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Juan Maria Solare über kurze Opern„Stil ist eine Diktatur“

Der Bremer Komponist Juan María Solare steht im Finale des Fünf-Minuten-Opern-Wettbewerbs der Musikbiennale Zagreb. Sein Beitrag „Dear Mr. Millionaire“ erkundet die materiellen Bedingungen des Musikschaffens mit fröhlichem Sarkasmus

"Diese Spaltung in Mann und Frau passte mir auch ganz gut ins Konzept": Juan María Solare. Bild: Léa Dietrich
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Herr Solare, was war Ihr Antrieb, eine Fünf-Minuten-Oper zu schreiben?

Juan María Solare: Das waren schon die Bedingungen des Wettbewerbs: Die Zagreb-Biennale für Gegenwartsmusik hatte einen Preis für eine Fünf-Minuten-Oper ausgeschrieben. Beteiligt haben sich daran 91 KomponistInnen …

Wow, so viele!

Ja, das hat mich auch überrascht: Denn auch eine Fünf-Minuten-Oper bedeutet doch eine ziemlich umfangreiche Arbeit. Und dass sie am Ende gespielt wird, die Aussichten dafür sind eigentlich ziemlich gering. Wenn man nicht ausgewählt wird, dann …

bleibt das Werk in der Schublade?

Dazu gehört logischerweise ein bisschen Glück. Ja. Aber das macht den Wettbewerb reizvoll, die Zagreb-Biennale sucht auf diese Weise nach jemandem, der einen Kompositionsauftrag erhalten soll – fürs nächste Festival 2017. Es ist also ein bisschen wie bei Architekten oder Designern: Die reichen auch Entwürfe ein – von denen dann auch nur einer realisiert wird. Alle anderen gehen leer aus. Und hier haben immerhin die zehn FinalistInnen etwas davon, nämlich eine Aufführung. Und einer dann noch den Hauptpreis, also den großen Auftrag.

Ein bisschen hinkt der Vergleich: Ein guter Entwurf für ein Haus passt genau an den einen Ort – gute Opern passen auf alle guten Bühnen. Und die Gattung der Kurzoper war Anfang des 20. Jahrhunderts ein künstlerisches Signal, eine Bewegung weg von den megalomanen Wagnerformen …

Ja, klar, bei Arnold Schönberg, wenn man an den Pierrot denkt – oder noch mehr bei Strawinsky, die Geschichte vom Soldaten.

Im Interview: Juan María Solare

48, Pianist, Dirigent und Komponist, lebt seit 2002 in Bremen. Nach dem Klavier- und Dirigier-Studium am Conservatorio Nacional de Música Carlos López Buchardo Buenos Aires hat er von 1993 bis 1996 an der Kölner Musikhochschule unter anderem bei Mauricio Kagel Komposition studiert, später in Stuttgart bei Helmut Lachenmann ebenfalls Komposition und schließlich wieder in Köln elektronische Musik. An der Bremer Hochschule für Musik unterrichtet er seit 2002 Klavier, seit 2009 Komposition und Arrangementlehre. Zudem leitet er in Bremen an der Uni sowohl das Tango-Orquesta no Típica als auch das "Ensemble Kagel für Neues Musiktheater". Das Finale des 5-Minuten-Opern-Wettbewerbs der Musicki Biennale Zagreb,bei dem "Dear Mr. Millionaire" uraufgeführt wird, beginnt am Dienstag, 21. April, 19.30 Uhr, im großen Saal des Kroatischen Musik-Instituts.

Eben: als Reaktionen auf die ökonomischen Zwangslagen. Das würde doch sehr gut passen. Gibt’s denn echt keine Chance, Ihre Mini-Oper nach der Uraufführung hier in Norddeutschland aufzuführen?

Die Chancen steigen natürlich, wenn ich in Zagreb gewinne. Aber auch unabhängig davon bin ich ziemlich optimistisch: Ich habe das Stück schon an Leute geschickt, die gute Möglichkeiten sehen, es demnächst hier zu spielen, in einem kammermusikalischen Rahmen …

Aber eine Oper drängt doch auf die Bühne! Wollen sich nicht die Staats- und Stadttheater auf die wachsende Vielfalt stürzen und coole Abende mit gegenwärtigem Musiktheater gestalten?

So was, ja, das wäre natürlich klasse. Und es stimmt, das wäre leicht möglich: Viele Leute erwarten in der Szene, dass mal etwas Neues passiert. Diese Opern sind da, sind aktuell, brauchen kein Riesen-Bühnenbild, meist auch kein großes Orchester. Das würde viele Möglichkeiten öffnen – auch für die Regie. Meine Kurzoper braucht das nicht, könnte es aber gut vertragen.

Sie thematisiert die Bedingungen des Komponierens – teils recht sarkastisch: Sind Betteln und Musikschreiben wirklich dasselbe?

Das ist ein traditionelles Motiv, denken Sie doch nur an die Mozart-Briefe …

Aber heute?

Heute haben wir es eher mit einem ausufernden Antragswesen zu tun: Man verfasst Hunderte von Anträgen, um ein Projekt durchzufinanzieren. Natürlich ist das kein Betteln. Aber es gibt so eine Dualität der Sprache: Wir leben, auch wenn wir Komponisten sind, in einer kapitalistischen Weltordnung. Und es ist nötig, die Sprache des Business zu sprechen und zu schreiben, um sich im Musikbetrieb einen Platz zu behaupten. Der Preis, damit die Stücke gespielt werden, ist, dass man nach den Regeln anderer Leute spielt.

Das ist hart.

Aber nicht ungerecht.

Na ja. In Ihrem Libretto wird kein Antrag geschrieben, sondern ein fiktiver Mr. Millionaire um Unterstützung angefleht. Ist denn die öffentliche Kulturförderung am Ende?

