: Joyeux Anniversaire
Eine Collage zum siebzigsten Geburtstag des Filmemachers Jean-Luc Godard
von HANNS ZISCHLER
In einem Seminar an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Auf meine Anregung, zum 70. Geburtstag Jean-Luc Godards am 3. Dezember anhand der Betrachtungen einiger Filme – einige sehen sie zum ersten Mal – Fragen, Beobachtungen aufs Papier zu bringen, lassen sich einige Studenten ein. Der Rest ist Collage. Die Autoren: Claudia Michaela Kochsmeier (CMK), Florian Krautkrämer (FK), Iris Schneider (ISch), Agnes Prus (AP), Steffi Ilin (SI), Sebastian Jaehn (SJ), Ulrike Bergfeld (UB), Katrin Wosnitzka (KW), Ulla Ostendorf (UO), Baldur Burwitz (BB).
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Godard ist ein französischer Spion, der nach Deutschland einfällt, um zu erspüren, was das ist: Deutschland. UO
Da saßen wir also nun, um uns einige Filme von Jean-Luc Godard anzusehen. Einen Eindruck sollten und wollten wir uns verschaffen. ISch
Setzt er voraus, dass man seine Filme x-mal sieht, seziert und für das eigene Hirn in neuen Zusammenhang bringt? Man geht aus dem Kino mit dem Bedürfnis nach einem Gespräch. AP
Wenn man ihn näher beschreiben möchte, so fällt mir immer Don Quixote ein, zumal diese Figur auch kurz in „Allemagne Neuf Zero“ auftritt und gefragt wird: „Which way to the West?“ Godard ist ein Kämpfer gegen Windmühlen (und so inszeniert er sich auch in seinen Filmen.) Als Filmemacher aber ist er ganz klar die Sisyphosfigur. Unerbittlich im Kampf, vor allem als großartiger Medienkritiker. FK
Als Erstes nahmen wir uns „Außer Atem“ vor. Ein Film, der in seiner bildtechnischen Machart seiner Zeit einiges voraus hat, aber heutzutage durchaus mit einer Tüte Popcorn in der Hand zu konsumieren ist. ISch
In den frühen Filmen Godards war für mich die Thematisierung des Films als Film immer von besonderer Bedeutung. Jean-Paul Belmondo wendet sich in „A bout de souffle“ aus dem Fenster seines fahrenden Autos zur Kamera, zum Betrachter, und bemerkt: „Wenn Sie das Meer nicht mögen, wenn Sie die Berge nicht mögen. Wenn Sie die Stadt nicht mögen. Hängen Sie sich auf.“ Die Handlung ist unterbrochen, die Ebene der Erzählung gewechselt, der Betrachter einbezogen. UB
Am schönsten ist die Seberg in Schwarzweiß. Eins ist klar, nach „Bonjour Tristesse“ (Otto Preminger, 1957) konnte man sie nicht mehr unvorbelastet inszenieren. Und während man sich schon auf ihren Blick in die Kamera freut, wird man erst mal von Belmondo vollgequatscht. Und als sie mich dann später doch anblickt ... FK
Ich verfluche die schlechte Videokopie und meinen kleinen Fernseher. Den Genuss heller Farben, die Atmosphäre des Paris des 50er-, 60er-Jahre muss ich mir für ein anderes Mal aufheben. (Mein Freund hat mich gerade darauf aufmerksam gemacht, dass der Film in Schwarzweiß ist. Vielleicht ist das das sicherste Zeichen dafür, dass Godards Filme wie Gemälde auf mich wirken, egal ob in Farbe oder Schwarzweiß, und dass das Licht in den frühen Filmen solch eine Intensität hat, dass ich automatisch an die Sonne denke.) KW
„Weekend“ ist für mich eine Abrechnung mit der konsumorientierten Gesellschaft, die in ihrer Eitelkeit stets nach oberflächlichen Motiven strebt. Das Auto erscheint mir dabei symbolisch das Materielle zu manifestieren, andererseits verkörpert es auch das Chaos sowie den Untergang dieser Gesellschaftsform: Unfälle, Autowracks, Verkehrsopfer, etc. BB
In der ersten Einstellung von „Le Mépris“ (1963) filmt Raoul Coutard die Übersetzerin Francesca. Auf dem Studiogelände der Cinecittà in Rom bewegen sie sich parallel auf die Kamera zu, während Francesca einen Text zitiert, dann verlässt sie das Bild. Der Kamerawagen hält, und Coutard schwenkt auf den Betrachter: aus niedriger Perspektive sieht man in das Objektiv der Kamera. UB
„Le Mépris“ – die schönste Filmmusik, die vielleicht je komponiert wurde – von dem wunderbaren Georges Delerue. Godard setzt das Thema der Camille glücklicherweise immer wieder variationslos ein, wie auch das Stones-Lied in „One Plus One“ (1968), und das ist gut so, da ich mich nicht daran satt hören kann. Ebenso wenig wie ich mich an der Einstellung der Bardot am Anfang satt sehen kann. Die Summe der Liebe zu den einzelnen Körperteilen einer Frau wird als ganze Liebe zu der Person aufgefasst, aber auch als Kino ist das mehr als Scope, Farbe und nackte Haut (es ist auch die Imagination der beschriebenen Körperteile!)
