Jon Savage über die „Eiserne Lady": „Thatcher hat Außenseiter produziert“
In den Achtzigern gab es zahlreiche Anti-Thatcher-Songs, aber manche davon, so Popautor Jon Savage, haben ihre Werte auch gefeiert. Der Hass auf die Frau ist nachhaltig.
taz: 74 Jahre später feiern die Briten den Tod ihrer langjährigen Premierministerin mit „Ding-Dong! The Witch Is Dead“. Was ist da los?
Jon Savage: Als ich von ihrem Tod hörte, habe ich tatsächlich überlegt, ob ich das Lied nicht meinen Freunden schicken sollte. Das zeigt, wie diese Frau polarisiert hat, entweder man liebte sie, oder man hasste sie.
Woher kommt dieser persönliche Hass, der Furor?
Sie hat das Land gespalten, man wünscht ja niemandem den Tod, aber sie war so eine undurchsichtige Domina, eine viktorianische Figur. Wenn du in den Achtzigern so warst wie wir, dann warst du der innere Feind. Ich bin politisch nicht einverstanden mit Cameron, aber ich verabscheue ihn nicht, Thatcher schon.
Ronald Reagan nannte Thatcher „Englands besten Mann“. Wäre einem Mann für die selbe Politik ebenso viel Hass entgegengeschlagen?
Weil sie eine Frau war, musste sie das Machotum der Männer überbieten – „She had to outmacho the men.“ Ich glaube nicht, dass der Hass misogyne Motive hat, sie wurde gehasst, als die Frau, die sie nun mal war, als Schuldirektorin, als rechthaberische Matrone. Und dieses Gerede von Feminismus, sie ist doch keine Feministin, sie hat nichts getan für Frauen.
Als Lady Diana 1997 im Pariser Tunnel zu Tode kommt, widmet Elton John der Prinzessin sein „Candle in the wind“. Als „Rose of England“ toppt der ursprünglich an Marilyn Monroe adressierte Song monatelang die Charts. 2005 nimmt Elton John, inzwischen zum Sir geadelt, „Merry Christmas, Maggie Thatcher“ auf, mit den feierlichen Worten „We all celebrate today, ’Cause it’s one day closer to your death“. Morrissey beendet 1988 sein Album „Viva Hate“ mit „Margaret on the Guillotine“. „When will you die?“, fragt er schmachtend, am Ende saust das Fallbeil hinab. Nach dem natürlichen Tod der Baroness Thatcher meldete sich Morrissey erneut zu Wort: „Thatcher war keine starke oder großartige Anführerin. Die Leute waren ihr scheißegal, und diese Grobheit wurde als Tapferkeit beschönigt von der britischen Presse, die versucht die Geschichte umzuschreiben im Namen des Patriotismus.“ Auf den Straßen von Brixton, Glasgow und Liverpool wurde der Tod der Eisernen Lady gefeiert. Einen Tag später stehen zwei tote Frauen mit dem selben Song in den Download-Charts auf Spitzenplätzen: Judy Garland auf eins, Ella Fitzgerald auf vier. Der Song? „Ding-Dong! The Witch Is Dead“ aus dem „Zauberer von Oz“. Eine Facebook-Initiative hatte zum Kauf des Songs aufgerufen. „Ding-Dong, die Hexe ist tot.“
Aber hat das nicht misogyne Züge, wenn jetzt der Tod der witch gefeiert wird – oder der bitch?
Ich sage sowas nicht. Ja, das ist misogyn. Aber wenn du es vergleichst, mit dem was Thatcher angerichtet hat, dann ist es eine Petitesse. Ich würde das ernster nehmen, wenn sie wirklich Feministin gewesen wäre. Eigentlich denke ich bei Mrs.Thatcher gar nicht an eine Frau, weil sie sich in einen Macho verwandeln musste, um zu tun, was sie getan hat. Ein Symptom ihrer Zeit, aber auch ihrer selbst.
Die Premierministerin war gelernte Chemikerin, die deutsche Bundeskanzlerin war Physikerin. Wird Angela Merkel in England mit Thatcher verglichen?
Komischerweise nicht, ich finde den Gedanken interessant, aber die Briten sind Idioten was Europa angeht.
In den Achtzigern gab es Dutzende von Anti-Thatcher-Songs, was ist Ihr Favorit?
, geboren 1953 in London, ist ein renommierter britischer Popautor. Er begann als Chronist des Punk im Fanzine Londons Outrage (1976). In den späten Siebzigerjahren schrieb er für die britischen Musikmagazine Melody Maker und Sounds, später auch für The Observer.
Savage ist Autor der Punk-Chronik „England’s Dreaming“ und von „Teenage – The Creation of Youth“. Im Buch über die Erfindung der Jugend bezeichnet Savage die Massenhysterie um den „Zauberer von Oz“ von 1939 als „Gründungsdokument der Traumökonomie“, ein frühes Pop-Phänomen.
Zusammen mit Hanif Kureishi gab Savage die Artikelenzyklopädie "The Faber Book of Pop" heraus (1995). 2001 erschien die deutsche Ausgabe von "Englands Dreaming", Savages Kulturgeschichte des britischen Punk (Edition Tiamat). 2008 folgte "Teenage - die Erfindung der Jugend (1975 - 1945)" (Campus). Zur Zeit arbeitet Savage an einer Filmfassung von "Teenage".
The Beat, „Stand down Margaret“, aber „Gold“ und „True“ von Spandau Ballet waren Pro-Thatcher.
Warum?
Du kannst Thatcherist sein, wenn du die vorherrschenden Werte deiner Zeit repräsentierst, den Konsumismus, das Elitäre.
Heute gelten die Achtziger als Blütezeit des politischen Pop. Die Krise als Geburtshelfer der Kunst?
In gewisser Weise ja, aber es hatte auch mit der Energie des Punk zu tun. Ein großer Teil der Musik war Opposition, für mich ist der größte Moment „The Queen is dead“ von den Smiths, das Album ist nicht explizit politisch und dreht sich doch um die ganze britische Gesellschaft. „The Queen is dead“ ist nicht so albern wie die späteren Songs von Morrissey, „Margaret on the Guillotine“, das ist bescheuert.
Wie sind die Reaktionen auf Morrisseys aktuelle Tiraden?
Morrissey wird nicht ernst genommen, er hat keine Autorität mehr.
Warum?
Weil er keine Musik mehr macht und nur noch mit kontroversen Statements Aufmerksamkeit sucht.
Thatcher habe einen Krieg gegen Acid House und gegen die Rave-Kultur geführt, stimmt das?
Sie hat Außenseiter produziert, immer mehr Gruppen ausgegrenzt, das ist das Problem der Tories, sie sind exklusiv. Und wenn du immer mehr Leute ausgrenzt, dann werden die irgendwann zur Mehrheit, genau das ist in den späten Achtzigern passiert, es gab dann mehr Ausgegrenzte als konservative Wähler. Acid House und Rave war eine Bewegung für Freiheit, sie haben keine politische Sprache benutzt, aber sie waren implizit politisch, weil sie Räume außerhalb der Politik gesucht haben. Rave war eine unbewusste Reaktion auf den Zusammenbruch der Politik unter Thatcher. Regierungen wollen Kontrolle ausüben und Rave hat sich der Kontrolle entzog. Viele Acid House-Aktivisten waren 1990 bei den Poll Tax Riots gegen die Kopfsteuer beteiligt, das war der Anfang von Ende des Thatcher-Regimes.
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