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Jubiläum für Uni-TutorenStudierende lernen wie von selbst

Vor 20 Jahren wurden an den Unis die ersten Projekttutorien eingeführt - selbst organisiert von Studierenden für Studierende. Freiraum für neue Lehrformen sollte geschaffen werden. Die Bilanz ist durchwachsen.

Möglicherweise bereiten sich diese Studierenden gerade auf ihr Tutorium vor. Bild: AP

Schulstunden ohne Lehraufsicht nennt man gemeinhin Freistunden - Uniseminare ohne DozentInnen sind dagegen Projekttutorien. Studierende lernen und forschen dort selbstständig nach eigenen Fragestellungen und ohne Vorgabe eines Uni-Lehrplans. An der Humboldt-Universität (HU) hat sich diese alternative Lehrform etabliert. Seit Anfang der 90er-Jahre werden die Projekttutorien von Studierenden angeboten und von der Hochschule finanziell unterstützt.

"Es ist eine Möglichkeit, Inhalte zu behandeln, die sonst vernachlässigt werden", sagt Marie Melior. "Kritische Wissenschaft" nennt sie das. Die Jurastudentin ist Mitglied im ReferentInnenRat der HU und leitet selbst ein Projekttutorium mit dem Titel "Berliner Universitäten im Systemkonflikt - Mythen und mediale Darstellung".

Jährlich werden 24 Seminare - also 12 pro Semester - von der HU zugelassen und gefördert. "Die TutorInnen werden entweder als studentische Hilfskräfte auf 400-Euro-Basis unterstützt oder können einen Zuschuss von rund 5.800 Euro für das Tutorium beantragen, um Material- oder Reisekosten zu finanzieren", sagt Maria Riedel von der Kommission für Lehre und Studium (LSK) des Akademischen Senats.

Die Entscheidung, welches Tutorium gefördert wird, fällt eine Unterkommission der LSK, in der Professoren und Studierende vertreten sind. Dabei gibt es klare Vorgaben für die Projekttutorien, wie Riedel erklärt: "Das Thema muss fächerübergreifend für alle Studierenden sein und interdisziplinär untersucht werden." Außerdem dürfe es keine Überschneidungen mit den Lehrplänen der Universität geben. "Es soll eine Ergänzung und Bereicherung sein", betont Riedel. So ergeben sich mitunter illustre Runden aus GeschichtswissenschaftlerInnen, PsychologInnen und LinguistInnen, die zum Beispiel "Mafiöse Strukturen in Deutschland" erforschen, "Fußball und Religion" vergleichen oder der "Kulturgeschichte des Horrors" nachgehen.

Die Tutorien laufen über zwei Semester. "Im ersten nehmen meist mehr Studierende teil als im zweiten", berichtet Marie Melior. Ihr eigenes Tutorium besuchen zurzeit durchschnittlich acht TeilnehmerInnen. "Die Kommission achtet darauf, dass auch im zweiten Semester neue Leute hinzukommen können und man nicht mit drei, vier Personen herumsitzt."

Entstanden ist das experimentelle und alternative Bildungskonzept bereits Ende der 80er-Jahre an der Freien Universität Berlin (FU): Im Unistreik 1988/89 entstanden erste Projekttutorien, ebenfalls interdisziplinär und finanziell unterstützt. Mittlerweile sind sie dort Geschichte: 2002 wurden sie aus finanziellen Gründen gestrichen. Im Bildungsstreik des vergangenen Jahres wurde daher auch gefordert, dieses Angebot an der FU wieder einzuführen. Vonseiten der Unileitung sei die Forderung nicht abgelehnt worden, sagt Katja Müller vom Asta der FU: "Es wird überlegt, wie man das Prinzip in das Bachelor-System integrieren könnte."

Zustimmung gibt es auch von Dozentenseite. "Projekttutorien bieten eine Alternative, ohne Notendruck, aber mit Engagement zu lernen", meint Klaus Beck, Dekan des Fachbereichs Sozial- und Politikwissenschaften an der FU. Durch selbstbestimmtes Lernen in Kleingruppen würden die Motivation und der Lernerfolg der Studierenden deutlich erhöht. "Der Erfolg solcher Veranstaltungen hängt aber maßgeblich von der studentischen Nachfrage ab", kritisiert er die mangelnden Bemühungen der FU-Studierenden. "Leider sind den Forderungen aus dem vergangenen Sommer bislang keine konkreten Konzepte oder Anträge gefolgt, obwohl wir damals Gesprächsbereitschaft signalisiert haben."

Gründe für die geringe Nachfrage nach Projekttutorien sieht Klaus Beck unter anderem darin, dass es den jungen Studierenden, die meist nur noch die verschulten Bachelor- und Master-Studiengänge kennen würden, an Erfahrung damit fehlt. "Sie achten immer stärker darauf, welche Leistung wie viele Punkte erbringt", so Beck.

Während an der FU erst noch geklärt werden muss, ob und wann Projekttutorien wiedereingeführt werden, stellt sich an der HU laut Tutorin Marie Melior eher die Frage: "Wie viel davon?" Das Tutorienangebot sei zwar akzeptiert, doch der Umfang der finanziellen Zuschüsse stehe immer wieder zur Debatte. "Sie sind schon eine anerkannte Institution", sagt Melior. "Doch gegen eine Professorenstelle können Tutorien nicht anstinken."

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