Judith Butler über soziale Gerechtigkeit: "Ich bin für Spaß und Genuss"
Die Geschlechterforscherin Judith Butler über Rassismus, Homophobie und das Problem, etwas Falsches durch etwas anderes Falsches korrigieren zu wollen.
taz: Frau Butler, in welcher Weise sehen Sie den Berliner CSD in Komplizenschaft mit Rassismus?
Judith Butler: Mehrere der Organisatoren und Sponsoren haben öffentlich Meinungen vertreten, die Communitys türkischer, nordafrikanischer und arabischer Herkunft herabwürdigen.
Wen meinen Sie damit?
Ich spreche von Inhalten, die zum Beispiel auf Webseiten vertreten werden. Ich betrachte diese Beiträge als Formen von Rassismus, denen man entgegentreten muss. Ich war auch darüber alarmiert, was für ziemlich schreckliche Stereotype unter einigen der prominentesten Figuren beim Berliner CSD zirkulierten. Natürlich haben nicht alle Organisatoren des CSD solche Äußerungen gemacht, aber die Tatsche, dass solche Äußerungen von den jetzigen Organisatoren nicht verurteilt worden sind, war genug, um mich zu überzeugen, dass die Annahme des Preises eine Komplizenschaft mit Rassismus bedeuten würde.
Haben Sie sich mit mehreren Gruppen getroffen, bevor Sie den Preis verweigert haben?
Ja, ich habe mich mit mehreren Gruppen getroffen und wurde auch von mehreren anderen Gruppen in Europa und den Vereinigten Staaten gebeten, unter diesen Bedingungen den Preis nicht anzunehmen.
Wann haben Sie sich entschlossen, den Preis nicht anzunehmen?
Endgültig habe ich mich am Abend vor der Preisübergabe dazu entschlossen.
54, ist Professorin für Rhetorik und vergleichende Literaturwissenschaft an der European Graduate School und an der University of California, Berkeley. Mit ihrem 1990 erschienenen Buch "Gender Trouble" ("Das Unbehagen der Geschlechter") erteilt die Geschlechterforscherin dem klassischen Feminismus eine Absage: "Der Versuch, den Feind in einer einzigen Gestalt zu identifizieren, ist nur ein Umkehrdiskurs, der unkritisch die Strategie des Unterdrückers nachahmt, statt eine andere Begrifflichkeit bereitzustellen." Das Buch gilt als Schlüsselwerk der "Queer Studies".
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Das Problem
Judith Butler hat den Zivilcourage-Preis des Berliner CSD abgelehnt. Ihre Begründung war, dass der CSD sich gegenüber Rassismus nicht ausreichend distanzieren würde - und zu kommerziell wäre, im Unterschied zum transgenialen CSD, den Butler als politisch versteht. Ihre Ablehnung stützt Butler vor allem auf Versuche, Schwulenfeindlichkeit besonders bei ethnischen Minderheiten zu thematisieren. Eine solche Haltung wird von Judith Butler als rassistisch abgelehnt. Stattdessen fordert sie ein "Nachdenken über Homophobie, das Rassismus nicht wiederholt".
Einer der kontrovers diskutierten Punkte in letzter Zeit in Berlin betrifft das Vorgehen des schwulen Überfalltelefons "Maneo". Auf Fragebögen zur Erfassung homophober Gewalt wird die Möglichkeit angeboten, den ethnischen Hintergrund des Angreifers anzugeben …
Ich denke, dass das eine rassistische Vorgehensweise ist. Beschuldigen wir alle Juden, wenn eine jüdische Person etwas Falsches getan hat? Beschuldigen wir alle Frauen, wenn eine Frau etwas Falsches getan hat? Wenn jemand etwas Kriminelles getan hat, ist die Handlung kriminell, nicht die Person, und nicht der ethnische oder religiöse Hintergrund einer Person. Eine solche Taktik ist bestrebt, Minderheiten für Handlungen verantwortlich zu machen, die sicherlich genauso häufig von rechtsextremen Deutschen begangen werden, deren nationale Zugehörigkeit nicht erwähnenswert ist. Sicherlich muss jede Kampagne gegen Homophobie dafür sorgen, dass der absolut falsche Charakter jedes Angriffs von sexuellen Minderheiten oder Gender-Minderheiten, und dazu gehören auch Transsexuelle, Aufmerksamkeit bekommt. Aber sie muss auch die Bürgerrechte aller Menschen schützen, und dazu gehören alle Minderheiten. Als jemand mit einem jüdischen Hintergrund bin ich sehr alarmiert, wenn man den ethnischen oder religiösen Hintergrund auf einem solchen Fragebogen angeben soll. Es läuft darauf hinaus, Minderheiten zur Zielscheibe zu machen, und es kann nicht richtig sein, etwas Falsches zu korrigieren, indem man erneut etwas Falsches macht.
Eine Studie des Soziologen Bernd Simon von der Universität Kiel besagt, dass eine homophobe Einstellung bei Jugendlichen, die aus der ehemaligen Sowjetunion, der Türkei oder arabischen Ländern stammen, stärker ist als bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.
Eine interessante Studie, keine Frage. Aber wirft sie auch einen Blick auf homophobe Attacken von jugendlichen und erwachsenen Neonazis? Und was ist der Zusammenhang zwischen Homophobie und rechtsextremen Bewegungen? Wir müssen mit diesen Studien vorsichtig sein, weil wir nicht wissen, wie sie ihre Untersuchungsgesamtheit finden und wie die Interviews geführt werden.
Eine wirksame Präventionsstrategie kommt Ihrer Meinung nach also ohne die Information ethnischer Zugehörigkeit aus. Sollte man auf diese Angabe verzichten?
