Jugendliche Deutsch-Türken: "Grauen Wölfe werden verharmlost"
Der aggressive türkische Nationalismus gewinnt durch den Kurdenkonflikt auch hierzulande Auftrieb, sagt Kemal Bozay. Organisationen betrieben Stimmungsmache bei den Jugendlichen.
taz: Herr Bozay, kürzlich haben Anhänger der Grauen Wölfe nach einer Kundgebung in Berlin ein kurdisches Vereinslokal angegriffen. Spontan schlossen sich ihnen etliche Jugendliche an. Wie erklären Sie sich das?
KEMAL BOZAY, 38, ist Politologe, Publizist und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Ulla Lötzer (Die Linke). Er lebt in Köln. Im Jahr 2000 veröffentlichte er mit Fikret Aslan das Buch "Graue Wölfe heulen wieder". 2006 folgte seine Promotionsschrift "Ich bin stolz, Türke zu sein - Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte im Zeichen der Globalisierung". Für diese empirische Studie interviewte er viele türkische Jugendliche.
Kemal Bozay: Es gibt politische Konflikte, die aus der Türkei nach Deutschland transportiert werden: Das erfolgt durch die türkischen Medien, Vereine und Verbände. Die ethnische Mobilisierung, die wir derzeit in Deutschland erleben, ist zwar von außen angestoßen, aber sie trifft auf eine Basis. Rechtsnationalistische Organisationen können diese nationalistische Stimmung für ihre Zwecke benutzen und Jugendliche instrumentalisieren.
Warum lassen sich diese Jugendlichen denn so leicht instrumentalisieren?
Seit den Neunzigerjahren gibt es einen starken Ethnisierungsdruck. Viele Jugendliche aus Einwandererfamilien fühlen sich hier nicht anerkannt und können sich nicht mit den Werten dieser Gesellschaft identifizieren. Oft kommen Erfolglosigkeit in der Bildung und bei der Arbeitsplatzsuche hinzu - aber es gibt auch Jugendliche mit Erfolgsbiografien, die von den gleichen Erfahrungen berichten. Je stärker diese Stigmatisierungserfahrungen sind und je mehr sie in ihren Familien traditionelle Wertvorstellungen vermittelt bekommen, umso stärker wird die Tendenz, dass sie sich ihre Identität woanders suchen: in islamischen Vereinen oder in nationalen türkischen oder kurdischen. Diese Vereine bieten den Jugendlichen eine neue Heimat, obwohl diese jungen Leute mit der Türkei nichts zu tun haben.
Sind Nationalisten nicht vor allem deshalb nationalistisch, weil sie es sein wollen?
Als ich für meine Studie Interviews mit türkischen Jugendlichen geführt habe, war es interessant zu sehen, dass alle Jugendlichen, die ich in den nationalistischen Vereinen traf, darauf beharrten, die Gespräche auf Türkisch zu führen - und das, obwohl sie sehr schlecht Türkisch sprachen. In den Gesprächen zeigte sich, dass vielleicht nicht alle, aber viele dieser Jugendlichen das Gefühl hatten, hier nicht willkommen zu sein. Die meisten hatten die türkische Identität, auf die sie viel Wert legten, erst später entwickelt. Die Rechtsextremisten haben das erkannt und sprechen inzwischen von einem "europäischen Türkentum".
Ein aggressiver Nationalismus scheint in der Türkei derzeit so verbreitet zu sein wie in nur wenigen anderen Ländern in Europa. Woran liegt das?
Der Nationalismus ist auch anderswo mobilisierungsfähig. Das Besondere ist die Radikalisierung durch den Kurdenkonflikt.
Der Verfassungsschutz beziffert die Anhänger der Grauen Wölfe in Deutschland seit Jahren mit 7.500. Ist der Laden so stabil? Oder hat der Verfassungsschutz keine Ahnung?
Über Mitgliederzahlen kann ich nichts Konkretes sagen. Ich weiß aber, dass der Türk-Föderation circa 130 Organisationen angeschlossen sind: Bildungs- und Kulturvereine, Moscheen, Jugendvereine, Fußballclubs. Wenn man dieses Netzwerk zusammenfasst und nicht nur auf den harten Kern schaut, sondern auch das Umfeld einbezieht, dürften viel mehr Leute zusammenkommen. In politisch angespannten Situationen entsteht eine Dynamik, die sich nicht mit Mitgliederzahlen messen lässt. Nach den Anschlägen von Mölln und Solingen wandten sich viele Jugendliche den Grauen Wölfen zu, jetzt sorgt der Kurdenkonflikt für Zulauf. Wenn es keine solchen Anlässe gibt, flaut das aber auch wieder ab.
Alles nur eine Frage der Konjunktur?
Die Organisationen versuchen, die Jugendlichen an sich zu binden. Sie bieten nicht nur Freizeitgestaltung, sondern machen auch Bildungsarbeit. Sie begründen das damit, dass in den deutschen Schulen die türkische Geschichte nicht behandelt wird. Viele Eltern sind froh, wenn ihre Kinder etwas darüber lernen, selbst wenn dies in ideologisch aufgeladener Form geschieht - zumal dort Werte wie Respekt und Hierarchiedenken vermittelt werden. Leider werden diese Strukturen in Deutschland oft als Folklore verharmlost.
Wie gehen die etablierten türkischen Dachverbände mit den Grauen Wölfen um?
Das ist sehr unterschiedlich. Die linken Vereine grenzen sich ab. Islamistische Strukturen gehen gelegentlich Bündnisse mit ihnen ein. In der "Türkischen Gemeinde Deutschlands" sind keine ultranationalistische Vereine organisiert, im "Rat der türkischen Staatsbürger" oder im "Zentralrat der Muslime" schon. So oder so vermisse ich eine eindeutige Stellungsnahme der türkischen Verbände gegen diesen Nationalismus. Auch bei den türkischen Medien vermisse ich einen kritischen Umgang mit dem Problem. Anstatt besonnenen Stimmen Platz zu geben, tragen sie dazu bei, dass die Stimmung aufgeheizt bleibt
INTERVIEW: DENIZ YÜCEL
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