Josephine Bakers Schloss in Frankreich: Résistance im Weltdorf
Die ikonische Sängerin und Tänzerin Josephine Baker besaß ein Schloss in Frankreich. Heute ist dort ein Museum beheimatet, das ihr gewidmet ist.
Wenn Angélique de Labarre de Saint-Exupéry aus dem Fenster ihres Kinderzimmers blickte, hatte sie es direkt vor Augen, hoch oben auf der anderen Seite des Flussufers: das Château des Milandes. Ein Schloss mit runden Türmen, dunklen Dächern, beigen Steinen. Es wurde 1489 erbaut und ist typisch für das Périgord, die Region im Südwesten Frankreichs an der Dordogne.
Heute ist Angélique de Saint-Exupéry 47 Jahre alt und seit mehr als zwei Jahrzehnten die Besitzerin des Schlosses. Und obgleich unzählige Klippen in der Nähe mit imposanten Burgen gekrönt sind – die Gegend hat nicht umsonst den Spitznamen „Département der 1.001 Schlösser“ –, zieht das Château des Milandes besonders viele Besucher an. Der Grund: Drei Jahrzehnte lang war es das Zuhause der afroamerikanischen Sängerin und Tänzerin Josephine Baker.
„Natürlich hatte ich von ihr gehört“, sagt Angélique de Saint-Exupéry, in der Cafeteria des Schlosses sitzend. „Aber was wusste ich schon? Außer dass sie zahlreiche Kinder adoptiert und im Bananenrock getanzt hat.“ Heute spricht sie über Baker wie über eine gute Freundin. Sie hat Dokumente gesichtet, mit Zeitgenossen und Verwandten gesprochen, Erinnerungsstücke zusammengetragen. „Joséphine“ – sie spricht den Namen französisch aus – „war weit mehr als Künstlerin und Mutter vieler Kinder.“ Sie war Résistance-Kämpferin, Spionin, Aktivistin gegen Rassismus.
Um all diese Rollen geht es in dem Museum, das die Schlossherrin in den Räumen des Châteaus eingerichtet hat. Die Familiengeschichte der de Saint-Exupérys reicht zurück bis ins 15. Jahrhundert. Zu den berühmtesten Mitgliedern zählt vermutlich Antoine de Saint-Exupéry, Autor von „Der kleine Prinz“.
Die Schwierigkeiten des Schlossherrinnendaseins
Dass wohlhabende Privatleute historische Bauten kaufen, ist in Frankreich keine Seltenheit. Es gibt Tausende davon, und der Stolz auf das kulturelle Erbe ist groß. 2001 hatten Angélique de Saint-Exupérys Eltern das Schloss gekauft und es kurz danach der damals 25-jährigen Tochter übertragen.
Vier Millionen Euro, schätzt de Saint-Exupéry, habe sie seither in das Schloss gesteckt. Mit der romantischen Vorstellung hat die Realität wenig zu tun. An einem der ersten Tage krachte ein Stück des Daches auf die – glücklicherweise leere – Terrasse. Die junge Schlossherrin räumte die Brocken weg und machte weiter. Sie hatte das nötige Geld und, wichtiger noch: Idealismus und eine Vision. „Ich wollte, dass das Schloss aussieht, als wäre Josephine Baker erst am Vorabend aufgebrochen.“
Baker wurde 1906 als uneheliches Kind in einem Armenviertel von St. Louis geboren. Nach einer von Gewalt und Rassismus geprägten Kindheit flieht sie schon als Jugendliche in die bunte Welt des Theaters und hat bald Auftritte im ganzen Land. Mitte der 1920er Jahre erhält sie das Angebot, nach Paris zu gehen. Die Show, „La Revue Nègre“, wird ein großer Erfolg. Sie „verrenkt sich, macht Spagat und läuft schließlich auf allen Vieren davon, mit steifen Beinen, den Hintern höher als den Kopf, wie eine junge Giraffe“, schreibt eine Pariser Zeitung über diese Vorstellung – in einer Rezension, die voller Zuschreibungen ist, die man heute als rassistisch betrachten würde.
Dem Rassismus entkam Baker auch in Frankreich nicht, und doch wurde ihr das Land zum Zufluchtsort. Hier wurde sie zum Weltstar und genoss die Anerkennung, die ihr in der Heimat verwehrt blieb. Selbst als sie längst große Hallen füllte, verweigerte ihr in den USA manches Lokal den Service.
„Frankreich hat mich zu der gemacht, die ich bin“, sagte Josephine Baker Zeit ihres Lebens. „Ich bin bereit, Frankreich mein Leben zu geben.“ Und das tat sie, seit 1937 rechtmäßig Französin, als sie während des Krieges die Résistance unterstützte. Dass langsam auch dieser Teil ihrer Vita bekannter wird, liegt nicht zuletzt an Angélique de Saint-Exupéry. Die Besucherzahlen stiegen nach ihrer Neukonzeption von wenigen Tausend auf nun rund 300.000 pro Jahr.
