Jonas Kuckuk ist gestorben: Der „Böhnhase“ steigt nicht mehr aufs Dach
Jonas Kuckuk war Reetdachdecker ohne Ausbildung und kämpfte gegen den Meisterzwang. Sein Leben lang wehrte er sich gegen Ungerechtigkeiten.
Doch Jonas ließ sich nicht einschüchtern. Sein Leben lang wehrte er sich gegen Ungerechtigkeiten. Als Reetdachdecker ohne Ausbildung engagierte er sich im „Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker“ (BUH) mit Sitz in Verden gegen den Meisterzwang: Für Dutzende von Berufen ist ein Meisterbrief Vorschrift.
Ein Unding für einen Freigeist wie BUH-Mann Kuckuk, der sich niemandem unterordnen mochte. Er ärgerte sich schwarz darüber, dass freie HandwerkerInnen wegen fehlender Meisterbriefe sogar als „Schwarzarbeiter“ verfolgt wurden, obwohl sie brav Steuern zahlten.
Mit Protestaktionen und Lobbyarbeit trug er dazu bei, dass 2004 tatsächlich bei einigen Berufen die Meisterpflicht gestrichen wurde.Ihn selbst schützte ein Reisegewerbeschein. Mit einem Pickup fuhr er durchs Bremer Umland und suchte nach kaputten Reetdächern. Hatte er Glück, bekam er an der Haustür den Auftrag zum Flicken.
Shiatsu-Massage und Jugendsozialarbeit
Kuckuk sah sich in der Tradition der „Böhnhasen“ („Böhn“ ist Plattdeutsch für „Dachboden“), jener zunftlosen Handwerker, die sich für Gewerbefreiheit einsetzten. Nebenbei gab er Kurse in Shiatsu-Massage, war Mitbegründer einer freien Schule in Verden und arbeitete drei Jahre in einem 400-Euro-Job als Jugendbeauftragter in Langwedel – laut Lokalpresse als „forscher und lautstarker Streiter für mehr Jugendsozialarbeit“.
Kurz danach, 2008, wurde er aus seinem bunten Leben gerissen: Aorta-Riss am Herzen, wochenlanges Koma. Er kam wieder auf die Beine, zeitweilig sogar zurück aufs Dach. Und ging in die Politik: anfangs bei der Piratenpartei, dann bei der Satire-„PARTEI“; für sie kandidierte er sogar bei den Bremer Bürgerschaftswahlen 2015 und 2019.
So beharrlich er sich für Schwächere und für Gerechtigkeit einsetzte: Der schlanke Mann mit der hohen Stirn und den krausen Locken wirkte nicht verbissen, sondern zugewandt und humorvoll.
Sein Widerspruchsgeist wurde schon im Elternhaus geprägt: Seine Mutter, die Lehrerin und Autorin Karin Kuckuk, wandte sich in Göttingen gegen Rechtsextremismus und Polizeiübergriffe. Sein Vater war der linke Historiker Peter Kuckuk, Experte für die Bremer Räterepublik.
Sechs Jahre nach seinen Eltern ist jetzt, nach längerem Leiden, auch Jonas Kuckuk gestorben, mit nur 58 Jahren. Seine zeitweilige Lebensgefährtin, deren Tochter und der gemeinsame Sohn schrieben in ihrer Todesanzeige: „Käpt’n Blaubär, wir verneigen uns vor deinen 13 ½ Leben“ – eine Anspielung darauf, dass er für die Kinder einst Geschichten erfunden hatte – wie der Lügenbär im Walter-Moers-Roman „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ – aber auch eine Würdigung seines vielfältigen Lebens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs