgabe auch von vielen Jugendlichen gelesen, aber wir haben gemerkt, daß ein zunehmender Teil unserer Leser „intellektuell angehauchte“ Leute waren.

An welcher Stelle in der Medienlandschaft habt ihr die „Kauderzanca“ gesehen?

Cetin: Von den deutschen Medien wurden die sogenannten „Ausländer“ nur erwähnt, wenn es irgendwo Zoff gab. Sonst wurden sie eher am Rande behandelt. In diese Lücke wollten wir hinein.

Seit einiger Zeit kämpft die „Kauderzanca“ mit einer Auflage von 1.000 ums Fortbestehen. Was sind die Ursachen für die gegenwärtigen Probleme?

Halil: Die äußeren Veränderungen seit dem Mauerfall haben auf unser Privatleben eingewirkt, und viele haben sich zurückgezogen. Die alten Strukturen waren in der neuen Situation nicht mehr stabil genug. „Kauderzanca“ war personell und strukturell darauf nicht vorbereitet, so daß das Projekt zusammengefallen ist.

Es gibt ein verbreitetes Desinteresse, und die Leute igeln sich zunehmend in bestimmte ethnische und religiöse Gruppen ein. Dadurch engen sie auch ihr Denken ziemlich ein, so daß Projekte wie „Kauderzanca“, die eher eine offene Welt vertreten, an diese Leute gar nicht rankommen.

Dabei müssen die Jugendlichen ihre eigenen Strukturen schaffen und das umsetzen, woran sie glauben, unabhängig von irgendwelchen religiösen, ethnischen und politischen Zusammenhängen.

„Kauderzanca – Interkulturelle Zeitschrift von Jugendlichen für alle“: Hohenstaufenstraße 5,

10781 Berlin

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