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Jubiläum der Schlacht von WaterlooGrandios gescheitert

Viel Geknalle, wenig Aha-Effekt: Eine kleine Stadt im Süden Belgiens stellt den Untergang Napoleons nach und verpasst die Chance für eine historische Lektion.

Auf dem Weg in die Schlacht. Foto: ap

Waterloo taz | Es ist ein Spektakel der Superlative: 6000 Komparsen, 200.000 Besucher, 10 Millionen Euro Budget. Noch nie hat die kleine Stadt Waterloo im Süden von Brüssel so viel Aufwand getrieben, um die berühmte Schlacht vor 200 Jahren vor ihren Toren nachzustellen.

„Für drei Tage ist Waterloo der Mittelpunkt der Welt“, titelte stolz der belgische Soir. Zum Auftakt am Donnerstag waren sogar Prinz Charles, Camilla und die Nachfahren von Napoleon, Wellington und Blücher gekommen – jenen drei Feldherren also, die in Waterloo Geschichte geschrieben haben.

Grandios ist auch die Kulisse, die sich vor Beginn der Aufführung bietet. Nach einem langen Marsch vorbei an typisch belgischen Fritkots (Pommesbuden) und Bierständen erreichen die Zuschauer ein Areal, das an eine Pferderennbahn erinnert - nur 100 Mal größer. Zwei Dutzend Tribünen bieten einen atemberaubenden Blick auf die romantische Hügellandschaft, in der sich vor 200 Jahren ein wahres Gemetzel abgespielt hat. Auch die damals heftig umkämpfte Ferme de Hougoumont darf nicht fehlen.

Doch als das Spektakel beginnt, stellt sich schnell Ernüchterung ein. Das Schlachtfeld ist zu groß, die Truppen von Napoleon sind zu weit weg, die Kämpfe scheinen sich in Zeitlupe abzuspielen. Zwar sorgen dramatische Musikeinspielungen und laute Böllerschüsse für akustische Höhepunkte. Es gibt auch ein wenig historische Nachhilfe - mit erklärenden Durchsagen in Französisch, Flämisch und Englisch. Doch spätestens nach einer Stunde stellt sich beim Publikum Ermüdung ein.

Stellungskrieg statt Action

Vielleicht liegt es daran, dass das Schlachtfeld einfach zu groß und die Inszenierung zu grandios ist, wie Le Soir kritisiert. Vielleicht fehlt es dem von Computerspielen verwöhnten Publikum (es sind auch Kinder und Jugendliche dabei) an einfach Action, oder schlicht an Verständnis für die historischen Zusammenhänge. Manches ist auch schwer nachzuvollziehen - zumal der französischsprachige Sprecher auch noch einige Details durcheinander bringt.

So gerät der „Angriff der Franzosen“, der am diesem Abend nachgestellt wird, zu einem langatmigen Stellungskrieg. Der Gegenangriff der Alliierten und der Ausgang der Schlacht, die zu einer Neuordnung Europas und dem Erwachen des deutschen Nationalismus führen sollte, bleibt dem Publikum vorenthalten - dafür ist der Samstagabend reserviert. Auch die Frage, ob Napoleon selbst an seiner Niederlage schuld war oder von widrigen Umständen - etwa dem Nichteintreffen des Marschalls Grouchy - geschlagen wurde, bleibt offen.

Schade - denn das Kriegsspiel für Erwachsene, bei dem deutsche Laiendarsteller das größte Kontingent stellen, wirft gerade heute viele spannende Fragen auf. Die Nationalstaaten, die nach der Schlacht von Waterloo und dem Wiener Kongress eine neue europäische Friedensordnung geschaffen haben, scheinen gerade erneut zu versagen – es genügt ein Blick Richtung Ukraine und Russland, aber auch nach Griechenland. Der Spiegel sagt dem alten Kontinent schon ein neues Waterloo voraus. „Das Beben - Europas Scheitern“ heißt die reißerische Aufmachung der neuen Ausgabe.

Die Schlacht von Waterloo könnte da zum Nachdenken anregen und die aktuellen Krisen in einem anderen, klareren Licht erscheinen lassen. Doch an diesem Anspruch scheitern nicht nur die Ansager auf dem Felde. Auch die Komparsen geben sich unpolitisch - allen voran der Deutsche Klaus Beckert, der seit Jahrzehnten den Blücher gibt. „Es ist schon aufregender, wenn Soldaten einen als ‚Blücher‘ anrufen als den Müll rauszubringen“ antwortet Beckert auf die Frage, warum er mit 78 immer noch in die Schlacht zieht. Damit scheint dann auch alles gesagt zu sein.

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4 Kommentare

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  • "Die Nationalstaaten, die nach der Schlacht von Waterloo und dem Wiener Kongress eine neue europäische Friedensordnung geschaffen haben, scheinen gerade erneut zu versagen – es genügt ein Blick Richtung Ukraine und Russland, aber auch nach Griechenland." Hier wird etwas verdreht! Nach dem Wiener Kongress wurden gar keine "Nationalstaaten" geschaffen. Im Gegenteil: das "Nationale" wurde in der neuen "europäischen Friedensordnung" zugunsten der Interessen von Königreichen und Fürstentümern eher ignoriert. Sie müssen nochmal ausführlicher erklären, inwieweit sich da die Logik des Ukrainekonflikts und die Lage Greichenlans wiederfinden lässt. Die Griechische Revolution von 1821 richtete sich ja gerade gegen den Wiener Kongress...

  • Bislang war mir nicht bewusst, dass Reenactment ein anderes Wort für "tagesaktuelle politische Lehrstunde mit Kostümen" ist. Die Schlacht sollte dargestellt werden. Punkt. Nichts weiter. Mag ein seltsames Hobby sein, aber bestimmt nicht das seltsamste.

     

    Mir ist nicht ganz klar, woher die Erwartungen, die Herr Bonse offensichtlich daran hatte, herkommen. M.W.n. gab es nie Zweifel daran, dass das ganze ein unpolitisches Spektakel sein sollte. Wenn die Teilnehmer an dem Anspruch, zum Nachdenken anzuregen und aktuelle Krisen in einem klaren Licht erscheinen zu lassen, scheitern, dann liegt das nicht an den Teilnehmern, sondern an diesen woher auch immer stammenden Ansprüchen. Bei dieser Schlacht-Inszenierung sind diese Ansprüche genauso fehl am Platze wie beim Weltkongress der Kleintierzüchter.

    • @sart:

      Als LARPer muss ich sagen, was hat der Autor erwartet? Dass sich die Leute umschießen, Blut spritzt, oder die Leute dazwischen hin und herlaufen können zwischen den Soldaten? Man beobachtet bei solch "Schlachten" nunmal Leute die nur so tun als ob sie aufeinander ballern. Wenn er "Action" haben will, dann muss man da mitmachen oder zu einem mittelalterspektakel gehen wo Schaukampf angeboten wird. Und selbst da gilt "Sicherheit zuerst".

    • @sart:

      da stimme ich zu.