Es ist eine Art und Weise, ein rassisches Profil zu erstellen, was eine Beschneidung der Menschenrechte bedeutet. Hochinteressant und dringend wäre es erstens, alle Formen homophober Gewalt zu berücksichtigen, inklusive derer, die von Rechtsextremen begangen werden - und zu gucken, wie die "Fakten" aussehen würden, wenn wir diese Frage stellen. Und zweitens mit Gruppen farbiger Queers, die aus Migrantencommunitys kommen, zusammenzuarbeiten, die immer mit der Frage von Rassismus innerhalb der "queer community" umgehen müssen sowie mit der Frage von Homophobie innerhalb und außerhalb der Minderheitencommunitys. Nur dann können wir ein echtes Bild sich überschneidender Unterdrückungen bekommen und eine weitreichende und wirksame Koalition gegen Gewalt ermöglichen.
Wenn Sie denken, die ethnische Zugehörigkeit von Gay-Bashern sollte nicht diskutiert werden, wie kann eine solche Strategie von einer Haltung unterschieden werden, die Homophobie nicht ernst nimmt?
Homophobie ernst zu nehmen, heißt zu akzeptieren, dass sie auf unterschiedlichen Ebenen existiert und in verschiedenen Schichten der Gesellschaft. Wir sollten uns für die Homophobie innerhalb der CDU oder innerhalb der katholischen Kirche interessieren, aber auch unter Liberalen der Mittelklasse und neuen rechtspopulären Organisationen. Wenn wir dann vielleicht Homophobie innerhalb von Migrantencommunitys in Betracht ziehen, würden wir eine Art und Weise des Nachdenkens über Homophobie haben, die Rassismus nicht wiederholt. Aber untersuchen wir das Problem? Oder versuchen wir, diese Homophobie zu bekämpfen? Wenn wir das versuchen, müssen wir es in einem Zusammenhang einer Allianz machen, für die der Kampf gegen Rassismus genauso wichtig ist wie der Kampf gegen Homophobie.
Geht Ihre Argumentation nicht davon aus, dass der Kampf gegen Rassismus wichtiger ist als der Kampf gegen Homophobie?
Nein, sie sind beide gleichermaßen inakzeptabel.
Sie haben Hamas und Hisbollah als einen Teil der Linken bezeichnet. Gibt es für diese beiden palästinensischen Organisationen einen Platz innerhalb einer queeren Koalition gegen Rassismus und Homophobie?
Mir ist klar, dass einige Leute mich in der Weise zitiert haben, dass ich Hamas und Hisbollah als links verstehen würde. Bei dem Statement in seiner Gänze betrachtet, als Antwort auf eine Frage, die aus dem Publikum kam, ging es allerdings darum, dass diese Bewegungen zwar als links beschreibbar sind, aber dass man, wie mit jeder Bewegung auf Seiten der Linken, entscheiden muss, ob es eine Bewegung ist, die man unterstützt oder nicht. Ich habe niemals eine dieser Bewegungen unterstützt, und da ich mich selber zur Gewaltlosigkeit verpflichtet fühle, wäre es für mich auch unmöglich, eine von ihnen zu unterstützen. Es ließe sich viel dazu sagen, wie sie sich gebildet haben und was ihre Ziele sind und in welcher Weise sie einen Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus darstellen. Aber dabei geht es für mich um analytische und beschreibende Arbeit - nicht um Anhänglichkeit oder Unterstützung.
In welcher Weise ist die Situation in Ländern wie den Vereinigten Staaten und Deutschland in Bezug auf Rassismus, Homophobie und ihre Überschneidungen vergleichbar?
Ich bin nicht in der Lage, Verallgemeinerungen dieser Art vorzunehmen. Aber ich habe bemerkt, dass in Deutschland unter Rassismus oftmals nur Antisemitismus verstanden wird, und es ist weit verbreitet, den Verweis auf "Rasse" zurückzuweisen unter Berufung darauf, dass diese Kategorie selbst Rassismus vorantreibt. Aber wir müssen in der Lage sein, die verschiedenen ineinander verzahnten Geschichten von Rassismus zu verstehen, Antisemitismus und Anti-Schwarzen-Rassismus zum Beispiel. Es gibt historisch neue Formen des Rassismus, die wir untersuchen und gegen die wir uns stellen müssen, also hoffe ich, dass der Diskurs über Rasse und Rassismus in den kommenden Jahren präziser und gründlicher wird.
Haben wir tatsächlich zwei verschiedenen Welten, die kommerzielle weiße schwule Welt auf der einen Seite und die multikulturelle, queere, politische auf der anderen?
Ich glaube nicht, dass das Problem darin liegt, dass die eine Gruppe zu dem einen und die andere zum anderen Event geht. In der Tat habe ich angenommen, dass es Überlappungen gibt, deshalb habe ich auch überhaupt erst zugesagt. Es ist mir relativ egal, ob diese Veranstaltungen kommerziell sind. Aber es ist mir nicht egal, wenn Organisatoren und Sponsoren der Veranstaltungen an rassistischen Praktiken teilhaben oder offene Verachtung für Minderheiten äußern. Für mich ist "queer" eine aktive Bewegung unter Minderheiten, die zu Koalitionen führen sollte, und wenn eine Minderheit im Namen einer anderen geopfert wird, hat die Bewegung ihren politischen Anspruch auf Gerechtigkeit und Gleichheit verloren. Ich bin für Spaß und Genuss, und ohne Frage genieße ich auch kommerzielle Vergnügen, aber ich denke nicht, dass das Recht auf Vergnügen wichtiger ist als das Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit. Ich habe sozusagen deutlich gemacht, wozu ich mich verpflichtet fühle.
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