FK
Setzt er voraus, dass man seine Filme x-mal sieht? AP
„Prénom Carmen“: Der gelbe Bademantel, in dem sich schon Brigitte Bardot (blond) und Georgia Moll (brünett) in „Le Mépris“ begegneten und dessen Gelb in „Weekend“ in zahlreichen Requisiten und Kostümen wiederzufinden ist: ein gelber Rollkragenpulli, gelbe Shorts, ein gelber Schal, ein gelber Shellwagen. Erinnere ich mich an das Gelb dieser drei Filme, so scheint es mir absolut identisch, aber in anderen farblichen Zusammenhängen und Inhalten komponiert. In „Prénom Carmen“ viele gedeckte Farben, wenig Licht. In „Mépris“ glitzert das Meer in der Sonne. Wie ein Nixe Brigitte Bardot. Terracottafarbene Terrasse, grau-braune Felsen, helle Ocktertöne, italienisches Beige. In „Weekend“ gibt es kein Meer, dafür aber viel Wald, Wiesen, Straßen, Felder. Signalrot: Trecker, Fässer, Blut. Orange: Loderndes Feuer. Blau: Dunstschwaden. Schwarz: der Flügel. Zwanzig Jahre liegen zwischen „Le Mépris“ und „Prénom Carmen“. Wie ein Maler hat Godard seine Farbpalette in dieser Zeit komplett erneuert, nur in das Gelb scheint er so verliebt, dass es beibehalten wurde. KW
„Prénom Carmen“ – Ich wünsche mir auch eine Nichte, die Banken ausraubt, um meine Filme zu finanzieren. FK
Mit der Frage, was zwischen den Fragmenten steht, kommt man zum Titel des Films – „Allemagne Neuf Zero“ – und den Zwischentiteln. Diese kennt man aus den früheren Filmen Godards. Sie bilden auch einen Verweis auf die Geschichte des Films: den Stummfilm. Die Musik spielt eine zentrale Rolle. Sie führt, wie die aus dem Off vorgetragenen Text(fragmente), zu Überlappungen der Einstellungen. UB
Bild fügt sich an Bild, Ton fügt sich an Ton. Ich sehe jedes Mal ein Stück Film. Den Rhythmus erkenne ich wieder, die Bilder sehe ich zum ersten Mal. CMK
Vielleicht besteht die große Herausforderung darin, es zu ertragen, die einzelnen Elemente einfach zunächst für sich stehen zu lassen. Man könnte das Wagnis eingehen, sich in das Chaos hineinzuwerfen, anstatt es ordnen zu wollen. „Godard ist für mich wie ein DJ“, sagte ein Bekannter neulich zu mir. Lässt man sich auf diesen Vergleich ein, könnte man daraus schlussfolgern, dass es zwar sinnvoll ist, ein paar Schritte zu beherrschen, um tanzen zu können, dass diese jedoch nur dann hilfreich sind, wenn man sich der Musik im Ganzen hingibt. SI
Ich werde ganz wach. Und gleite ab, in das Plus, in den Schnitt. Was mir so gut gefällt, ist das Zusammenfügen verschiedenster Elemente. Was sie miteinander zu tun haben, ist die Montage, das Plus. CMK
Setzt er voraus, dass man seine Filme x-mal sieht, für das eigene Hirn in neuen Zusammenhang bringt? AP
Der Film – „Allemagne Neuf Zero“ – besteht aus so vielen Zitaten, dass ich mir wünsche, er wäre ein Buch, ich könnte nachschlagen, vor- und zurückblättern ... In denke an Jacques Lusseyrans „Das wiedergefundene Licht“, Franzose und Untergrundkämpfer, blind. Ist es in Deutschland 1990 immer noch so dunkel? KW
Gestern Abend [25. November 2000, Kino Arsenal, Berlin] „Allemagne Neuf Zero“ endlich als 35-mm-Film. Enno Patalas ist da und erzählt die Geschichte dieser Filmkopie, keine inhaltliche Einführung in den Film. Wie er an diese Kopie kam und wie man die Filmvorführrechte umgeht und dafür nicht belangt werden kann. Wie wenig selbstverständlich ist es, einen Film zu sehen. – Enno Patalas sorgte dafür, dass sein Kino in München mit DolbySR ausgestattet wurde, da Jean-Luc Godard diesen Film zwar ursprünglich für das Fernsehen produziert hatte, aber ihm der Ton so wichtig war, dass er mit DolbySR aufgenommen wurde und auch nur so gezeigt werden soll. Ein Kino für einen Film. CMK
„Allemagne Neuf Zero“ haben wir uns tatsächlich zweimal angesehen. Nur Zitate und Sequenzen, die beim ersten Betrachten auf einen einstürzen. ISch
Alle Fragen sind noch nicht geklärt, bei weitem nicht. Aber mittlerweile merke ich, dass genau das die Filme für mich interessant macht, was mich immer wieder reizt, weiterzuschauen. Es ist das Gleiche wie mit den Beziehungen, die ich führe, oder mit Bildern, die ich sehe. Oder auch mit Büchern. AP
Es gibt keine Interviews und keine Einzelschicksale, keine verwackelten dokumentarischen Videoaufnahmen, dafür aber den Geist von „Nosferatu“ (Friedrich Wilhelm Murnau, 1922) und einen Film, der zum großen Teil in Silhouetten erzählt ist, das meiste mit Gegenlicht gedreht. Abendstimmung, es wird nichts mehr gezeigt, nur noch umrissen. FK
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