Das nicht. Aber die öffentliche Kulturförderung sollte eine Grundversorgung sicherstellen. Dagegen können sich private Förderer – meistens sind auch das ja eher Stiftungen – stärker spezialisieren. Damit täte sich eine Behörde schwerer. Die kann schlecht rechtfertigen, wenn sie eine Kunstsparte gegenüber anderen privilegiert. War die Antwort diplomatisch genug?

Man ist von beiden abhängig?

Stimmt. Und eine Stiftung ist dabei eher wie ein Mensch.

Auch wäre ein Brief an die Verwaltung schwerer vorstellbar, in dem sie als „Dear Department“ tituliert wird.

Sie ist anonymer, ja. Mit einer Stiftung lässt sich schon leichter persönlich reden – wie mit einem Gönner.

Das Schreiben des Briefs an den „Dear Mr. Millionaire“ ist die ganze Handlung der Mini-Oper. Warum haben Sie dafür das lyrische Ich in Juan und María gespalten, Frau und Mann?

Das entspringt den Festival-Vorgaben. Es war festgelegt, dass es einen Sopran und einen Bariton geben muss. Aber diese Spaltung in Mann und Frau passte mir auch ganz gut ins Konzept. Sie können einander ergänzen. Sie betrachten dasselbe von verschiedenen Gesichtspunkten.

Naja, wenn der Mann in die Beschreibung der Frau von „my beloved music“ einfach „cacophonic“, also übelklingend, reinbratzt, hört sich das für mich eher nach Widerspruch an – und nach fundamentalem Zweifel am Wert der eigenen Musik: Kennen Sie die?

Nein, ich persönlich nicht. Aber in der Rezeption egal welcher Musik sagen immer die Einen: „Nein, damit kann ich gar nichts anfangen.“ Und andere finden, beim selben Stück: „Oh, geil! Ich wusste gar nicht, dass man so etwas mit Klang machen kann.“ Was der Mann in meiner Mini-Oper sagt, spiegelt diese Ambivalenz der Rezeption.

Es ist auch die befürchtete Haltung des adressierten Mister Millionaire …

Stimmt. Das kann sein. Allerdings: Vielleicht mag der Millionär persönlich nur Wiener Klassik, findet aber, dass Gegenwartsmusik trotzdem gefördert werden muss. Wir wissen es nicht. Immerhin haben ja auch Millionäre ihren Idealismus. Ich fände so eine Haltung jedenfalls sehr ehrlich von diesem Millionär.

Sie machen ihm den Zugang durch die Schreibweise Ihrer Partitur leicht, was für jemanden aus der Schule Mauricio Kagels, der sehr viel über Notation nachgedacht hat, eher überrascht. Woher kommt dieser konservative Zug?

Das ist mir wichtig. Ich denke auch viel über Notationen nach. Das richtige Stichwort für die Antwort lautet: Pragmatismus. Denn wenn ich als Dirigent oder Juror zehn Kurzopern aussuchen und alle aufführen sollte, dann frage ich mich: Nehme ich eine dazu, die durch die Notation wesentlich mehr Verständnisfragen aufwirft, als eine andere, die künstlerisch die gleiche Qualität hat – aber leicht zu entziffern ist?

Ich vermute: Nein?

Natürlich nicht! Gerade wenn man nicht nur mit SolistInnen arbeitet, sondern als Dirigent mit einem Orchester etwas einstudieren muss, ist jede Minute kostbar, und das würde Zeit fürs Erklären kosten. Also wähle ich als Komponist die Notation, die mir am zugänglichsten scheint, und mit der ich alles ausdrücken kann, was ich will. Man muss sehen, dass sie nicht zum Selbstzweck wird: Wer His-Fes-G notiert, meint klanglich einen C-Dur-Akkord. Dann soll er ihn doch auch schreiben. Notation ist für mich quasi ein Synonym von Klarheit – und Mangel an Klarheit ist tödlich. Da bin ich fast militant.

Sie bedienen sich also, wie in der Komposition selbst, frei der Traditionen, die gerade passten?

Das kann man so sagen, ja. Die Kurzoper beginnt bereits mit einem Mozart-Zitat, sie endet mit einer Anspielung auf La Bohème. Und zwischendurch gibt es im Text Zitate aus dem Film Casablanca, „could be the beginning …“

und in der Musik taucht die Phrase „tief-c, hoch-c, h-g-a-h-c“ auf – also Harold Arlen’s „Somewhere Over the Rainbow“ …

… ja, das ist so ein Augenzwinkern. Die Traditionen bilden aus meiner Sicht eine Art Kraftfeld, in dem wir uns heute bewegen. Man kann nicht von null anfangen. Man steht immer bereits irgendwo. Von dort aus können wir unsere Originalität entwickeln – mit Mitteln, die allen zugänglich sind. Dann hat man auch die Freiheit, in einem Stück von mir aus konservativer, im anderen avantgardistischer zu sein.

Das klingt nicht nach ausgesprochenem Stilbewusstsein?

Stil ist eine Diktatur. Manche Komponisten schreiben – wie Astor Piazzolla – ihr ganzes Leben lang immer wieder dasselbe Stück. Man kann das ja mögen. Aber ein derartiger Purismus interessiert mich nicht. Mich faszinieren Komponisten, die eine Vielfalt der Komponierweisen und Klangideen erkunden, und denen trotzdem ein Zusammenhalt im Werk gelingt. Das ist kein Eklektizismus, sondern Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft. Die Vielfalt ist nicht das Problem, die Multikulturalität ist kein Problem: Wir müssen es nur schaffen, einen Zusammenhalt herzustellen.

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