Jugendgewalt: Die Stunde der Rechten
Bei einer Mahnwache zum Gedenken an den Tod von Pascal E. führen am Dienstagabend rechtskonservative Redner das Wort. Jusos und Grüne distanzieren sich.
Eigentlich sollte es eine unpolitische Mahnwache werden. Unter dem Motto "Ein Licht gegen Gewalt" riefen Freunde des vor zwei Wochen in Harburg durch mehrere Messerstiche getöteten 22-jährigen Zivildienstleistenden Pascal E. zu einer Gedenkveranstaltung auf. Auch angesichts der Ausschreitungen von 30 Jugendlichen in Neuwiedenthal vor gut einer Woche sollte ein Zeichen gesetzt werden.
"Die Diskussion für mehr Sicherheit auf den Straßen ist neu entflammt" teilten die Veranstalter mit. In einer kurzfristig eingerichteten Facebook-Gruppe tummelten sich neben vielen ernsthaft bewegten Bürgern auch solche, die die Gelegenheit nutzen wollten, um ihre ausländerfeindlichen Ansichten kundzutun. Denn sowohl der Täter bei Pascal E. als auch die Jugendlichen in Neuwiedenthal haben einen Migrationshintergrund.
Bei der Mahnwache am Dienstagabend auf dem Harburger Rathausplatz wurden die rund 500 Teilnehmer von Dirk Eisenschmidt begrüßt. Eisenschmidt ist Bezirks-Handwerksmeister und war langjähriges Mitglied der Wählergemeinschaft Harburg, deren Mitglieder durch ihre Nähe zu rechtsextremen studentischen Burschenschaften aufgefallen waren, sowie der NPD und der Schill-Partei. In seiner Begrüßung betonte er, dass frühzeitig auffällige Jugendliche und junge Menschen weggeschlossen werden sollten.
In der folgenden Schweigeminute entzündeten viele zum Gedenken an Pascal E. Kerzen und Fackeln.
Danach wurde in der Diskussion mit Politikern aus der Bezirksversammlung die Forderung nach hartem Durchgreifen auch aus dem Publikum heraus vertreten. Als der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Rainer Bliefernicht, angesichts des Unmuts der Anwesenden den Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Richter verteidigte, kamen von vielen Anwesenden Buh-Rufe und die Forderung nach Selbstjustiz und Todesstrafe. Zunehmend wurden die Politiker vom Publikum und Moderator Udo Brückner in ihren Beiträgen unterbrochen.
Der Sprecher der Veranstalter, Johannes Tapken, sagte dazu: "Es ist ein Problem, dass bei so einem brisanten Thema solche Reaktionen kommen. Aber es ist ein freies Land und jeder kann seine Meinung kundtun. Wir wollen keinen Maulkorb verteilen und haben keine Möglichkeit zu intervenieren gesehen." Auf Eisenschmidt angesprochen sagte Tapken aus: "Es gab keine Überlegung bezüglich Herrn Eisenschmidt und seiner politischen Vergangenheit. Die Überlegung war, dass wenn er redet, es in der Politik gehört wird. Ob es so richtig war, weiß ich nicht. Die Gruppe ist nicht politisch."
Die Jusos Harburg und die Grüne Jugend Hamburg, die zur Teilnahme an der Mahnwache aufgerufen hatten und zu Anfang mithalfen, distanzierten sich von dem Geschehen. Noch während der Veranstaltung entfernten viele ihre Ordnerbinden aus Protest. Lena Mußlick, Beisitzerin im Landesvorstand der Grünen Jugend Hamburg: "Es ist wichtig, dass das Problem Jugendgewalt öffentlich thematisiert und auf politischen Handlungsbedarf aufmerksam gemacht wird. Jedoch dürfen die Trauer der Betroffenen und der Wunsch nach schnellen, einfach Antworten nicht zum Zweck hetzerischer, auf Angst aufbauender, Meinungsmache instrumentalisiert werden."
Um 20.20 Uhr war die Mahnwache abrupt vorbei. Der Grund dafür war das WM-Spiel Uruguay gegen die Niederlande.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?