Zwölf adoptierte Kinder aus aller Welt
Der Weg zum Schloss windet sich durch enge Gassen, hoch zu einer Anhöhe, von der aus man auf die Dordogne und das weite Tal blickt. Als Baker Mitte der 1930er Jahre zum ersten Mal in die Region kam, fiel ihr dieses Anwesen sofort auf. Ab 1938 mietete sie das Château, knapp zehn Jahre später kaufte sie es – mitsamt der umliegenden 300 Hektar, auf denen sie unter anderem ein Hotel, eine Bäckerei, ein Theater, einen Jazz-Club und einen kleinen Zoo unterhielt.
Das „Village du monde, capitale de la fraternité“ sollte dort entstehen. Ein Weltdorf, Hauptstadt der Brüderlichkeit also. Mittendrin Baker mit ihrer „Regenbogenfamilie“. Zwölf Kinder hat sie adoptiert, aus allen Teilen der Welt. „Sie wollte ihnen die Liebe schenken, die sie selbst nie erfahren hatte“, sagt de Saint-Exupéry. „Sie hatten eine glückliche Kindheit“, ist die Schlossherrin überzeugt, die viele der Kinder persönlich kennt. „Einer ihrer Söhne, Akio, wohnt gleich nebenan und kommt oft vorbei.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Auch seines und die Zimmer seiner Geschwister kann man im Schloss besichtigen. Erst mal aber zeichnet die Ausstellung Bakers Weg zu Weltruhm nach. Ganz zu Beginn der legendäre Bananenrock, die Nähte ausgefranst vom vielen Tanzen und der Zeit. „Mein erstes Stück“, erzählt de Saint-Exupéry stolz. Weiter geht es mit Vitrinen voll bunter, glitzernder Kostüme und Merchandise-Produkten, die zeigen, wie erfolgreich die Marke Josephine Baker in Frankreich war. Dem Haarlack „Bakerfix“ lieh sie genauso ihren Namen wie der Bräunungscreme „Bakerskin“ – aus heutiger Sicht kaum vorstellbar. Zwischendrin befinden sich Sideboards mit gerahmten Fotos: Baker strahlend im Kreis von Bekannten, Baker auf dem Flugplatz mit ihrem Geparden Chiquita.
„Das wär’ doch was für unser Haus“, meint eine Besucherin lachend, als sie vor Bakers Art-Déco-Bad steht, das – inspiriert von deren Lieblingsparfum Arpège – mit schwarz-blau schillernden Fliesen und Golddekor verziert wurde. Der kleine Sohn schüttelt entsetzt den Kopf. Es folgen zwei weitere Bäder, nicht minder extravagant, dann der große Speisesaal, in dem Baker Kunst- und Politprominenz zu ausladenden Abendessen versammelte.
Baker hatte im Schloss Juden und Waffen versteckt
Und schließlich der „salle de la résistance“, der der Schlossherrin besonders am Herzen liegt. „Joséphine hat hier Juden und – das hat mir die Witwe eines Résistance-Kämpfers aus dem Dorf erzählt – Waffen versteckt.“ In ihren Notenblättern schmuggelte Josephine Baker geheime Nachrichten über die Grenze. Mit ihren Auftritten sammelte sie Geld für den Widerstand. „Ihr Leben war wie ein Spionageroman“, sagt de Saint-Exupéry mit Bewunderung in der Stimme.
2021 wurde Baker in einer symbolischen Beisetzung in das Pariser Panthéon aufgenommen. Als sechste Frau und erste Schwarze überhaupt. Im Sarg war Erde aus ihrem Geburtsland USA und den Wahlheimaten Frankreich und Monaco. De Saint-Exupéry steuerte noch ein paar Nüsse aus dem Périgord bei. „Die Nüsse von hier, die liebte sie.“ Auf dem Handy zeigt sie ein Bild dieses 30. November 2021: Der rosa leuchtende Abendhimmel hinter dem Schloss. „Joséphine ist zurückgekommen.“
1968 wurde Bakers Schloss zwangsversteigert. Ihr Hang zum Luxus und ihre Großzügigkeit wurden der Künstlerin zum Verhängnis, sie verarmte im Alter. In der Küche hängt ein berühmt gewordenes Bild: Baker, ausgesperrt und ausgemergelt auf der Küchentreppe. Mit Hilfe ihrer Freundin Grace Kelly, damals schon Fürstin von Monaco, erwarb sie ein Haus an der Küste. Dort starb Baker 1975 – ein Jahr bevor de Saint-Exupéry geboren wurde.
Wenn sie die Chance hätte, sie zu treffen – gäbe es etwas, was sie Josephine Baker gerne fragen würde? „Wahrscheinlich würde ich in Tränen ausbrechen“, sagt de Saint-Exupéry. Ihre Augen werden glasig. „Ich bin übermüdet“, entschuldigt sie sich, wischt sich eine Träne weg. Sie schweigt eine Weile. „Wahrscheinlich würde ich sie fragen, ob sie zufrieden ist, mit dem, was ich aus ihrem Schloss gemacht habe.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag